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Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Interessierte! Lieber Herr Buschmann! Er sei an der Stelle auch begrüßt, weil er maßgeblich mitverhandelt. Ich versuche, verbal ein bisschen abzurüsten und vielleicht noch mal ein paar Begrifflichkeiten und Zusammenhänge einzuordnen. Es fängt an mit dem, wie ich finde, unsäglichen Begriff der Vorratsdatenspeicherung, weil dadurch eben immer alles durcheinanderkommt. Der Begriff ist aus einer Kampagne heraus entstanden, aber ich will noch mal verdeutlichen: Es geht bei dem großen Begriff der Vorratsdatenspeicherung im Hinblick auf die letzten Jahre und auf die Entscheidungen um Verbindungsdaten. Verbindungsdaten bedeuten: Wer hat mit wem wann und wie lange telefoniert? Es geht um Standortdaten: Wer war wann in einer Funkzelle?
Heute geht es nur um IP-Adressen mit Zeitstempel, gegebenenfalls noch mit zugehörigem Port. Da geht es einfach nur um folgenden Zusammenhang: Von welchem Kundenanschluss, von welchem Zugang aus wurden strafrechtlich relevante Inhalte ins Internet übertragen? Nur darum geht es heute; ich komme darauf gleich noch mal zurück. Es geht nicht um Kommunikationsinhalte.
Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Worum geht es aus Sicht eines Ermittlers oder einer Ermittlerin? Es ist ja sehr grob darüber gesprochen worden. Es geht um folgenden Grundsachverhalt – den kann man ganz einfach schematisch darstellen –: Am Anfang steht eine Straftat mit einem unbekannten Täter oder einer unbekannten Täterin. Der Ermittlungsansatz ist entweder auch oder nur eine IP-Adresse, also eine Zahlenkolonne, die vorliegt. Dann erfolgt zum Zeitpunkt, wenn die Ermittler dann loslegen, eine Abfrage dieser Zahlenkolonne, dieser IP-Adresse bei den Providern – das sind die Telekom, 1&1, Vodafone und alle anderen –, und zwar nur zu dem Zweck, sich die Möglichkeit zu eröffnen, eine Täterin oder einen Täter zu identifizieren. Dann erst erfolgen weitere Ermittlungsmaßnahmen. Das heißt, die Grundlage für weitere Ermittlungsmaßnahmen muss geschaffen werden.
Es gibt keine Möglichkeit, dadurch das Internetverhalten zu rekonstruieren oder zu überwachen. Nur die IP-Adresse ist relevant. Es tut mir leid, wenn ich das auch an die Adresse des Justizministers sagen muss: Daran erkennen Sie schon, dass dieser Ermittlungssachverhalt keinen Zusammenhang mit Quick Freeze hat; das hilft an dieser Stelle eben leider nicht. Denn es geht um eine binäre Angelegenheit: Es gibt noch Daten zu der IP-Adresse oder nicht.
Danke für diese Klarstellung!)
In einem Fall kann man ermitteln, im anderen eben nicht. Das ist der Grundsachverhalt, über den wir zu diskutieren haben und der dem Antrag zugrunde liegt.
Dazu kommen folgende globale Grundsachverhalte: Kriminalität verschiebt sich immer mehr vom Hellfeld ins Dunkelfeld. Wir sehen immer weniger anhand der Statistiken; ich nehme eine heraus, die auch Herr Krings leider falsch eingeordnet hat. Es sind die NCMEC-Verfahren genannt worden, diese großen Datenmengen, die wir von einer halbstaatlichen Organisation aus den Vereinigten Staaten geschickt kriegen. Dann fängt das BKA an, in einem optimierten Prozess so schnell wie möglich herauszukriegen, ob zu den IP-Adressen noch Informationen da sind. Das muss so schnell gemacht werden, dass es noch nicht mal erlaubt ist, den Service von Europol zu nutzen; das würde schon zu lange dauern.
Nun wird ein wichtiger Zusammenhang – auch im Gesetzentwurf – oft falsch dargestellt. Die Konzentration auf die Aufklärungsquote ist falsch, weil in der Statistik nur Taten erfasst werden, bei denen klar ist, dass ein Tatort in Deutschland schon nachgewiesen ist.
Die Wahrheit ist noch schlimmer, das stimmt schon!)
All die Fälle, wo das BKA erfolglos war, werden da gar nicht berücksichtigt. Tatsächlich beträgt die wahre Erfolgsquote bei den NCMEC-Fällen 75 Prozent. Bei Hate Speech liegt sie bei nur 50 Prozent. Das heißt, wir haben zusätzlich ein quantitatives Problem. Die Zahl der Fälle geht nämlich durch die Decke. Das BKA kommt bei der Optimierung an seine Grenzen. Lediglich mehr Personal ist hier nicht die Antwort; das kennen wir auch schon von der FIU, wenn ich mir die Randbemerkung erlauben darf.
Dann gibt es noch einen qualitativen Aspekt; die Beispiele sind schon genannt worden. Hanau ist ein solch qualitativer Aspekt. Allein deswegen verstehe ich gar nicht, warum die Union sich nur auf die fürchterlichen Delikte beschränkt. Im Fall Hanau hatten 500 Seitenzugriffe stattgefunden, aber man konnte hinterher nicht mehr ermitteln, wer es gewesen ist. Auf einer großen Plattform mit Missbrauchsdarstellungen und 36 000 Abonnenten gab es fürchterliche Delikte, davon 200 aus Deutschland; die IP-Adressen waren zu alt, wir konnten keinen einzigen Fall aufklären. Im Fall Castrop-Rauxel Anfang des Jahres war die IP-Adresse sechseinhalb Tage alt. Wäre sie nicht, glaube ich, bei Vodafone, sondern bei einem anderen Provider wie Telekom oder 1&1 gespeichert gewesen, hätten wir keine Ermittlungen mehr durchführen können, weil wir keine Möglichkeiten dazu gehabt hätten.
Für mich steht ein Grundsachverhalt völlig fest – und der hat mit Parteipolitik und Ideologie nichts zu tun; das ist ein simpler Zusammenhang –: Der Erfolg und das Umsetzen des Strafverfolgungsinteresses des Staates, der Schutz von Opfern, der Schutz von Leib und Leben und anderen wirklich gewichtigen Grundrechten darf weder dem Zufall noch wirtschaftlichen Interessen hinsichtlich des Speicherverhaltens von Providern überlassen bleiben, sondern das müssen wir hier regeln. Das steht für mich fest.
Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
An der Stelle ist es richtig, einen außerordentlichen Dank an die Ermittler auszusprechen; es ist von Ihnen, Frau Winkelmeier-Becker, schon gesagt worden. Er ist in der Tat wichtig; denn die Ermittlerinnen und Ermittler nehmen nicht nur die Bilder und Videos, sondern tatsächlich auch die Töne quasi mit nach Hause. Dort wird eine überaus bedeutende Arbeit geleistet, die ich an dieser Stelle noch einmal hervorheben und würdigen möchte. Ein großer Dank an alle, die diese wichtige Arbeit leisten!
Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)
Jetzt zum „Abrüsten“. Ich bitte auch alle Freundinnen und Freunde in der Koalition, bei der Wortwahl achtzugeben. Ich habe gerade versucht, den Sachverhalt darzustellen. Vokabeln wie „Dauerüberwachung“, „Generalverdacht“, „Massenüberwachung“, „Überwachungsmaßnahmen“ haben mit dem Sachverhalt nichts zu tun. Sorry, es tut mir wirklich leid!
Ich bin Ihnen wirklich dankbar!)
Wenn Vodafone Daten lange speichert, dann überwacht keine Ermittlerin und kein Ermittler irgendwas, sondern es geht nur darum, bisher unbekannte Tatverdächtige im einzelnen Fall zu ermitteln.
Wir haben demnächst nicht nur Tausende, sondern Millionen solcher Sachverhalte zu lösen. Ich kann uns das nicht ersparen. Deswegen ermutige ich uns alle – das ist auch an die Bundesregierung, lieber Herr Bundesjustizminister, gerichtet –: Orientieren Sie sich bei diesen Debatten – auch in der Bundesregierung – an der Sache; denn wir müssen hier tatsächlich Lösungen finden. Keiner von uns will die Ermittlerinnen und Ermittler im Regen stehen lassen, sondern wir wollen wirklich etwas Grundrechtskonformes auf den Weg bringen.
Dazu hat der EuGH vieles gesagt. Deswegen werde ich gar nichts mehr zur Verhältnismäßigkeit sagen. Das hat der EuGH aus meiner Sicht klar festgestellt. Aber an der Verhältnismäßigkeit eines Speicherzeitraums von sechs Monaten, Herr Krings, darf man Zweifel haben, und zwar massive.
Das ist Verhandlungsmasse!)
Zu der Einschränkung habe ich auch schon was gesagt.
Ich will abschließend sagen: Was Sie mit dem Antrag versuchen zu insinuieren, dem würde ich mich widersetzen, nämlich den Streit innerhalb der Koalition negativ zu belasten; da bin ich völlig raus.
Sie können streiten, so viel Sie wollen, aber wir brauchen Ergebnisse!)
Ich sehe das positiv. Wir haben hier drei unterschiedliche Parteien, die ganz unterschiedliche Wählerinnen und Wähler in der Republik repräsentieren. Auch in der Bevölkerung gibt es unterschiedliche Meinungen. Dass dieser Meinungsstreit in der Regierung ausgetragen wird, ist super. Das ist richtig gut; das ist gelebte Demokratie. Und dass wir uns dafür Zeit nehmen – ich hätte so viele Sprichwörter gar nicht mehr gewusst –, damit hinten was Gutes rauskommt, das ist auch ein gutes Zeichen.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Lassen Sie uns wirklich alle hier abrüsten und an der Sache orientieren; die Dinge sind zu wichtig. Also, auch an die Regierung gerichtet: Herr Buschmann, Frau Faeser, trinken Sie was zusammen, und machen Sie einen guten Vorschlag.
Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU])
Nächste Rednerin ist Joana Cotar, fraktionslos.