Tagesordnungspunkt:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Clara Bünger, Nicole Gohlke, Gökay Akbulut, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs – Straffreiheit für Fahren ohne Fahrschein
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Clara Bünger, Susanne Hennig-Wellsow, Nicole Gohlke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Entkriminalisierung des Containerns von Lebensmitteln
c) Antrag der Abgeordneten Clara Bünger, Susanne Hennig-Wellsow, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für eine Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe und eine Geldstrafe nach dem Einbußeprinzip
d) Antrag der Abgeordneten Clara Bünger, Susanne Hennig-Wellsow, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verteidigung für Mittellose sicherstellen – Für einen rechtlichen Beistand der ersten Stunde
e) Antrag der Abgeordneten Clara Bünger, Susanne Hennig-Wellsow, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für mehr Gleichheit im Strafrecht – Armutsbestrafung abschaffen und ein Unternehmensstrafrecht einführen
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Beifall:
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Vielen herzlichen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Soziale Probleme lassen sich nach meiner Auffassung nicht mit Repressionen lösen.
Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Deshalb bin ich sehr dankbar, dass ich die Berliner Perspektive in diese Debatte einspeisen kann.
Im Land Berlin haben wir derzeit 3 500 Gefangene, und unter diesen 3 500 Gefangenen befinden sich 400 Ersatzfreiheitsstraflerinnen und Ersatzfreiheitsstrafler. Die sind zum allergrößten Teil in der JVA Plötzensee untergebracht. Wenn Sie einmal in der JVA Plötzensee vorbeischauen, werden Sie Menschen antreffen, die sich in einem desolaten Zustand befinden. Sie sind psychisch krank, sie sind sehr schwer suchterkrankt. Sie sind so suchterkrankt, dass wir sie mit Beginn der Ersatzfreiheitsstrafe mitunter in den kalten Alkoholentzug schicken müssen, der so schwerwiegend ist, dass er stationär und unter ärztlicher Betreuung erfolgen muss. Diese Menschen sind in einer Verfasstheit, dass sie mitunter nicht mitbekommen haben, dass sie zu einer Geldstrafe verurteilt worden sind. Selbst wenn sie es mitbekommen haben, dann sind sie nicht in der Lage, die Geldstrafe zu begleichen, und zwar aus zwei Gründen. Der erste Grund ist: Sie sind arm, sie haben nicht die wirtschaftlichen Möglichkeiten, weil sie nichts gespart haben, um die Geldstrafe zu begleichen. Darüber hinaus sind sie aufgrund ihrer Konstitution nicht in der Lage, Angebote der Kompensation – Arbeit statt Strafe oder Ratenzahlungen – in Anspruch zu nehmen. Deshalb landen sie schlussendlich in der Ersatzfreiheitsstrafe. Die Ersatzfreiheitsstrafe ist aber zu kurz, um in irgendeiner Weise behandlerisch tätig sein zu können. Das heißt, sie bleiben einen kurzen Zeitraum – 50, 60, 90 Tage – dort. Der Vollzug spuckt sie schlussendlich wieder auf die Straße. Es ist kein Beitrag zur Resozialisierung geleistet worden. Es ist kein Beitrag dazu geleistet worden, dass diese Menschen ein gesundes Leben jenseits von Straftaten führen können. Deshalb ist meine feste Überzeugung: Um diese Probleme zu lösen, bedarf es nicht einer repressiven Politik, es braucht eine vernünftige Sozialpolitik, eine vernünftige Gesundheitspolitik.
Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Diese Menschen haben keine schweren Delikte begangen. Der Großteil derjenigen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe in Berlin absolvieren müssen, sitzt wegen Fahren ohne Fahrscheins. Ich bin sehr dankbar dafür, dass sich die Justizministerkonferenz im letzten Herbst dafür ausgesprochen hat, dass die Länder sich für eine Entkriminalisierung des § 265a Strafgesetzbuch bezüglich des Fahrens ohne Fahrschein einsetzen. Wir werden jetzt die Diskussion darüber führen müssen, was passiert. Ich möchte keine Ordnungswidrigkeit. Ich möchte die ersatzlose Streichung.
Beifall bei der LINKEN)
Genauso ist es richtig, dass wir uns jetzt mit der Frage des Containerns befassen. Der Vorstoß, das über die RiStBV zu regeln, ist ein guter. Meine Auffassung ist aber tatsächlich: Es braucht eine gesetzliche Änderung, um dann nachhaltig einen Beitrag gegen die Lebensmittelverschwendung zu leisten.
Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Sollten diese Delikte aus dem Strafgesetzbuch verschwinden, haben wir am Ende aber immer noch das Instrument der Ersatzfreiheitsstrafe. Wir im Land Berlin tun das uns Mögliche im Rahmen des Landesrechtes, die Ersatzfreiheitsstrafen zu drosseln. Erst zu Beginn dieser Woche hat die Generalstaatsanwältin eine entsprechende Verfügung erlassen. Es ist auch richtig, dass der Bundesjustizminister dahin gehend einen Vorstoß getan hat, dass der Anrechnungsmaßstab zu ändern ist. Aus Sicht des Landes Berlin reicht das aber nicht. Wir stellen uns ein weiteres Bündel von Maßnahmen vor. Ich möchte hier nur zwei nennen. Das eine ist die Möglichkeit der nachträglichen Änderung der Tagessatzhöhe. Das andere ist, dass § 459f StPO derzeit Makulatur ist, weil die unbillige Härte dem Grunde nach nicht festgestellt werden kann und damit nicht zur Anwendung kommt. Das muss sich ändern.
Beifall bei der LINKEN)
Ich halte, selbst wenn wir all die Berliner Forderungen mit in das Gesetz schreiben sollten, ganz grundsätzlich an der Kritik der Ersatzfreiheitsstrafe fest. Die historische Idee dieses Instrumentes hat sich nicht erfüllt. Es benachteiligt die Armen dieser Gesellschaft überproportional, und das müssen wir ändern.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.
Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Frau Senatorin. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Carmen Wegge, SPD-Fraktion.
Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)