Tagesordnungspunkt:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Clara Bünger, Nicole Gohlke, Gökay Akbulut, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs – Straffreiheit für Fahren ohne Fahrschein
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Clara Bünger, Susanne Hennig-Wellsow, Nicole Gohlke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Entkriminalisierung des Containerns von Lebensmitteln
c) Antrag der Abgeordneten Clara Bünger, Susanne Hennig-Wellsow, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für eine Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe und eine Geldstrafe nach dem Einbußeprinzip
d) Antrag der Abgeordneten Clara Bünger, Susanne Hennig-Wellsow, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verteidigung für Mittellose sicherstellen – Für einen rechtlichen Beistand der ersten Stunde
e) Antrag der Abgeordneten Clara Bünger, Susanne Hennig-Wellsow, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für mehr Gleichheit im Strafrecht – Armutsbestrafung abschaffen und ein Unternehmensstrafrecht einführen
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Beifall:
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Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ehe ich zu den Anträgen und Gesetzentwürfen der Linken im Einzelnen komme,
möchte ich doch ein paar einordnende Gedanken zur Strafrechtspolitik in Deutschland allgemein sagen und den Blick ein bisschen weiten. Denn in den letzten Jahren ist es doch sehr in Mode gekommen, auf jedes sicherheitsrelevante Ereignis in Deutschland geradezu reflexartig Forderungen entweder nach neuen Straftatbeständen oder einer Anhebung des Strafrahmens zu erheben, und oft ist es leider auch so umgesetzt worden.
Immer mehr und immer härter zu bestrafen, das war lange Zeit die einzige Richtung, die wir in der Strafrechtspolitik gekannt haben. Strafrecht ist allzu oft als politische Wunderwaffe eingesetzt worden, meist auch, weil es preiswert ist. Den Bundesgesetzgeber kostet es meistens nichts. Aber Strafe ist eben keine Wunderwaffe, keine Allzweckwaffe der Politik.
Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Kriminalität bekämpft man nicht mit immer höheren und mehr Strafen, sondern mit mehr Personal und besserer Ausstattung. Das ist oft das Problem gewesen, dass Strafrecht nicht die Ultima Ratio gewesen ist, sondern die Prima Ratio der Politik.
Damit hat man auch der Justiz oft einen Bärendienst erwiesen. Es kam dazu, dass Gerichte überlastet waren, sodass sie sich nicht mehr auf wesentliche, wichtige Dinge konzentrieren konnten, dass der richterliche Strafzumessungsraum sich immer mehr eingeengt hat und die Strafmaße eskalierten; trotzdem hat es weiterhin Straftaten gegeben. Wenn man in dieser Logik bleibt, dann muss man nach jedem großen Ereignis die Strafrechtschraube weiter andrehen, und irgendwann gibt es dann nur noch lebenslang. Deswegen ist es jetzt Zeit für eine Zeitenwende in der Strafrechtspolitik, und diese Zeitenwende leiten wir jetzt ein und werden sie in diesem Jahr auch mit einer großen Strafrechtsreform zu Ende bringen, meine Damen und Herren.
Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
So viel zur Ausweitung des Blickes. Jetzt will ich jedenfalls zu einigen der Vorschläge der Linken etwas sagen und unsere Haltung dazu darlegen.
Ein Punkt ist der Vorschlag, Straffreiheit für das Fahren ohne Fahrschein, das sogenannte Schwarzfahren – im Juristendeutsch: Erschleichen von Beförderungsleistungen –, einzuführen, und zwar mit dem Gedanken, dass jedenfalls, wenn es nur darum geht, sich eine U‑Bahn-Fahrt im Wert von 3 Euro erschlichen zu haben, der Unwertgehalt gering ist. Das eigentliche Risiko des Schwarzfahrers ist ja, dass er ein erhöhtes Beförderungsentgelt bezahlen muss. Es ist ein Massen-, Alltags-, Bagatelldelikt, das Unmengen von Ressourcen bei der Justiz und der Polizei bindet, und deswegen haben wir auch das bei der Strafrechtsreform im Blick, die in diesem Jahr angegangen wird.
Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ein zweiter Punkt ist das sogenannte Containern, also das Entwenden von Lebensmittelabfällen aus Mülleimern und Containern. Die Diskussion darüber ist ja gerade angelaufen. Es liegt der Vorschlag auf dem Tisch, das über die Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren, RiStBV, zu lösen.
Jedenfalls dann, wenn keine Begleitstraftat wie Sachbeschädigung, also das Knacken von Schlössern, oder Hausfriedensbruch, also Eindringen auf befriedetes Besitztum, damit verbunden ist, ist da der Ansatzpunkt, dass ja kein wirklich Geschädigter feststellbar ist. Aber – und jetzt kommt der große Punkt – man darf nicht glauben, dass das sozusagen die Lösung für die Verschwendung von Lebensmitteln in Deutschland sei. Wenn man sich als Ziel setzt, dass wir der Lebensmittelverschwendung in Deutschland entgegenwirken wollen, dann kann die Straffreiheit oder die andere Einordnung des Containerns allenfalls ein kleiner Bestandteil eines Gesamtkonzeptes sein.
Das muss das Ernährungsministerium leisten, ein Konzept zu erstellen, wie wir dieser wirklich empörenden Lebensmittelverschwendung entgegenwirken. Das kann nicht das Strafrecht allein bewirken. Auch hier gilt wieder: Strafe ist keine Wunderwaffe der Politik.
Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Ein dritter Punkt ist die Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe. Es gibt ja bereits einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Sanktionenrecht, worin auch die Ersatzfreiheitsstrafe enthalten ist, jedenfalls für uneinbringliche Geldstrafen. Ziel ist nicht, sie komplett abzuschaffen, weil die Markierung bleiben muss, dass nötigenfalls auch eine Sanktion durchgesetzt werden kann. Aber eine Änderung des Umrechnungsmaßstabes ist hier das Gebot der Stunde, und natürlich auch, die Verurteilten darauf hinzuweisen, dass es andere Möglichkeiten gibt, die Strafe zu verbüßen, etwa durch gemeinnützige Arbeit.
All das haben wir auf dem Schirm und werden deshalb – das zeigt diese Auflistung – in diesem Jahr eine Zeitenwende in der Strafrechtspolitik einleiten –
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss.
– und in diesem Jahr auch vollziehen.
Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Herr Kollege Thomae. – Als Nächstes hat das Wort die Kollegin Dr. Zanda Martens, SPD-Fraktion.
Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)