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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuschauende! Heute verabschieden wir die zweite Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes und stärken damit auch gleichzeitig den Kapitalmarktstandort Deutschland.
Mit dem Gesetz geben wir Geschädigten die Möglichkeit und ein effektives Rechtsmittel an die Hand, um Schadensersatzansprüche im Kollektiv geltend zu machen. Gleichzeitig werden auch die Gerichte entlastet, die oftmals Tausende gleich gelagerte Individualverfahren zu den gleichen komplexen Rechtsfragen führen müssen, die nun durch ein Musterverfahren entschieden werden können.
Justiz, Anwaltskanzleien und Experten aus der Rechtswissenschaft sind sich einig: Das KapMuG hat sich bewährt.
Das stimmt doch gar nicht!)
Deshalb entfristen wir das Gesetz und verlängern es nicht einfach noch mal, wie die Opposition das hier gerne machen würde.
Zuruf des Abg. Dr. Martin Plum [CDU/CSU])
Man muss irgendwann auch mal Fakten schaffen, Herr Dr. Plum, und das machen wir hier. Das materielle Recht hätten Sie 16 Jahre lang ändern können.
Oh! Wenn ich kein Argument mehr habe, ne? Die restlichen zehn Minuten können wir uns sparen! Da kann ja nichts mehr kommen!)
Jetzt sind wir erst mal beim Prozessrecht. Vielen Dank.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Ein wesentlicher Punkt, den wir in dem Zusammenhang verbessert haben, ist, dass wir die Dispositionsbefugnis der Kläger/-innen gestärkt haben, indem diese nämlich wieder über das eigene Klageverfahren entscheiden können.
Mit dem neuen § 10 Absatz 2 KapMuG entfällt nunmehr die zwangsweise Aussetzung potenzieller zum Musterverfahren geeigneter Verfahren von Amts wegen. Die Aussetzung eines anhängigen Verfahrens zum Musterverfahren erfolgt zukünftig lediglich auf Antrag der Klagenden, soweit die Voraussetzungen vorliegen.
Vernünftige Klägerinnen und Kläger – um gleich mal der Kritik, die da kommen könnte, zu begegnen – werden einen Antrag stellen,
um das Verfahren auszusetzen, ohne dass sie dazu den Zwang des Gerichts brauchen. Die sind anwaltlich beraten
Ja, eben, und rechtsschutzversichert! Das ist doch heute schon das Kernproblem!)
– Sie waren ja Richter –, und den Richtern bleibt es unbenommen, einen richterlichen Hinweis zu geben, und in dem Zusammenhang werden die Kläger auch oftmals aus Kostengründen diesem Hinweis nachkommen.
Damit schaffen wir einen gesetzlichen Rahmen, nach dem diejenigen Verfahren ausgesetzt werden, bei denen ein Musterverfahren sich eben aus Sicht des Anlegerschutzes auch anbietet, aber auch die Klagenden entscheiden können, ob sie am Musterverfahren teilnehmen und davon profitieren möchten. Nicht zuletzt verhindern wir damit aber auch die Flucht der Beklagten in ein Musterverfahren.
Als weiteren zentralen Punkt haben wir den abstrakten Maßstab der Abhängigkeit eines Verfahrens von den Musterfeststellungszielen, wie von vielen Sachverständigen auch gefordert, nunmehr im Gesetz verankert. Aufgrund der Rechtsprechung des BGH, der bisher einen engen Maßstab vorsah – das haben uns auch die Sachverständigen in der Anhörung berichtet –, kam es immer wieder dazu, dass die Verfahren zu lang gedauert haben, weil die Prüfung des konkreten Maßstabs dann auch zu zeitintensiv und zu komplex war und das ganze Verfahren noch verzögert hat. Aus diesem Grunde haben wir uns für den abstrakten Maßstab entschieden und diesen nunmehr in § 3, § 6 und § 10 des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes verankert. Künftig reicht es aus, dass die Entscheidung des ausgesetzten Rechtsstreits voraussichtlich von den geltend gemachten Feststellungszielen des Musterverfahrens abhängt.
Wie ursprünglich vom Gesetzgeber vorgesehen, können die Gerichte jetzt einfacher die Kernfragen des Verfahrens herausarbeiten und das Musterverfahren definieren. Der breite Aussetzungsmaßstab erleichtert aber auch die Bündelung einzelner Klagen durch die Gerichte und vermeidet, dass ein großer Teil der Klagen in Individualprozessen weitergeführt werden muss. Damit man es vor dem Hintergrund der BGH-Rechtsprechung versteht: Der Aussetzungsmaßstab und die Form der Aussetzung, ob von Amts wegen oder von Klägerseite, sind wichtig, weil sie rudimentär zusammenhängen. Am Ende bedeutet das auch, dass Klägerinnen und Kläger hier noch mal in ihrer Dispositionsbefugnis bestärkt werden und der Rechtsstaat immer dann, wenn er den konkreten Aussetzungsmaßstab anwendet, diesen letztlich auch begründen muss. Das ist einfach zu zeitintensiv, und da sind wir den Sachverständigen gefolgt.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Ja, jetzt muss er eine Ermessensentscheidung überprüfen! Das ist keine Abwägung!)
Im Weiteren stärken wir in § 9 KapMuG die Oberlandesgerichte dadurch, dass wir ihnen mehr Kompetenz an die Hand geben, indem sie laut Vorlagebeschluss nunmehr den Sachverhalt abschichten und die Feststellungsziele neu fassen können. Weiterhin ist zu begrüßen, dass wir nun den Anwendungsbereich des KapMuG noch mal konkretisieren und Anlageinformationsblätter bei Kryptowährungen, Schwarmfinanzierungen sowie Ratings und Bestätigungsvermerke in den Katalog der betroffenen Kapitalmarktinformationen aufgenommen haben. Das ist aus unserer Sicht wichtig; denn wir wollen, dass auch viele Kleinanleger in den Kapitalmarkt gehen. Die müssen wir dann auch ausdrücklich vor Schaden schützen.
Eine weitere Verbesserung, die die Gerichte entlasten wird, besteht darin, dass wir den Anmeldezeitraum für die Ansprüche zum Musterverfahren anpassen und die rückwirkende Verjährungshemmung einführen. Die bisherige Regelung sah vor, dass die Anmeldung gemäß § 13 KapMuG nur binnen sechs Monaten ab Bekanntmachung des Eröffnungsbeschlusses und damit viel zu kurzfristig möglich war. Diese Problematik hat die Praxis geschildert: indem beispielsweise viele Individualklagen nach dem Verstreichen der Frist erhoben wurden, um so die drohende Verjährung zu verhindern. Diese Problematik haben wir nunmehr behoben, indem wir den Zeitraum verschoben haben. Mit dieser Reform passen wir in Artikel 9 den § 204 BGB so an, dass die Verjährungshemmung nun rückwirkend zum Zeitpunkt der Bekanntmachung des Vorlagebeschlusses eintritt, wenn bis dahin eine Anmeldung der Ansprüche zum Musterverfahren erfolgt ist und diese vor allem zu diesem Zeitpunkt noch unverjährt waren. Aber grundsätzlich ist es so, dass wir den Zeitraum erweitert haben und damit Geschädigten mehr Zeit bleibt, sich zu entscheiden, ob sie in das Musterverfahren reingehen wollen oder ob sie sich nicht dazu anmelden wollen.
Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Katharina Willkomm [FDP])
Nach § 4 Absatz 1 des Gesetzentwurfs soll die Bekanntmachung von Musterverfahrensanträgen nun binnen drei Monaten ab Eingang des Antrags erfolgen; das ist eine deutliche Beschleunigung. In dieser Zeit ist es möglich, sich dazu anzumelden.
Ein großer Erfolg, der zur Stärkung des kollektiven Rechtsschutzes beiträgt, ist, dass wir uns innerhalb der Berichterstattergespräche darauf einigen konnten, dass wir Beweiserleichterungen nach dem Vorbild von § 33 GWB einführen. Das war ein Punkt, der mir persönlich sehr wichtig war. Ich freue mich, dass wir uns darauf verständigen konnten. Es ist nämlich so, dass sich geschädigte Kläger/-innen regelmäßig einer Organisationsstruktur gegenübersehen, in die sie keinen Einblick haben und wo im Klageverfahren die Beweisführung oftmals deutlich erschwert ist. Zum ersten Mal schaffen wir es jetzt, im kollektiven Rechtsschutz eine Norm einzubringen, die in diesen Konstellationen für deutlich mehr Augenhöhe sorgt. Nach dem Vorbild von § 33 GWB wird es so sein, dass wir auf Antrag die Möglichkeit eröffnen, dass das Gericht die Herausgabe von Beweismitteln zwingend anordnet, die für die Anspruchsbegründung erforderlich sind und vom Anspruchsinhaber hinreichend konkret bezeichnet werden. Das trägt zur materiell-rechtlichen Gerechtigkeit bei, Herr Plum, zumindest in diesem Punkt, und auch zur Überzeugungsbildung des Gerichts.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Katharina Willkomm [FDP])
Ich möchte abschließend noch einen Ausblick geben, was den kollektiven Rechtsschutz angeht. Kollektiver Rechtsschutz ist für uns Sozialdemokraten auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Bürgerinnen und Bürger in diesem Land sollten dort zu ihrem Recht kommen, wo sie überlegenen Akteuren gegenüberstehen. Mit der Verbandsklage, die wir letztes Jahr eingeführt haben, haben wir ein gutes Rechtsmittel geschaffen, bei dem wir auch schon sehen, dass es von den Verbänden gut angenommen wird und auch wirkt. Ein Rechtsmittel muss geeignete Rechtsmittelwege anbieten, anderenfalls führt das zu einem Vertrauensverlust in den Rechtsstaat selber. Der kollektive Rechtsschutz ist aus meiner Sicht aber immer noch nicht zu Ende gedacht. Deshalb lade ich uns, die Ampel, ein, den Weg konsequent weiterzugehen, indem wir uns zeitnah der Einführung einer Gruppenklage widmen.
Abschließend danke ich allen Verhandlungspartnern und -partnerinnen, Frau Rottmann, Frau Willkomm und natürlich auch dem BMJ für die gute und konstruktive Zusammenarbeit. Wir haben einen wichtigen Schritt gemacht und an den richtigen Stellschrauben gedreht. Ich freue mich auf die breite Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Vielen Dank. – Das Wort hat der Abgeordnete Fabian Jacobi für die AfD-Fraktion.
Beifall bei der AfD)