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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Ich bin froh, dass wir heute die Fristen für das fünfte Kitainvestitionsprogramm um sechs Monate verlängern. Wir schaffen damit für viele Träger eine Perspektive, ihre bewilligten Projekte doch noch fertigzustellen, und gehen auf den Wunsch der Bundesländer ein, die uns gesagt haben, dass sie noch mehr Zeit brauchen. Eine Verlängerung um ein Jahr ist leider nicht möglich, Herr Edelhäußer, da die Mittel für das Programm aus dem Deutschen Aufbau- und Resilienzplan stammen. Für diese Mittel gibt es Vorgaben der Europäischen Union und einen klaren Zeitplan, den wir einhalten müssen. Eine Verlängerung, wie von der Union vorgeschlagen, birgt das Risiko, dass diese Mittel nicht ausgezahlt werden. Wir gehen mit der aktuellen Fristverlängerung also an das absolut mögliche Limit.
Mehr Kooperation und zügigere Verfahren für den Bau von neuen Kitaplätzen sind aber das eine. Auf der anderen Seite nützt all der neue Beton nichts, wenn wir nicht genügend Köpfe, also Fachkräfte, in den Kitas haben. Dieses Dilemma lässt sich besonders anhand der aktuellen Entwicklung in Tübingen verdeutlichen. Diese steht stellvertretend für die akute Krise, die wir bereits jetzt vielfach im Süden der Republik haben und die auch in anderen Bundesländern droht. Was passiert in Tübingen gerade? In der Vergangenheit wurden dort viele neue Kitaplätze geschaffen, und der Bedarf ist ungebrochen hoch. Gleichzeitig sind aktuell 10 Prozent aller Stellen für Erzieherinnen und Erzieher in den kommunalen Kitas unbesetzt. Auch bei den freien Trägern in der Stadt sieht die Lage nicht besser aus. Dieser Fachkräftemangel führt zu häufigen Kita- und Gruppenschließungen. Dabei unternimmt Tübingen vieles aus eigener Kraft, um das Problem zu lösen. Die Stadt hat eine wirklich engagierte Sozialbürgermeisterin, die mit allen Mitteln gegen den Fachkräftemangel vorgeht. Trotzdem musste die Kommune die Reißleine ziehen: Ab September wird der Großteil aller städtischen Kitas um 13.15 Uhr schließen – um 13.15 Uhr, mitten am Tag!
Gemeinsam mit meinem Kollegen Martin Rosemann haben wir am vergangenen Freitag in Tübingen mit Eltern, Beschäftigten, Stadtverwaltung, Gewerkschaften und der Universität über Möglichkeiten gesprochen, wie wir als Bund in dieser Situation helfen können. Beim Gespräch berichtete ein Vater, dass in seiner Einrichtung, einer Kita in freier Trägerschaft, die Eltern einen Tag pro Woche wählen müssen, an dem sie keine Kinderbetreuung haben. An jedem anderen Tag in der Woche schließt die Kita bereits um 14 Uhr. Seine Frau ist Ärztin, er ist ebenso berufstätig. Stellen Sie sich bitte vor, mit welcher zusätzlichen Belastung diese Situation für die Familien einhergeht.
Mir ist wichtig, hier zu schildern, was uns Betroffene in Tübingen mitgeteilt haben, was sie fordern. Da ist die alleinerziehende Mutter Maria Tiede, die durch die eingeschränkten Kitaöffnungszeiten vor großen Problemen steht, ihre berufliche Tätigkeit weiter fortführen zu können. Gerade für sie als Alleinerziehende ist die wegfallende Kinderbetreuung eine extreme Belastung. Sie berichtet, dass sich bei vielen Müttern durch den Zwang zur Reduzierung von Arbeitszeiten das Risiko von Altersarmut erhöht.
Da ist Carolin Huhn, Chemieprofessorin an der Universität Tübingen, die aufgrund der fehlenden Kinderbetreuung ihre Arbeitszeit massiv in die Nacht ausgeweitet hat. Sie sagt, sie lebe den weiblichen Studierenden gerade vor, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf aufgrund staatlicher Versäumnisse scheitert, und wir so viele begabte junge Frauen für die Wissenschaft verlieren.
Da ist die Kitaleiterin Birgit Bals, die mit großer Leidenschaft frühkindliche Bildung organisiert, die sich bessere Rahmenbedingungen und mehr Unterstützung durch Freiwilligendienstleistende wünscht. Und da ist die Mutter Leila Emmer, die fordert, Fachkräfte endlich besser zu bezahlen, um die Attraktivität des Berufs zu erhöhen, und die eine verstärkte Ausbildung von Fachkräften fordert und klarmacht, dass Kitaschließungen ein Brandbeschleuniger für den Fachkräftebedarf in anderen Berufen sind.
Als Bund müssen wir der alleinerziehenden Mutter, der Professorin, der Erzieherin sagen: Obwohl wir über Kitainvestitionsprogramme und das Gute-KiTa-Gesetz in den letzten Jahren über 1 Milliarde Euro nach Baden-Württemberg gegeben haben, konnten wir nicht verhindern, dass es zu dieser Krise gekommen ist. In Tübingen, aber auch in vielen anderen Orten in Baden-Württemberg droht eine Zwangsrückkehr zu alten Geschlechterrollen, weil leider vor allem Frauen die zusätzlich notwendige Betreuung von Kindern übernehmen. Das dürfen wir nicht akzeptieren.
Die Lösungen für die Bekämpfung des Fachkräftemangels liegen längst alle auf dem Tisch. Wir brauchen endlich eine entschlossene Bereitschaft aller Bundesländer, zusammen mit Bund und Kommunen die Probleme in der frühkindlichen Bildung anzupacken. Weniger Gedanken an den eigenen Landeshaushalt, weniger Kirchturmdenken nur in den eigenen Landesgrenzen, mehr gemeinsame Kraftanstrengung für die Kinder in unserem Land! Was heißt das konkret? Wir starten zusammen eine Fachkräfteoffensive für die frühkindliche Bildung, die dem gravierenden Mangel gerecht wird.
Es stehen doch gar keine Fachkräfte zur Verfügung! Das ist doch alles Quatsch! Das sind Luftschlösser, die Sie bauen!)
Dafür brauchen wir einen Fachkräftegipfel für frühkindliche Bildung zusammen mit allen Beteiligten –
einen Gipfel mit Eltern, Fachkräften, Gewerkschaften, Kommunen und Ländern –, der konkrete Maßnahmen beschließt.
Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Wir kennen die Lösung. Jetzt heißt es, ins Machen zu kommen, um Eltern, Erzieherinnen und Erzieher und vor allem Kinder zu unterstützen. Wir haben gezeigt, dass wir Kitas bauen können. Jetzt müssen wir zeigen, dass wir sie auch öffnen können.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das Wort hat Beatrix von Storch für die AfD-Fraktion.
Beifall bei der AfD)