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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit Ihrem Antrag, liebe Union, wollen Sie den Blick auf all die richten, die
tagein, tagaus unser Gesundheitssystem am Laufen halten: Ayse, die als Medizinische Fachangestellte oftmals die erste Gesprächspartnerin im Praxisalltag ist,
Heiner, der Notfallsanitäter, der sicherstellt, dass Erkrankte schnell ins Krankenhaus kommen, oder Lola, die Physiotherapeutin, die gerade Long-Covid- und
Post-Vac-Betroffene wieder fit für den Alltag macht. Sie fordern Anerkennung für diese Menschen ein. Aber die Art und Weise, wie Sie diesen Menschen jetzt
Wertschätzung entgegenbringen möchten, finde ich, ehrlich gesagt, absurd.
Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Der Coronabonus war ein Versuch von der Großen Koalition und dann auch von der Ampelregierung, den besonders belasteten Beschäftigten durch
Bonuszahlungen unseren Dank finanziell auszudrücken. Bei Vorhaben dieser Art ist es immer wieder extrem schwierig, alle im Blick zu behalten. Deshalb haben wir
im letzten Jahr auch versucht, nachzubessern, und die Steuerfreiheit erweitert auf Boni, die von Ärzten an deren Praxisteams gezahlt werden.
Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Bonuszahlungen und Zuschüsse sind zwar nett, aber einmalige Zahlungen bleiben reine Symbolpolitik, wenn wir a) strukturell nichts verändern und b) die
Beschäftigten nicht unterstützen, wenn sie sich zusammentun, um für fairen Lohn zu streiken.
Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Denn darum muss es gehen: kein Minieinmalbonus, sondern faire Löhne.
Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es ist schon bemerkenswert, dass Sie sich als CDU/CSU hierhinstellen und Anerkennung, Wertschätzung und faire Bezahlung für Arbeit fordern, während
Sie gleichzeitig gerade die Kämpfe der Beschäftigten für bessere Bedingungen unterbinden wollen, Streiks, die allein dafür da sind, dass sich die Beschäftigten
zusammentun, um von ihren Arbeitgebern einzufordern, für ihre Arbeit angemessen bezahlt zu werden und angemessene Arbeitsbedingungen zu erhalten.
Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hüppe zulassen?
Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Frage zulassen. – Ich gebe Ihnen ja recht, dass bei solchen Situationen auch etwas durchgehen kann. Der
Minister hatte uns versprochen, dass er noch mal nachschaut, wo es irgendwo Ungerechtigkeiten gibt, und dass man noch mal nachbessert.
Jetzt stelle ich Ihnen mal eine Frage zu einem ganz konkreten Fall in einem Krankenhaus in meiner Nachbarstadt. Auf den Stationen dort gibt es
ausgebildete Krankenpflegerinnen und ‑pfleger sowie Krankenpflegeassistenten, die nur eine einjährige Ausbildung haben. Diejenigen, die eine Vollausbildung
haben und auch mehr Geld bekommen – das sollen sie auch –, haben den Bonus erhalten. Die einjährig ausgebildeten Krankenschwestern und ‑pfleger haben ihn nicht
bekommen. Das finde ich einfach ungerecht. Teilen Sie nicht meine Meinung, dass man das noch mal hätte nachbessern können, wie wir es auch bei der
Bundesregierung angefragt haben? Es sorgt doch einfach auch für Streit auf der Station, dass die, die sowieso schon mehr verdienen – sie haben natürlich auch
eine bessere Ausbildung –, den Bonus bekommen, während die, die dieselben Patienten versorgen und dieselben Dienste schieben, leer ausgehen. Finden Sie nicht,
dass das ungerecht ist?
Beifall bei der CDU/CSU)
Erst mal vielen Dank für Ihre Frage. – Ein Bonus war ja schon während der GroKo-Zeit auf den Weg gebracht worden. Das hat die Ampelregierung dann
noch mal aufgegriffen.
Nun wird schon berichtet, dass in Ihrem Antrag Berufsgruppen vergessen wurden, die auch gerne einen Bonus haben wollen.
Der alte Bonus war viel besser!)
Das heißt – ich habe gerade ja versucht, Ihnen das noch mal zu erklären –, es ist extrem schwierig, mit Einmalzahlungen wirklich alle in den Blick zu
nehmen.
Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)
Wir dürfen dann auch nicht nur über das Gesundheitswesen reden. Was ist denn beispielsweise mit den Lehrkräften? Das ist eine endlose Debatte, die man
führen kann, und deswegen halte ich Einmalzahlungen und Boni einfach für nicht angemessene Mittel.
Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP
Das hätten Sie aber vorher überlegen
müssen!)
Wir waren ja gerade bei Arbeitskämpfen und Streiks, die man unterstützen sollte und die Sie ja, ehrlich gesagt, nicht so cool finden. Da gehen
Beschäftigte auf die Straße, um für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Eine angemessene Bezahlung bedeutet beispielsweise nicht, dass man sich den dicken
Lamborghini vor die Tür stellen kann, sondern dass Familien ihre Miete zahlen können, die alleinerziehende Mutter das Kind auf Klassenfahrt schicken kann und
man mit Anfang 50 nicht ein arbeitsbedingtes Burn-out hat.
Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Sagen Sie das doch mal den Arbeitgebern!)
Und dann ist es doch vielleicht ganz sinnvoll, nicht ständig mit Arbeitgeberverbänden zu klüngeln, sondern sich auch mal mit Gewerkschaften zu
treffen.
Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD
Zuruf des Abg. Ates Gürpinar [DIE LINKE])
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie reden über Arbeitsbelastung und Wertschätzung. Das ist ein wunderbarer Anlass, sich zu fragen, wie sich Menschen
heute überhaupt ihre Arbeit vorstellen und was die Bedürfnisse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sind. Gerade Menschen aus der jüngeren Generation sagen
ganz oft, sie möchten weniger arbeiten.
Anstatt jetzt immer direkt in Schnappatmung zu verfallen –
– ja, ein wunderbares Beispiel –, müssen wir doch anerkennen, dass nicht jeder im Hamsterrad der Leistungsgesellschaft leben will. Hier geht es in
keiner Weise um Faulheit oder Ponyhof, sondern um den Anspruch, auch mehr Zeit für wichtige Dinge im Leben zu haben,
Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Kristine Lütke [FDP])
mehr Zeit für das Ehrenamt im Jugendverband, mehr Zeit für Kinder und Familie oder mehr Zeit, um einfach mal mit Kumpels am Abend Basketball spielen
zu gehen. Wir haben heute Morgen über die Wichtigkeit des Sports geredet. Wie stellen Sie sich das denn vor, wenn Menschen komplett ausgebrannt sind von der
Arbeit?
Das lässt sich gut auf die Beschäftigten im Gesundheitswesen übertragen: Viele Beschäftigte sind in Teilzeit tätig und können sich kaum vorstellen, in
Vollzeit zurückzukehren. Das liegt, ehrlich gesagt, nicht am fehlenden Bonus, sondern an fehlender Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben und zu hoher
Belastung. Darüber täuscht Ihr Antrag hinweg.
Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP
Sie haben es ja in der Hand, etwas zu
ändern!)
Lassen Sie uns aber auch gemeinsam auf einen anderen Teil der Arbeit in unserer Gesellschaft schauen. Denn wenn Ayse und Lola nach der Schicht in der
Arztpraxis oder im Rehazentrum nach Hause gehen, ist für die beiden die Arbeit oftmals nicht vorbei: Wäsche waschen, Kinder zum Sportverein bringen, den
nächsten Geburtstag planen – all das ist die unbezahlte Sorgearbeit im privaten Raum, die nach der Lohnarbeit zu Hause auf viele Menschen wartet.
Oje! Wie haben das die Eltern früher gemacht?)
Diese Arbeit in unserer Gesellschaft wird, ehrlich gesagt, immer noch mehrheitlich von Frauen übernommen: 4 Stunden und 13 Minuten am Tag, die Frauen
zusätzlich unbezahlt arbeiten.
Ist ja eine ganz neue Erkenntnis!)
Die Journalistin Teresa Bücker fasst das ganz gut zusammen – ich zitiere –:
Care-Tätigkeiten sind die Grundlage dafür, dass Menschen morgens zu ihrer Erwerbsarbeit aufbrechen. Wir müssen schlafen, essen, uns wohlfühlen und
zudem wissen, dass unsere Familie gut versorgt ist, um einer bezahlten Tätigkeit nachzugehen.
Diese unbezahlte Sorgearbeit hält unsere Gesellschaft zusammen. Deswegen ist Carearbeit auch Arbeit.
Aber selbst dort, wo Carearbeit entlohnt wird, im professionellen Kontext, bleibt sie strukturell untergewertschätzt, und das, obwohl professionelle
Carearbeit besonders die Jobs sind, die in den letzten Jahren immer wieder als systemrelevant betitelt wurden. Die Pflegekräfte, die Hebammen oder auch die
vielen Reinigungskräfte, all diese Berufe haben nicht nur einen extrem hohen weiblichen Beschäftigungsanteil, sondern sind auch schlecht bezahlt. Ein einmaliger
Bonus wird diesen Herausforderungen in keinster Weise gerecht.
Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Wenn sich Beschäftigte zusammenschließen, um für krisenfeste Bezahlung auf die Straße zu gehen, stehe ich solidarisch an ihrer Seite. Wenn junge
Menschen mehr Zeit für Ehrenamt und Familie einfordern, stehe ich solidarisch an ihrer Seite. Und wenn Frauen und Männer, die die unbezahlte Sorgearbeit zu
Hause übernehmen und damit den Laden am Laufen halten, mehr Wertschätzung und Zeit dafür einfordern, dann stehe ich solidarisch an ihrer Seite.
Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Zum Abschluss möchte ich Ihnen, liebe CDU/CSU, noch Folgendes mitgeben: Ja, wir müssen über strukturelle Reformen reden. Das heißt auch, dass wir das
Wissen und die Expertise nutzen, die in unseren Gesundheitsberufen stecken.
Wir müssen uns überlegen, wer im Gesundheitswesen welche Aufgaben übernehmen kann. Ein Anfang ist die Übertragung heilkundlicher Aufgaben in der
Pflege oder der Direktzugang zu Heilmittelerbringern.
Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)
Ein weiteres gutes Beispiel ist die Schaffung des Berufsbilds Community Health Nurse, um nur einige Sachen aufzuzählen.
Sie sind in der Regierung! Machen!)
Die Übertragung der Kompetenz und die Einbeziehung aller Gesundheitsberufe ist nämlich ein Garant für Zufriedenheit. Das muss jetzt angegangen werden,
weil Sie die letzten Jahre nicht so viel gemacht haben.
Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Sie haben in anderthalb Jahren aber auch nicht viel
geschafft!)
Bringen wir doch gemeinsam strukturelle Reformen auf den Weg! Solidarisieren Sie sich mit den Streikenden! Nehmen Sie unbezahlte Sorgearbeit und den
von der Jugend betriebenen Wandel auf dem Arbeitsmarkt ernst! Dann können wir Veränderungen voranbringen.
Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Vielen Dank, Frau Kollegin Weishaupt. – Nächster Redner ist der Kollege Ates Gürpinar, Fraktion Die Linke.
Beifall bei der LINKEN)