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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Landesministerin Gentges, Sie haben versucht, betont sachlich und faktenbasiert zu sprechen. Nur entlässt Sie das nicht aus der Verantwortung des Faktenchecks. Wenn man als Vergleichsgröße Zahlen von 2020, aus der Coronazeit, verwendet und sie zum Vergleich mit der jetzigen Situation heranzieht, ist das wissenschaftlich nicht redlich. Wir hatten eine Coronaphase, und selbstverständlich hatten wir da andere Flüchtlingszahlen. Wenn wir faktenbasiert reden wollen, dann wäre es bei der ohnehin so aufgeladenen Debatte um Migration einfach sinnvoll, wenn wir das dann tatsächlich auch tun würden.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt Vereinbarungen der MPK. Es wurde ein MPK-Beschluss auf der Basis von Absprachen zwischen den Ländern und dem Bund gefasst, rückgekoppelt mit den kommunalen Spitzenverbänden. Es gibt auch eine Protokollerklärung von Bremen und Thüringen, die sich ebenfalls explizit für eine diskriminierungsfreie Bezahlkarte aussprechen. Alles beinhaltet die Vereinbarung, bundeseinheitliche Standards zu setzen und bei Bedarf auch auf Bundesebene gesetzgeberisch tätig zu werden. Entsprechende Formulierungsvorschläge sind im BMAS in Arbeit bzw. schon ausgearbeitet. Das ist der Tatbestand – sehr unspektakulär. So sieht es gegenwärtig aus.
Hinzu kommt – ich erwähne das, weil ich der Meinung bin, dass man faktenbasiert argumentieren sollte –, liebe Union, dass auch hochgeschätzte Sachverständige, die Sie wiederholt in den Ausschuss berufen haben, wie Herr Thym, sagen, dass es aus ihrer Sicht nicht zwingend notwendig sei, das bundesgesetzlich zu regeln, zugleich aber durchaus hilfreich, um Rechtssicherheit zu schaffen und bei Klageverfahren entsprechend Verlässlichkeit zu erzeugen. Diese Nuancen sterben immer in Ihren Argumentationen und bleiben unerwähnt; aber Sie sollten auch auf Ihre eigenen Sachverständigen hören, damit wir ein umfassendes Bild von der ganzen Situation haben.
Ich war letztens auf einer Demonstration für Demokratie in meiner Heimatstadt. Sie können es sich vorstellen: Auch viele sehr links orientierte Diskutanten hat das Thema Bezahlkarte emotionalisiert. Auch unser örtlicher Caritasdirektor sah sie als Ausdruck eines Rechtsrucks, als Dammbruch. Ich war – Sie können es sich vorstellen – mit ihm nicht einer Meinung und habe das auch entsprechend mit ihm ausdiskutiert.
Dann aber lese ich die Äußerungen und die Fragen des Abgeordneten Pilsinger, und da vergehen mir langsam alle Möglichkeiten der Nachsichtigkeit mit der Union. Da sagt er doch ernsthaft, dass es nicht angehe, wenn auf Kosten des deutschen Steuerzahlers Geflüchtete mit Bezahlkarten Alkohol und Zigaretten erwerben würden. Er sagt darüber hinaus, wer für mehr als 200 Euro Taschengeld rauchen und saufen wolle, der solle dafür gefälligst arbeiten.
Zurufe von der CDU/CSU: Ja!
Recht hat er! Stimmt doch!)
Wenn er so argumentiert, dann fällt es mir tatsächlich schwer, auf Basis von Fakten und Sachlichkeit mit meinem Caritasdirektor zu sprechen; denn eine solche Bezahlkarte, wie Herr Pilsinger und andere sie sich vorstellen, will die Ampelkoalition gewiss nicht, und vernünftige Bundesländer wollen sie auch nicht in dieser Form.
Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]
Aha! Also nach Cannabis jetzt auch alles andere! Alles klar!)
Im Übrigen rate ich Herrn Pilsinger, auch einmal zu überlegen, ob es nicht sein könnte, dass der Durchschnittsdeutsche wahrscheinlich mehr säuft als jeder Geflüchtete aus Syrien, Afghanistan oder der Türkei.
Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Und da sind wir beim entscheidenden Punkt: Wir können doch jede Form einer vernünftigen Debatte und eines Bündnisses bei Demonstrationen, bei denen auch Leute zugegen sind, die restriktive Vorstellungen von Migration haben, und solche, die sehr offenheitsorientierte Vorstellungen haben, vergessen, wenn eine solche Tonalität von Ihnen angeschlagen wird, eine solche Tonalität, bei der man nur sagen kann, dass sie schier rassistisch ist. Meinen Sie ernsthaft, dass die Menschen dämlich sind? Was sagen Fachkräfte aus Ägypten, wenn sie hören, welche Bilder im Zusammenhang mit der Bezahlkarte verbreitet werden?
Vor allem, wenn die Leute Ihre Rede hören! Dann verzweifeln alle!)
Darum geht es. Niemand stellt in Abrede, dass wir ernsthaft über sinnvolle Instrumente sprechen wollen. Aber Sie müssen sich in diesem Moment auch vor dem verantworten, was mir Armin Kurtović am letzten Sonntag in Hanau gesagt hat. Da geht es nicht um einzelne Details von Migrations- und Asylpolitik; dazu haben auch die Hinterbliebenen von Hanau unterschiedliche Auffassungen. Aber er sagte mir: Für mich ist Remigration Realität geworden. Ich fühle mich nicht mehr wohl in diesem Land, wenn ich höre, dass meine Kinder offensichtlich kleine Paschas sind. Für mich ist kein Platz hier. – Das müssen Sie sich mal klarmachen! So nimmt er das wahr. Das sind die Bilder, die verbreitet werden, wenn wir über rauchende und saufende Geflüchtete sprechen. Der Ton macht die Musik.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Das gilt aber auch für Sie!)
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Das sind die Bilder, die Sie verbreiten. Wollen Sie ernsthaft ein Land, in dem wir sagen, –
Herr Kollege Lindh, kommen Sie bitte zum Schluss.
– dass Fachmigration gewünscht ist, Sie aber jedes Mal, wenn wir über Instrumente sprechen, Recht und Ordnung mit rassistischem Muff verbinden?
Das ist eine Unverschämtheit, Herr Lindh! Mäßigen Sie sich!
Sie haben doch die Bomberjacke an und die Springerstiefel!)
Wenn das so ist, dann können wir dieses Land vergessen. Diesen Weg der Unsachlichkeit und der faulen Kompromisse
Das Mikrofon wird abgeschaltet)
Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir fahren in der Debatte fort. Achten Sie doch bitte ein wenig auf Ihre Redezeit!
Der nächste Redner ist Klaus Ernst für die Gruppe BSW.
Beifall beim BSW)