- Bundestagsanalysen
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister Buschmann! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der Bundesregierung enthält vier Themenblöcke aus dem strafrechtlichen Sanktionsrecht. Dazu in aller gebotenen Kürze: In der Mediationsausbildung habe ich mal gelernt, dass man weniger konfliktbeladene Themen an den Anfang stellen soll, um schnelle Einigungen zu erzielen. Das sorge dann für Erfolgserlebnisse und motiviere auch. Entsprechend werde ich in meiner Rede jetzt so vorgehen, damit Sie, sehr geehrter Herr Minister Buschmann, auch mal wieder das Gefühl eines Erfolges genießen können, zumal der „Spiegel“ ja in dieser Woche getitelt und geschrieben hat, dass Sie seit den Auseinandersetzungen mit Minister Lauterbach um die Coronamaßnahmen keine Erfolge mehr hätten verbuchen können.
Dr. Marco Buschmann, Bundesminister: Wer schreibt denn so was?)
Mit dem ersten Punkt, mit der Erweiterung von Auflagen und Weisungen im Zusammenhang mit den Bewährungsanordnungen oder Einstellungsauflagen – das haben Sie nicht erwähnt –, schafft Ihr Gesetzentwurf die Möglichkeit, auch Therapieauflagen gegen den Willen anzuordnen, was bisher nur nach einer vollständigen Verbüßung einer Freiheitsstrafe im Rahmen der Führungsaufsicht möglich war. Damit hat man gute Erfolge erzielt, beispielsweise bei Sexualstraftätern eine Rückfallreduktion um 50 Prozent. Deshalb halten wir diese Änderungsvorschläge für zielführend und stimmen ihnen, auch im Einklang mit der Richterschaft, zu. Bei aller Freude über diesen Konsens darf man allerdings nicht übersehen, dass es dazu auch Therapeuten und Therapieplätze braucht; ansonsten stehen solche Auflagen nur auf dem Papier und müssen gegebenenfalls sogar kassiert werden, wenn es dem Betroffenen unmöglich wird, sie zu erfüllen.
Der zweite Punkt – Sie haben es erwähnt –: die Änderungsvorschläge zum Maßregelvollzug. Nach heutigem Stand werden wir dem zustimmen. Eine andere Haltung an den Tag zu legen, nachdem wir einen gleichlautenden Gesetzesvorschlag gemacht hatten, käme sonst einem, juristisch ausgedrückt, Venire contra factum proprium gleich, wäre also widersprüchlich.
Ihr Entwurf deckt sich wie unserer nahezu vollständig mit dem Vorschlag der Bund-Länder-Arbeitsgruppe vom November 2021. Anders allerdings als den Rednern der Ampelkoalition im Mai 2022 liegt es mir fern, Ihnen, Herr Minister, oder Ihrem Haus deshalb den Vorwurf eines Plagiats machen zu wollen.
Beifall bei der CDU/CSU)
Aber den Vorwurf der gefährlichen Untätigkeit kann ich der Ampelkoalition nicht ersparen. Im Januar 2022 hat das Ministerium diesen Vorschlag der Bund-Länder-Arbeitsgruppe veröffentlicht. Dann geschah allerdings nichts mehr, wobei, ganz offen gestanden, wir von der Union nach den überschaubaren Tagesordnungen des Rechtsausschusses nicht feststellen können, dass das Haus mit zahlreichen anderen vorrangigen Gesetzesvorhaben beschäftigt gewesen wäre.
Dennoch weigern Sie sich, unserem Vorschlag näherzutreten. In sieben Ausschusssitzungen haben Sie ihn jeweils nicht mal behandelt, im Dezember 2022 endgültig abgelehnt. Wegen der nicht geänderten Rechtslage, die dazu führt, dass, wie Sie es ausgedrückt haben, der Maßregelvollzug aus allen Nähten platzt, kamen Dutzende gemeingefährliche Straftäter auf freien Fuß. Das nahmen Sie ganz bewusst in Kauf. Die Wochenzeitung „Zeit“ titelte am 16. Februar 2023:
Sie werden zu mehreren Jahren Haft verurteilt – und kommen gleich wieder frei.
Den Kollegen Fechner aus der SPD, der auch gerne zitiert, zitiere ich jetzt auch mal. Er wird in diesem Artikel mit den Worten zitiert, er sehe „dringenden Handlungsbedarf“ und es gebe ein „erhebliches Sicherheitsrisiko“. Warum braucht die Ampel dann dazu mehr als ein Jahr? Warum lehnen Sie einen im Mai 2022 Ihnen auf dem silbernen Tablett präsentierten Gesetzesvorschlag der Union ab? Mutmaßlich weil sich die Koalitionspartner wieder einmal verheddert hatten. Angeblich bei über 30 Gesetzgebungsvorhaben soll das der Fall sein. „Stillstand statt Fortschritt“ nenne ich das.
Beifall bei der CDU/CSU)
Der dritte Punkt: die Halbierung der Ersatzfreiheitsstrafe. In der Tat, 86 Prozent aller Verurteilungen bei Strafgerichten erfolgen zu einer Geldstrafe. Wird sie nicht bezahlt – Sie haben es gesagt –, tritt an die Stelle eines Tagessatzes ein Tag Freiheitsstrafe. Das ist – das sieht auch der Gesetzentwurf so vor – ein Druckmittel, ohne das ansonsten die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs infrage gestellt wäre. Ob es allerdings der Halbierung bedarf, wie Sie es vorsehen, muss die weitere Beratung klären. Das Argument der Inanspruchnahme vieler teurer Haftplätze verliert an Bedeutung, wenn man berücksichtigt, dass 75 Prozent aller Geldstrafen bezahlt werden. Das geschieht vielfach schon jetzt unter der Bewilligung von Ratenzahlung. Knapp 10 Prozent gehen in Gesamtfreiheitsstrafen auf. Der Rest wird durch gemeinnützige Arbeit oder durch Niederschlagung erledigt. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass der Rechtsstaat kapituliert, dass er seine Handlungs- und Durchsetzungskraft abschwächt.
Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat ein ganzes Bündel von Maßnahmen vorgeschlagen; Teile haben Sie erwähnt. Allerdings betrifft die Halbierung aus unserer Sicht einen Prüfauftrag. Es wird die weitere Beratung ergeben, inwieweit man dem nahetreten kann.
Unbeantwortet im Vorschlag ist übrigens auch die Frage, wie mit einer Ungleichbehandlung zu verfahren ist, die entsteht, wenn derjenige, der die Strafe bezahlt, die vollen Tagessätze bezahlt hat, während derjenige, der sie nicht bezahlt, nur noch die Hälfte der Strafe absitzt. Das muss man klären.
Zu guter Letzt: die Änderung der Strafzumessungsvorschrift des § 46 Absatz 2 StGB und die genannten strafschärfenden Merkmale. Dazu möchte ich anmerken, dass es selbstverständlich eine deutliche Antwort der Justiz auf die steigenden Fallzahlen von weiblichen Opfern und Angehörigen sexueller Minderheiten braucht. Allerdings geht das schon jetzt mit der vorhandenen Gesetzeslage. § 46 StGB lässt es zu, dass sonstige menschenverachtende Beweggründe angemessen gesühnt werden. Das steht auch in der Entwurfsbegründung drin. Der Entwurf macht letztendlich den Tatgerichten unnötige Vorgaben. Er verkompliziert die Beweisaufnahmen.
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.
Schlussfrage: Worin liegt der juristische Mehrwert für die Opfer? Oder ist das wieder nur ein Versuch, sich medienwirksam in Szene zu setzen? Das hätten die Opfer nicht verdient.
Kolleginnen und Kollegen, ich schließe mit der Ankündigung, dass wir von der Union an den weiteren Beratungen offen und konstruktiv mitwirken werden.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Beifall bei der CDU/CSU)
Vielen Dank, Herr Kollege Müller. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Johannes Fechner, SPD-Fraktion.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)