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Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Ich komme aus einer Handwerksbäckereifamilie. In diesem
Familienbetrieb werden noch jeden Tag köstliche Backwaren – am liebsten ist mir das ehrliche, knusprige Brot – von Hand hergestellt und verkauft. Damit werden
Umsätze und letztlich Gewinne erwirtschaftet, auf die natürlich Steuern gezahlt werden, die wiederum für den Aufbau und Erhalt der Infrastruktur, gute Bildung
und viele andere wichtige Dinge des Gemeinwesens genutzt werden.
So funktioniert das Ertragsteuersystem für die große Mehrheit der circa 3,4 Millionen Unternehmen in Deutschland. Doch es gibt einige große
multinationale Konzerne, die hier trotz hoher Geschäftsaktivitäten und Umsätze kaum oder gar keine Steuern zahlen. Wir alle fragen uns zu Recht: Wie kann das
sein, und warum lassen wir das als Gesellschaft zu? Mit dem heutigen Gesetzentwurf machen wir gemeinsam einen wichtigen Schritt gegen diese
Steuergestaltung.
Was sich hinter dem Begriff „Steuergestaltung“ genau versteckt, zeigt beispielsweise ein Blick in das Country-by-Country Reporting des
Mineralölkonzerns Shell, der als Rohstoffunternehmen diese Informationen schon heute verpflichtend veröffentlichen muss. Shell machte 2021 nur einen ganz
kleinen Teil seines sogenannten Außenumsatzes in der Schweiz, nämlich ein Fünfzigstel im Vergleich zur EU. Hingegen ist die Gewinnmarge in der Schweiz viel
höher als in der EU. Sie liegt dort bei circa 125 Prozent, während sie in der EU insgesamt nur durchschnittlich 4 Prozent beträgt; sie ist in der Schweiz also
über 30‑mal so hoch. Übersetzt heißt das: Die Umsätze, also die Geschäftsaktivitäten, sind zwar hauptsächlich in der EU angefallen, aber die Gewinne wurden
zwecks geringerer Versteuerung massiv in die Schweiz verlagert. Möglich ist dies durch konzerninterne Verkäufe, insbesondere von Marken- und Patentrechten, oder
interne Kreditvergaben.
Was die Konzerne hier machen, ist zwar meist legal – wie Sie auch schon ausgeführt haben –, aber gesellschaftlich legitim ist es dadurch noch lange
nicht.
Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Philipp Hartewig [FDP])
Sollten Steuern nicht auch dort gezahlt werden, wo wirtschaftliche Aktivität stattfindet, wo der Wert generiert wird? Wenn Shell in Deutschland
Umsätze macht, die in seinen weltweiten Gewinn einfließen, dann sollten doch auch die deutschen Steuerzahler/-innen etwas für die Infrastruktur zurückerhalten,
die es Shell überhaupt erst möglich macht, hier wirtschaftlich tätig zu sein.
Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Philipp Hartewig [FDP])
Bisher sind ausschließlich Rohstoffkonzerne zur Veröffentlichung dieser detaillierten länderbezogenen Informationen verpflichtet. Nur deswegen kann
ich überhaupt das Beispiel nennen. Wenn wir landesbezogene Daten beispielsweise über andere Branchen wie Chemie, Digital oder Pharma suchen würden, würden wir
sie so nicht finden können, und das wird sich jetzt endlich ändern.
Bisher findet der Großteil der Steuergestaltung unsichtbar statt. Auch als Gesetzgeber/-in hier im Bundestag blieb uns der Zugang zu diesen
Informationen bislang oft verwehrt und lag ausschließlich bei den Finanzämtern. Wie wichtig der zeitgerechte Zugang zu solchen Daten aber ist, wurde mir selbst
bewusst, als ich mit dem Thema „Übergewinne bei Mineralölkonzernen“ beschäftigt war. Nur wenige dieser Unternehmen sind in Deutschland börsennotiert. Nur hier
hatten wir zeitnah Informationen, die uns in dem Fall glücklicherweise ausreichend Hinweise geben konnten. Ich möchte evidenzbasierte Politik machen, und dafür
brauchen wir Daten.
Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Mehr Transparenz ist einfach angebracht; denn die finanziellen Auswirkungen für die öffentlichen Haushalte sind enorm. Es gibt eine Schätzung, dass
aufgrund von Steuergestaltung innerhalb der EU circa 50 Milliarden Euro an Steuereinnahmen verloren gehen, davon circa ein Drittel allein in Deutschland. Also
geht es bei uns wahrscheinlich um einen zweistelligen Milliardenbetrag. Und wir alle wissen, dass wir dieses Geld sehr gut für die Zukunftsgestaltung brauchen
können – Beispiele „Kindergrundsicherung“ und „nachhaltige Transformation der Wirtschaft“.
Mit der jetzigen Umsetzung der EU-Richtlinie zur Offenlegung von Ertragsteuerinformationen – das ist ein Zungenbrecher, wie ich gerade merke – werden
wir die Problematik der massiven internationalen Steuergestaltung natürlich nicht vollumfänglich lösen. Aber wir schaffen einen wichtigen Schritt in die
richtige Richtung, indem wir durch die Offenlegungspflicht eine informiertere öffentliche Debatte für Politik, aber auch für Wissenschaft und Zivilgesellschaft
ermöglichen.
Faktenbasierte Politik braucht als Grundlage nun mal Fakten. Umso wichtiger ist daher, dass wir hierbei im Bereich der Ertragsteuern jetzt EU-weit und
auch bei uns vorankommen. Dafür kämpfen wir Grüne seit vielen Jahren mit Nachdruck, und das ist heute wirklich ein Erfolg.
Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Auch hinsichtlich des Konzernverhaltens kann die Offenlegung einiges ändern. Zwar ist aggressive Steuergestaltung nach wie vor legal, aber die
Offenlegung dieser Praktiken wird für sie sicher Effekte in puncto Reputation haben. Das gilt insbesondere für Unternehmen, die sich mit der Ausübung ihrer
gesellschaftlichen Verantwortung in ihren Communitys schmücken und bei denen die offenbarten Steuertricks einen klaren Widerspruch zu selbstgesetzten Zielen und
Verpflichtungen entstehen lassen.
Unternehmen werden sich daher vermehrt fragen müssen, was schwerer wiegt: das Begleichen der Steuerschuld in den Ländern, wo sie wirklich tätig sind,
oder das Riskieren von erheblichen Glaubwürdigkeits- und Akzeptanzverlusten mit drohenden langfristigen Umsatzeinbußen? In jedem Fall wird das Thema sowohl in
der Öffentlichkeit als auch in den Vorstandsetagen an Bedeutung gewinnen, und das ist gut so.
Nun müssen wir die EU-Richtlinie erst mal in nationales Recht umsetzen. Und, lieber Herr Buschmann, jetzt kommt noch das Parlament; danke für Ihren
tollen Vorschlag. Wir hätten noch drei Punkte, die uns wichtig sind:
Erstens. Bei der Schutzklausel müssten wir den Missbrauch so weit wie möglich reduzieren und uns noch mal über die Fünfjahresfrist unterhalten.
Zweitens sollten wir sehr gut reflektieren, ob die Wirtschaftsprüfung nur binär sagt: „Das ist reported, oder das ist nicht reported“, oder ob sie nicht auch
sagen sollte, ob das inhaltlich passt, und ob sie auf Korrektheit prüfen sollte. Und drittens ist uns wichtig, dass das geografische Spektrum der
Offenlegungspflicht auf weitere Länder des Globalen Südens ausgeweitet wird. Damit würden wir diesen Ländern bei der Verbesserung ihres Steuervollzugs wirklich
helfen und mehr globale Steuergerechtigkeit erreichen.
Das Gesetz handelt von Marktfairness. Ich freue mich sehr, dass wir hierbei zusammen vorankommen.
Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)
Der Kollege Christian Görke hat das Wort für die Fraktion Die Linke.
Beifall bei der LINKEN)