Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde es wirklich erstaunlich, wie jetzt von der SPD-Fraktion bestritten wird, was der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Dirk Wiese gesagt hat. Ich habe hier das Interview im „Tagesspiegel“ vorliegen. Er hat von einer Verlängerung der bestehenden Grenzkontrollen gesprochen
Wortwörtlich!)
und hat auch ausdrücklich auf die Olympischen Spiele Bezug genommen, die bekanntlich nicht in Polen und Österreich stattfinden, sondern in Frankreich. Ganz klar: Er hat die Situation der Grenzkontrollen gemeint, die wir im Moment haben.
Meine Damen und Herren, Leon Eckert hat es in seiner Rede vorhin ein bisschen süffisant vorgetragen: Natürlich sind wir von der Union der festen Überzeugung, dass die Freizügigkeit wirklich eine wichtige und historische Errungenschaft der Europäischen Union ist. Niemand will doch eine komplette Grenzschließung. Niemand will Pendlerströme über Kilometer. Das muss natürlich dosiert und verhältnismäßig angewandt werden; das ist doch überhaupt keine Frage. Und verwechseln Sie das nicht mit dem Binnenmarkt! UK ist aus dem Binnenmarkt ausgetreten. Das ist das große Problem der Lieferketten. Wenn man das also in vernünftiger Form macht, gibt es überhaupt kein Problem.
Beifall bei der CDU/CSU)
Aber wir müssen uns den Realitäten stellen. Unerlaubte Einreisen, Kontrollverlust, gerade was Menschenschleusung angeht, und sonstiger Grenzverkehr von Kriminellen, die die Freizügigkeit missbrauchen, sind ganz große Herausforderungen. Das wird durch die Zahlen belegt, die Kollege Throm gerade genannt hat.
Die EU-Verträge – dabei handelt es sich um das höchste europäische Recht – legen fest, dass die komplette Abschaffung der Binnengrenzkontrollen nur möglich ist, wenn die Personenkontrolle und die wirksame Überwachung des Grenzübertritts an den Außengrenzen sichergestellt werden. Ausdrücklich wird auch die Einführung eines integrierten Grenzschutzsystems gefordert. Trotz wesentlicher Verbesserungen und des Aufwuchses bei Frontex müssen wir doch feststellen, dass eine lückenlose und systematische Erfassung von Personen, die die EU-Außengrenzen überschreiten, in ganz weiter Ferne liegt.
Kollege Seif.
Ja?
Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?
Ja, gerne.
Vielen Dank für das Zulassen der Frage. – Herr Seif, die Unionsfraktion gibt sich ja gerne als die Fürsprecherin der Wirtschaft in diesem Land. Sie kommen aus der Nähe von Aachen. Ist Ihnen bekannt, dass allein in der Euregio Aachen täglich über 12 000 Menschen auf dem Weg von und zur Arbeit die Grenzen überqueren und dass Sie mit stationären Grenzkontrollen ja deren Arbeitsweg unnötig erschweren würden? Und ist Ihnen ferner bekannt, dass sowohl die Deutsche Industrie- und Handelskammer als auch der Präsident des Instituts der deutschen Wirtschaft vor stationären Grenzkontrollen warnen, weil Sie damit Lieferketten kaputtmachen, Just-in-Time-Logistik zerstören? Wollen Sie wirklich die Wirtschaft hier noch zusätzlich belasten?
Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Das sagen ausgerechnet die Grünen!
Wie viele Tote ist Ihnen das wert?)
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion gibt sich nicht nur als Vertreterin für wirtschaftliche Interessen, sondern wir haben die Wirtschaft fest im Blick,
Nur nicht in der EU-Politik!)
gerade was den Green Deal angeht, was Klimaschutzpolitik angeht. Das haben Sie in weiten Teilen schon aus den Augen verloren. Noch mal: Es geht nicht darum, dass die Grenzen den ganzen Tag geschlossen sind; die Kontrollen müssen dosiert und verhältnismäßig durchgeführt werden.
Wir werden uns in den nächsten Tagen und Wochen selbstverständlich
Abg. Maik Außendorf [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] nimmt wieder Platz)
– ich antworte Ihnen noch – mit den Wirtschaftsverbänden in Verbindung setzen und austauschen: Wie können wir es möglichst gut organisieren, dass gerade die Just-in-Time-Lieferkettenwege nicht gestört werden? Das will niemand.
Aber dennoch: Wir müssen abwägen, und wir müssen verhältnismäßig vorgehen. Wir sehen nicht, dass die wirtschaftlichen Interessen und vor allen Dingen auch die Wachstumsmöglichkeiten für unsere Wirtschaft beeinträchtigt sind, wenn man das klug und vernünftig durchführt. Das ist der Weg, den die CDU/CSU-Bundestagsfraktion gehen will.
Beifall bei der CDU/CSU)
Mit der Verordnung des Schengener Grenzkodex, die ja auch immer zitiert wird, haben wir in der Europäischen Union im Prinzip den zweiten Schritt vor dem ersten gemacht. Wir haben die Außengrenze nicht gesichert, sagen aber: Wir müssen die Binnengrenzen abschaffen. – Das kann so nicht funktionieren.
Meine Damen und Herren, am 10. Juli tritt eine Verschärfung des Grenzkodex in Kraft. Das hilft uns nicht weiter, weil nämlich vorausgesetzt wird – und darauf kommt es an –, dass wir die Ströme der Menschen, die illegal die Grenzen überschreiten, im Blick haben und tatsächlich auch vermeiden.
Gerade die sehr hohe Zahl der Migrationsbewegungen setzt zwingend voraus, dass ein EU-Außengrenzmanagement effektiv umgesetzt wird. Vor allem – wem sage ich das? – das Drittstaatenverfahren brauchen wir; sonst hat alles andere keinen Sinn.
Das funktioniert in England ja auch total gut, das Drittstaatenverfahren!)
Aktuell können wir jedenfalls auf die Grenzkontrollen im Interesse der inneren Sicherheit und des Schutzes unserer Bürgerinnen und Bürger nicht verzichten; wir werden sie fortsetzen müssen. Das muss natürlich dosiert und verhältnismäßig erfolgen, um an anderer Stelle in dieser Gesellschaft – im Bereich der Freizügigkeit, im Rahmen der Zusammenarbeit mit den anderen Mitgliedstaaten – –
Kollege.
– keine Schäden herbeizuführen.
Vielen Dank.
Beifall bei der CDU/CSU)
Das Wort hat Sebastian Fiedler für die SPD-Fraktion.
Beifall bei der SPD sowie des Abg. Manuel Höferlin [FDP])