Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben es hier mit einem Unionsantrag zu tun, dessen Inhalt ohne Frage von großem Interesse ist, politisch und medizinisch. Aber ich frage mich: Was bietet dieser Antrag wegweisend Neues? Im Grunde zitieren Sie in Ihrem Antrag mehrmals das „Deutsche Ärzteblatt“, schreiben aus mehreren Ausgaben in leicht veränderter Weise ab; aber neue Ideen, irgendetwas Außergewöhnliches oder Wegweisendes kann ich Ihrem Antrag nicht entnehmen.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Der Fehler, den Sie begehen, ist die Annahme, dass Covid ein einheitliches, klar definiertes Krankheitsbild ist. So ist es aber gerade nicht.
Deshalb brauchen wir ja Forschung!)
Was ist Long Covid, Post-Covid oder wie immer wir es nennen mögen? Der Begriff ist ja noch nicht einmal einheitlich definiert. Es ist davon auszugehen, dass Covid-19 über verschiedene Krankheitsmechanismen unterschiedliche Folgeerkrankungen auslösen kann. Post-Covid ist, salopp ausgedrückt, ein Sammelsurium von über 50 Symptomen mit vier Untergruppen, die Sie eigentlich auch kennen sollten. Dazu gehören Menschen mit einer organspezifischen Erkrankung, also einer schweren Herz-Lungen-Erkrankung als Folge der primären Infektion, Menschen mit einer dem ME/CFS ähnlichen Symptomatik – darauf werden Sie wahrscheinlich abzielen –, Menschen mit dem Post-Intensive-Care-Syndrom, PICS, und Menschen mit psychosomatischen Beschwerden. Das sind vier verschiedene Gruppen, die untereinander auch noch in gemischter Form auftreten.
Möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sorge zulassen?
Ja, das kann er gerne tun, weil Herr Sorge ja immer ganz süffisante Fragen stellt.
Vielen Dank, Herr Kollege Wollmann, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben gesagt, der Antrag sei ein Sammelsurium an Vorschlägen und wir hätten von Ärztevertretern, der Ärztekammer abgeschrieben. Zur Klarstellung: Ist Ihnen bewusst, dass das, was wir hier schildern und fordern, in der wissenschaftlichen Community eigentlich fast Konsens ist?
Das hat er doch gesagt!)
Wir brauchen mehr Vernetzungsstellen, gerade weil diese Krankheit von der Symptomatik her so indifferent ist, also so viele unterschiedliche Krankheitsbilder aufweist, wie Sie sagen. Wäre es deshalb nicht gerade notwendig, diesem Antrag zuzustimmen?
Wenn Sie sich hierhinstellen und sagen, dieser Antrag der Union sei Aufgewärmtes; denn man wisse nicht genau, wie Long Covid, Post-Covid, Post-Vac ausgestaltet sei, dann ist das doch im Grunde eine Verhohnepipelung der Betroffenen. Ich kann Sie nur noch einmal daran erinnern: Wir als Union haben im März den ersten Post-Vac- und Post-Covid-Gipfel organisiert.
Sie haben doch gerade schon gesprochen!)
Da haben uns viele Betroffene gespiegelt, dass sie dankbar sind, dass dieses Thema zum ersten Mal überhaupt ernst genommen wird. Viele von ihnen haben eine Odyssee hinter sich. Sie waren bei Ärzten, die dann sagten, man wisse gar nicht, was das ist, und: „Treiben Sie mehr Sport!“ oder: „Kümmern Sie sich ein bisschen mehr um Ihre Gesundheit!“.
Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU
Wo ist denn die Frage?)
Ich will noch einmal darauf hinweisen, auch wenn es wehtut, liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampel: Wir brauchen mehr Forschung.
Wo ist denn jetzt die Frage?)
Ich hätte eigentlich erwartet, dass Sie, Herr Kollege Wollmann, gerade als Arzt das auch sagen. Und das ist auch meine Frage zum Ende: Wollen Sie in Ihrer Funktion als Arzt den Betroffenen auch weiterhin so gegenübertreten und sagen, Long Covid, Post-Covid sei sehr indifferent und deshalb könne man diesen Anträgen nicht zustimmen?
Beifall bei der CDU/CSU
Er hat sich nicht über die Betroffenen geäußert, sondern nur über Ihren Antrag!)
Herr Sorge, vielen Dank für das ewig lange Statement. Ich habe, glaube ich, eineinhalb Minuten geredet, und Sie haben mich unterbrochen.
Sie haben die Frage doch zugelassen! Entschuldigung, dann muss ich sie doch auch stellen können!)
– Warum soll ich sie denn nicht zulassen?
Aber dass wir mit unseren Stellungnahmen die Kranken verhohnepipeln, weise ich wirklich zurück. Ich finde, das ist diskriminierend uns gegenüber.
Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Jeder von uns, auch meine Wenigkeit, aber auch der Gesundheitsminister, auch wenn er jetzt nicht anwesend ist, haben sich vom ersten Tag an für alle Patienten mit Post-Covid mehr als intensiv eingesetzt. Die Unterstellung, ich oder die Ampel würde Patienten verhohnepipeln, weise ich strikt von mir.
Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Also, so einfach, wie Sie es sich vorstellen, ist es nicht, auch nicht mit bestimmten Vorhaben. Ich finde, ehrlich gesagt, es ist fast eine Unverschämtheit, solche Worte in den Mund zu nehmen.
Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP
Also keine Antwort! Danke!)
Sie haben tatsächlich nur das „Deutsche Ärzteblatt“ dreimal zitiert, mehr haben Sie nicht gemacht. Sie haben kein wissenschaftliches Statement abgegeben.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Andrew Ullmann [FDP])
Ich wollte nur klarmachen, dass es keine einfachen Lösungen gibt, wie Sie das immer glauben. Mit ein paar Netzwerken ist es nicht getan. Und es wird auch nicht helfen, tausend Projekte nach dem Gießkannenprinzip anzustoßen, nach dem Motto: Viel hilft viel. Das haben wir schon; darauf komme ich noch zurück. Vielmehr müssen wir ehrlich sein, was Post-Covid und die ganzen Folgeerscheinungen, die ich geschildert habe, betrifft. Es sind noch so viele Probleme in der Grundlagenforschung zu lösen, dass wir nicht erwarten können, dass wir in einem Hauruckverfahren die Problematik vom Tisch fegen.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Das muss man einmal ganz klar sagen. Wir haben biomedizinisch, biologisch erhebliche Unkenntnisse, die wir nicht von heute auf morgen beheben können.
Ich sage Ihnen auch ehrlich: Alles, was bisher erschienen ist, sind zum Teil Preprints, also keine ausgegorenen Konzepte. Ich gebe Ihnen recht: Das muss besser koordiniert werden. Wenn wir die Studien genauer anschauen, dann sehen wir, dass es mehrheitlich Studien sind, die ohne Kontrollgruppen angelegt werden. Wir müssen also, wenn wir Gelder ausgeben, darauf achten, dass das Studiendesign auch wissenschaftlich kompetent angelegt ist. Sonst passiert gar nichts.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Ich empfehle Ihnen das „Journal of Medical Virology“ vom 6. November 2022. Da gibt es eine super Übersichtsarbeit. In dieser Arbeit werden sage und schreibe 230 Veröffentlichungen und 628 in Arbeit befindliche Studien untersucht. Aber ich gehe davon aus, dass Sie diese Studien nicht kennen. Und die meisten Studien erfolgten mit bisher bekannten Wirkstoffen; das ist also überhaupt nichts Innovatives. Wir müssen doch, wenn wir Studien fördern, davon ausgehen, dass wir nicht eine Studie mit einem Betablocker fördern, wie es bisher getan wurde – mit Prednisolon, also Cortison, mit Psychopharmaka –, sondern wirklich an die Grundlagen dieser Erkrankung herangehen und auf diese Art und Weise Wirkstoffe finden.
Ich fasse zusammen: Wir haben eine extrem hohe Studienlage. Wenn man genauer liest, werden pro Woche – Herr Sorge, das scheint nicht mehr so interessant für Sie zu sein – ungefähr tausend Studien veröffentlich. Daran sehen Sie, wie schwierig es ist, gezielt Forschung zu betreiben.
Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Ich sage Ihnen eines: Wir nehmen die Betroffenen sehr ernst. Wir wissen auch, dass vermehrt Schindluder getrieben wird; aber die Betroffenen dürfen nicht ausgenutzt werden. Wir wissen mittlerweile, dass es diverse IGeL-Anbieter mit sehr fraglichem Nutzen gibt. Es ist ja verständlich: Wer schwer krank ist und wem nicht richtig geholfen werden kann, der greift nach jedem Strohhalm.
Haben Sie sich mit den Betroffenen überhaupt mal unterhalten? Also, was Sie hier rumstammeln, das ist doch unterirdisch!)
– Ja, das letzte Mal vor zwei Stunden, mein lieber Herr Sorge. Ich hätte Sie gern eingeladen, aber Sie waren woanders.
Ich habe mich mit Betroffenen unterhalten!
Es ist schon ziemlich arrogant, zu behaupten, dass wir mit niemandem reden!)
Ich sage: Wir müssen Betroffene davor schützen, dass sie Schindluder ausgesetzt sind
Beifall der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
mit unseriösen Angeboten, die fälschlicherweise als wissenschaftlich fundiert verkauft werden. Das ist ein Politikum, mit dem wir umgehen müssen. Ich möchte auch davor warnen, zu sagen: Es wird schnelle und einfache Lösungen geben, wenn wir statt 10 Millionen Euro 100 Millionen Euro in den Topf legen. – Das muss nicht passieren. Wir können auch 100 Millionen Euro für die Krebsforschung ausgeben; dennoch werden in zehn Jahren immer noch Menschen an Krebs sterben. Das muss einem bewusst sein.
Wir haben am 12. Mai 2022 die Nationale Klinische Studien-Gruppe Post-Covid-Syndrom und ME/CFS freigegeben; diese ist in Arbeit. Und ich möchte auch darauf hinweisen, dass wir am 20. Dezember 2022 im Krankenhauspflegeentlastungsgesetz, dem Sie, glaube ich, nicht zugestimmt haben, § 92 eingepflegt haben, der den Gemeinsamen Bundesausschuss dazu verpflichtet, bis Ende des Jahres – das ist schnell für den G-BA – Versorgungsrichtlinien für Menschen mit Post-Covid und Erkrankungen ähnlicher Symptomatik bereitzustellen. Das ist in Arbeit. Ich gehe davon aus, dass wir im Herbst oder spätestens zum Winter die Beschlüsse des G-BA haben und damit verlässliche Methodenbewertungen, sodass wir diese bei der Versorgung der kassenärztlichen Patienten anwenden können.
Herr Kollege!
Ich weiß, ich bin ein bisschen über der Zeit, aber ich bin auch provoziert worden.
Es hilft ja nichts, wenn man das weiß und dann keine Schlussfolgerung zieht.
Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Till Steffen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ja, ich komme jetzt zum Schluss.
Nee, Sie waren schon am Schluss. Sagen Sie noch einen Schlusssatz ohne Komma.
Ich hoffe auf eine weiterhin lebhafte Diskussion.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Danke. – Zu einem Geschäftsordnungsantrag gebe ich das Wort dem Kollegen Brandner.
Auflösung des Bundestags!)