Als Nächste hat das Wort für die SPD-Fraktion Carmen Wegge.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen!
„Deutsche demokratische Altfraktionen“ heißt das, Frau Wegge!)
Sehr geehrte Damen und Herren! Jede dritte Frau hat in ihrem Leben mindestens einmal Gewalt erfahren, weil sie eine Frau ist. Jede vierte Frau ist in ihrem Leben mindestens einmal Gewalt in der Partnerschaft ausgesetzt. Alle zweieinhalb Tage wird eine Frau durch ihren Partner oder Ex-Partner ermordet. Das Dunkelfeld ist deutlich größer.
Stimmt!)
Daher kann man das Thema nicht häufig genug auf die Tagesordnung setzen.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Das Thema „Gewalt gegen Frauen“ muss endlich als das anerkannt werden, was es ist: ein systemisches und strukturelles Problem in unserer Gesellschaft. Gewalt gegen Frauen ist eine Manifestation des Patriarchats. Gut, dass die Union dieses mit uns bekämpfen will.
Beifall der Abg. Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wobei, wenn ich Ihren Gesetzentwurf so lese, dann bin ich mir unsicher, ob wir zu dem Teil mit dem Patriarchat die gleiche Analyse haben; denn Sie schreiben in Ihrem Entwurf:
„Bei der gefährlichen Körperverletzung, dem schweren Raub und bei Mord wird als neues Qualifikations- bzw. Mordmerkmal ‚unter Ausnutzung der körperlichen Überlegenheitʼ eingefügt. Damit können künftig Gewalttaten insbesondere zum Nachteil von Kindern, Frauen, Senioren und Menschen mit Behinderungen angemessen bestraft werden.“
Sehr richtig! Da stimme ich völlig zu!)
Ich übersetze das mal: Was haben aus Ihrer Sicht Frauen, Kinder, Senioren und Menschen mit Behinderungen gemeinsam, wenn sie Opfer von Gewalt werden? Sie sind körperlich unterlegen. Das ist ein Menschenbild, das ich so nicht teilen kann. Es widerspricht auch allem, was ich im Austausch mit Betroffenen von Gewalt und Menschen, die diese begleiten, erfahren habe.
Sie wollen das Strafrecht also nicht verbessern!
Zuruf der Abg. Dr. Silke Launert [CDU/CSU])
Gewalt richtet sich vor allem gegen die Selbstbestimmung der betroffenen Personen. Und nein, liebe Union, diese Taten treffen nicht nur körperlich unterlegene Menschen, wie Sie das gerne definieren würden.
Nein, aber sie sind besonders schutzwürdig!)
Sie treffen aus meiner Sicht sogar ganz klar starke Menschen, selbstbestimmte Frauen, queere Menschen und auch Betroffene mit Mehrfachdiskriminierungen.
Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Alle diese Taten sind meistens geprägt von patriarchalem Besitzdenken von Männern.
Das ist ja schön, dass Sie nichts für Frauen machen wollen!)
Es wird Gewalt ausgeübt, weil der Mann der Auffassung ist, dass ihm die Frau gehört, dass er über sie bestimmen kann.
Zuruf des Abg. Dr. Martin Plum [CDU/CSU])
Die Gewalt ist geprägt von widerlicher Feindlichkeit gegenüber Menschen, die zumeist nicht männlich-privilegiert sind.
Und was Sie komplett ausklammern, ist die Problematik der psychischen Gewalt. Gewalt muss nicht zu blauen Flecken führen. Psychische Gewalt ist ein Angriff auf die Selbstsicherheit und das Selbstbewusstsein eines Menschen. Wer psychische Gewalt ausübt, will sein Opfer kleinmachen, demütigen, verstören oder verängstigen und vor allem Kontrolle und Macht über den Menschen gewinnen.
Sehr richtig!)
Dabei ist es vollkommen unerheblich, ob man körperlich über- oder unterlegen ist.
Das stimmt doch gar nicht!)
Mit dem von Ihnen vorgeschlagenen Qualifikations- bzw. Mordmerkmal bringen Sie meiner Meinung nach daher vor allem Ihre Unwissenheit zum Thema Gewalt zum Ausdruck und stigmatisieren mit Ihrem Wortlaut die Betroffenen von Gewalt auf eine inakzeptable Art und Weise.
Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Wo ist denn Ihr Vorschlag?
Boah!
Sie tun gar nichts für Betroffene!)
Frau Wegge, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung des Kollegen Müller aus der CDU/CSU-Fraktion?
Ja.
Das ist aber ein Mann! Passen Sie auf!
Meine Güte!)
Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich selber stehe kritisch zu diesem Entwurf, aber ich möchte Ihnen eine Frage stellen: Unter welches Mordmerkmal möchten Sie die Tötung eines Säuglings beispielsweise unmittelbar nach der Geburt durch die Mutter subsumieren? Oder ist das für Sie kein Mord?
Ich kann zu Ihnen sagen, dass wir sehr gerne den Mordparagrafen reformieren würden, weil wir durchaus Handlungsbedarf sehen.
Weicher machen! Sie wollen ihn abschaffen oder weicher machen! Das ist das Ziel!)
Das wäre jetzt tatsächlich auch der nächste Absatz meiner Rede. Ich fände es gut, wenn man das zum Beispiel mit unter das Mordmerkmal „niedrige Beweggründe“ subsumieren kann.
Das ist aber nicht so!)
Wir wissen, da ist die Rechtsprechung vom BGH manchmal nicht das, was wir uns wünschen würden.
Sie sind die Gesetzgeberin!)
Deswegen komme ich jetzt gleich in meinem nächsten Absatz dazu, dass die Zielrichtung dieses Gesetzentwurfs, also über neue Mordmerkmale zu sprechen, durchaus etwas ist, auch wenn es um Frauen geht, was wir tatsächlich teilen.
Beifall bei Abgeordneten der SPD
Ja, welche denn? Vorschlag!
Welche denn?)
Ich fahre jetzt einfach mal fort. Wie gesagt, ich will durchaus betonen, dass wir in der Zielrichtung generell einig sind. Zum ganzheitlichen Opferschutz gehört vor allem auch eine konsequente und angemessene Bestrafung von Täter/-innen.
Bestrafung von Täterinnen?
„Täter/-innen“? Kann mir das mal jemand erklären?)
Wird eine Frau getötet, weil sie eine Frau ist, dann ist das keine Beziehungstat, dann ist es kein Familiendrama. Es ist Mord. Es ist ein Femizid.
Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Awet Tesfaiesus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wir sind als SPD-Fraktion durchaus bereit, darüber zu reden, dass wir für Fälle, in denen das Besitzdenken über den menschlichen Körper zu Gewalt und Tötung führt, ein neues Mordmerkmal brauchen. So wie Sie das hier vorschlagen, würden wir dem aber definitiv nicht zustimmen.
Machen Sie doch mal Vorschläge!)
Aber nicht nur in der Zielsetzung beim Mordmerkmal sind wir uns einig. Ich möchte auf eine Forderung hinweisen, bei der wir sogar einer Meinung sind: Gerade dann, wenn die Frau es geschafft hat, dem Gewalttäter zu entkommen und dabei ist, sich ein gewaltfreies Leben aufzubauen, muss man sie präventiv vor weiteren Übergriffen schützen.
Aha!)
Dies ist bis jetzt nicht gut möglich.
Ja!)
Die Einführung von Fußfesseln, so wie sie in Spanien erfolgt ist, ist zwar nicht das Allheilmittel, aber aus meiner Sicht ein geeignetes Mittel von vielen für den Schutz vor Partnerschaftsgewalt,
Beifall der Abg. Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
wobei ich hier betonen möchte, dass es auf die konkrete Ausgestaltung ankommt. In Spanien erlangt das potenzielle Gewaltopfer hierdurch auch einen konkreten Vorteil, nämlich dass die Frau beispielsweise über eine App alarmiert wird, wenn sich ihr der potenzielle Täter unerlaubt nähert.
Das ist alles drin!)
Dazu habe ich in Ihrem Entwurf jetzt aber, glaube ich, nichts gelesen.
Doch!)
– Doch? Okay, sehr gut; dann habe ich es überlesen. – Ich teile auf jeden Fall die Auffassung, dass Spanien ein sehr gutes Beispiel ist, wenn es um den Gewaltschutz geht.
Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Frau Wegge, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Krings aus der CDU/CSU-Fraktion?
Gerne.
Herr Krings, Sie haben das Wort.
Danke, dass Sie es zulassen – Ich habe mich nur gemeldet, um Ihren Erkenntnisgewinn noch zu steigern. In der Tat haben wir in der Begründung genau diese spanische Variante aufgenommen, sagen aber, dass das natürlich noch in der Praxis erprobt werden muss. Wir sind aber der Auffassung, dass das der nächste Schritt ist; der erste Schritt ist die Fußfessel. Da frage ich mich: Wenn Sie dafür sind und offenbar auch andere dafür sind, warum gibt es noch keinen Gesetzentwurf aus der Bundesregierung oder aus Ihrer Fraktion heraus, diese Fußfessel einzuführen in Deutschland?
Beifall bei der CDU/CSU)
Wie gesagt, an Ihrem Gesetzentwurf freut mich, dass Sie da auch auf die App eingehen – ich hatte das nicht gesehen –; denn ich finde, die Ausgestaltung in Spanien ist hervorragend. Wenn ich jetzt in meiner Rede fortfahre, werde ich darauf eingehen, was wir als Bundesregierung eigentlich so machen.
Zuruf der Abg. Serap Güler [CDU/CSU]
„Wir als Bundesregierung“? Sie sind Abgeordnete!)
Wir haben relativ viele Gesetzesvorhaben, die wir in den nächsten Monaten hier im Parlament im Bereich Gewaltschutz noch debattieren werden, und dann werden wir ja sehen, ob sich diese Forderung dort auch wiederfindet.
Beifall bei der SPD)
Schutz von Betroffenen aber ist so viel mehr, als Sie vorgeschlagen haben, liebe Union. Wir müssen es ganzheitlich und umfassend denken.
Jetzt komme ich zu den Dingen, die wir hier im Parlament noch debattieren und hoffentlich dann auch beschließen werden.
Wann denn?)
Zum Beispiel gehört auch die Sensibilisierung von Entscheidungsträger/-innen in der Justiz und bei den Strafverfolgungsbehörden dazu: Wie oft höre ich, dass Familienrichter/-innen die Istanbul-Konvention nicht kennen oder sich weigern, diese zu berücksichtigen? Zum Opferschutz gehört die ausnahms- und vorbehaltslose komplette Umsetzung der Istanbul-Konvention.
Gewalttätige Vorfälle zu Hause in den eigenen vier Wänden treffen neben den direkten Opfern ebenso die Kinder, die Sie laut Ihrem Entwurf auch schützen wollen. Aus diesem Grund müssen Fälle von häuslicher Gewalt im Sorge- und Umgangsrecht zwingend berücksichtigt werden. Das elterliche Umgangsrecht darf nicht länger die Sicherheit eines Elternteils oder des Kindes gefährden.
Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat erst vor zwei Wochen die wissenschaftlichen Studien zu diesem Thema noch einmal zusammengetragen und festgestellt: Diese Erfahrungen hinterlassen Spuren in der Persönlichkeitsentwicklung der Kinder. Die Auswirkungen sind hierbei vielfältig. So haben Kinder, die Partnerschaftsgewalt miterleben, ein höheres Risiko für posttraumatische Belastungsstörungen, für aggressives Verhalten, für Angstzustände, für Entwicklungsstörungen oder für Schwierigkeiten im Umgang mit Gleichaltrigen. Darüber hinaus bestehen bei ihnen häufiger schulische Probleme. Sie neigen häufiger zum Drogenmissbrauch und werden häufig selbst Opfer von Gewalt. Diese negativen Auswirkungen von miterlebter Gewalt auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen wurden in zahlreichen Studien belegt.
Zum Opferschutz gehört zudem aber vor allem auch der Schutz vor digitalen Übergriffen im Netz. Wir müssen nicht nur gegen einzelne rechtswidrige Inhalte vorgehen, sondern auch gegen ganze Accounts. Zur Durchsetzung des digitalen Gewaltschutzes müssen wir ein gerichtliches Verfahren schaffen, in dem Betroffene und Opferschutzorganisationen zeitweilig oder dauerhaft die Sperrung von anonymen Accounts in sozialen Netzwerken erreichen können, wenn mit diesen rechtswidrige Taten begangen werden.
Beifall der Abg. Susanne Menge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Auch bildbasierte Gewalt wie Deep Fakes muss unter Strafe gestellt werden.
„Müssen“ oder „werden“?)
Gut, dass wir bald über ein digitales Gewaltschutzgesetz in diesem Hause verhandeln werden.
Wann denn? Wahnsinn!)
Zum Opferschutz gehört aber auch ein klares Verbot von Belästigungen und Bedrängung von Frauen in einer der schwersten Situationen ihres Lebens vor Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen, Kliniken und Praxen. Genau das werden wir morgen hier in diesem Plenum debattieren und dann auch beschließen und verbieten.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Endlich!)
Gewalt sollte erst gar nicht passieren. Doch wenn sie passiert, dann müssen gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder einen verlässlichen Schutz vorfinden. Wir werden deshalb einen bundeseinheitlichen Rechtsrahmen für eine verlässliche Finanzierung von Frauenhäusern sicherstellen und das Hilfesystem auch zeitnah bedarfsgerecht ausbauen.
Ja, wann denn?
Wann denn?)
Es kann nämlich nicht sein, dass jedes Jahr knapp 16 500 Frauen mit oder ohne Kinder aus Kapazitätsgründen Schutz in Einrichtungen verwehrt wird.
Zuruf der Abg. Andrea Lindholz [CDU/CSU])
16 500 Frauen: 16 500 Fälle, in denen auch das Leben von Frauen auf dem Spiel steht.
Genau aus diesem Grund müssen wir hier, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, gemeinsam an einem Strang ziehen. Wir haben im gesamten Land eine chronische Unterfinanzierung von Frauenhäusern und Schutzeinrichtungen, in den konservativ regierten Ländern noch mal um einiges mehr. In Bayern, wo ich herkomme, gibt es aktuell 735 Schutzplätze. Nach der Istanbul-Konvention bräuchten wir über 3 300 Schutzplätze in Bayern. Für über 6,6 Millionen Frauen in Bayern stehen 735 Schutzplätze zur Verfügung. Damit gehört Bayern mal wieder zu einem der Schlusslichter in der Bundesrepublik. Liebe Kolleginnen und Kollegen der CSU, bitte sprechen Sie mit Ihren Landräten! Sprechen Sie mit Markus Söder! Nehmen Sie die Verantwortung des Schutzes von gewaltbetroffenen Frauen so ernst, wie wir das als SPD- Bundestagsfraktion tun!
Wir dulden keine Grenzüberschreitungen, keinen Angriff auf die Selbstbestimmtheit jeder einzelnen Person. Jeder Person, die schon einmal von Gewalt betroffen war oder sie noch immer erleben muss, möchte ich klar sagen: Wir stehen eng an Ihrer Seite. Wir werden alles dafür tun, dass Ihr Schutz und Hilfe für Sie oberste Priorität in unserem Land haben.
Vielen Dank.
Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP
Das war ja ein rhetorisches Feuerwerk!)
Als Nächster hat das Wort für die AfD-Fraktion Tobias Matthias Peterka.
Beifall bei der AfD)