- Bundestagsanalysen
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien! Sehr geehrte Damen und Herren! Früher hat die SPD plakatiert: „Mehr Demokratie wagen“, und es geschafft, dass wir das Alter für das Wahlrecht in Deutschland von 21 auf 18 Jahre absenken konnten. Heute, 52 Jahre später, geht es um das Wahlrecht ab 16 für die Europawahl. Und hier ist das sicher kein Wagnis mehr. In 11 von 16 Bundesländern können 16-Jährige bei der Kommunalwahl wählen, in 5 Bundesländern sogar schon länger auch bei der Landtagswahl. Und gestern kam das sechste Bundesland dazu: Gestern hat das Land Mecklenburg-Vorpommern das Wahlalter für die Landtagswahl auf 16 Jahre abgesenkt.
Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Das heißt, wir setzen heute einen Prozess fort, der der notwendigen Ausweitung von politischer Teilhabe von jungen Menschen Rechnung trägt. Ich muss mich manchmal schon über die Argumente wundern, die ich aus der konservativen Ecke gegen das Wahlalter ab 16 Jahren höre. Mal plakativ zusammengefasst, wird dort gesagt: Junge Menschen hängen nur auf TikTok rum, trinken Alkohol und interessieren sich gar nicht für Politik. Sie sind nicht reif genug.
So ein Käse! Wahnsinn! So ein Käse, Leute!
Sperren Sie mal Ihre Ohren auf!
Wer hat das denn gesagt?
Zuruf des Abg. Martin Reichardt [AfD])
Abgesehen davon, dass es auch Menschen über 18 gibt, die auf TikTok rumhängen, Alkohol trinken und sich nicht für Politik interessieren, ist das eine verzerrte Wahrnehmung.
Der verzweifelte Ausruf „Diese jungen Leute!“ bedeutet heute schon längst etwas anderes. Alle gesellschaftlichen Protestbewegungen der letzten Jahre sind maßgeblich von jungen Menschen initiiert und auf die Straße gebracht worden, seien es Fridays for Future, der Kampf gegen rechtswidrige Polizeigesetze in den Bundesländern oder aktuell „Genug ist genug“.
Beifall bei Abgeordneten der SPD
Zuruf von der CDU/CSU: So ein Schwachsinn!)
Das sind junge Menschen, die sich Gedanken darüber machen, in welcher Welt sie leben wollen, wie die Zukunft gestaltet werden soll, und sich andere Wege suchen, damit sie von Politikerinnen und Politikern und der Gesellschaft gehört werden. Und ihr Erfolg gibt ihnen recht.
Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Valentin Abel [FDP])
Aber es sind nicht nur sie, über die ich hier sprechen möchte. Im Jahr 2021 lag die Anzahl der Auszubildenden in Deutschland bei 1,26 Millionen Menschen. Der Großteil von ihnen ist zwischen 15 und 19 Jahre alt. Sie sind aktiver Teil unseres Arbeitsmarktes und damit auch unserer gesellschaftlichen Solidarsysteme, in die sie einzahlen. In der EU, aber auch in Deutschland treffen wir tagtäglich Entscheidungen, die ihr Leben maßgeblich beeinflussen, ohne dass sie darauf selbst einen aktiven Einfluss durch ihre Stimme bei einer Wahl nehmen können.
Aber es sind noch viel mehr, die sich in unserer Gesellschaft bereits jetzt politisch engagieren; das wurde schon gesagt. Nach einer Erhebung des BMFSFJ engagieren sich 53,8 Prozent der jungen Menschen zwischen 14 und 17 Jahren ehrenamtlich. Sie sind bei der freiwilligen Feuerwehr, im Jugendrotkreuz, bei der Jugend des Deutschen Alpenvereins, im Kreisjugendring oder gar in politischen Parteien engagiert.
Abg. Alexander Hoffmann [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)
Bei uns in der SPD kann man mit 14 Jahren Mitglied werden,
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
inhaltliche Anträge einbringen und sie beschließen, delegiert werden oder unsere Vorsitzenden wählen. Ja, sie konnten sogar darüber entscheiden, ob es in diesem Land eine Große Koalition geben wird oder nicht.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Nein, danke.
Ach, schade! Das wäre mutig gewesen, Frau Kollegin!
Zuruf des Abg. Martin Hess [AfD])
Auch bei Ihnen, liebe Union, kann man mit 16 Jahren Mitglied werden und Ihre Politik wesentlich mitgestalten. Wie passt das mit Ihrer Ablehnung zusammen? Ich glaube vielmehr, dass Sie Angst haben,
Sie haben Angst! Wir hätten gerade mal darüber reden können!)
Angst vor „diesen jungen Leuten“. Denn das ist ein Muster, das sich schon durch andere Entscheidungen und Haltungen konservativer Parteien gezogen hat, als es um die Möglichkeit des Wahlrechts ging.
Eijeijei!)
Konservative Parteien waren damals gegen das Frauenwahlrecht, weil sie Angst vor selbstbestimmten Frauen hatten. Und Sie, liebe Union, sind gegen das Wahlrecht ab 16 Jahren, weil Sie Angst vor selbstbestimmten jungen Menschen haben.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP
Sie hätten mal die Zwischenfrage zulassen sollen!)
Damals wurde gesagt, dass Frauen doch nur das wählen würden, was man ihnen einflüstert, dass Frauen nicht intelligent und reif genug seien, um zu wählen, oder dass sie alle die SPD wählen würden, weil wir die Partei waren, die sich für ihr Wahlrecht eingesetzt hat.
Beifall bei der SPD
Also, eine meiner Großtanten war Reichstagsabgeordnete!)
Und genauso haben Sie heute Angst, dass wir mit der jetzigen Entscheidung 1,4 Millionen Menschen ein Wahlrecht geben, die Sie nicht wählen werden.
Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Und Überraschung: Das werden sie vielleicht auch nicht, wenn Sie es nicht schaffen, bei Ihren politischen Inhalten auch Lebensrealitäten und Bedürfnisse von jungen Menschen mitzudenken.
Vielleicht sollten Sie bei 19 Prozent ein bisschen demütiger sein!)
Aber genau dafür haben Sie dann ja die Mitglieder ab 16 Jahren bei Ihnen. Ich bin mir sicher: Die Junge Union hilft Ihnen da gerne.
Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Zum Schluss möchte ich Ihnen eine weitere Angst nehmen. In der Debatte nennen Sie auch immer die Kohärenz der Rechtsordnung. Ihre Furcht ist, dass wir dann die Geschäftsfähigkeit in der deutschen Rechtsordnung auf 16 Jahre absenken werden müssen. Zunächst geht es hier aber natürlich um das Europawahlrecht und nicht um das Wahlrecht für den Deutschen Bundestag und schon gar nicht um die Geschäftsfähigkeit. Aber auch damals, als wir das Alter für das Wahlrecht von 21 auf 18 Jahre abgesenkt haben, dauerte es weitere vier Jahre, bis dies auch für die Geschäftsfähigkeit geschah. Eine Kausalität kann ich hier nicht erkennen.
Es geht doch um den Widerspruch!)
Sie als Union haben die Absenkung damals übrigens mitgetragen mit der Begründung, dass man dem Wandel in der Gesellschaft und der bestehenden Lebenswirklichkeit Rechnung tragen muss.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja. – Dann komme ich tatsächlich zu meinem letzten Satz, und zwar: Liebe 1,4 Millionen neue Wahlberechtigte, herzlich willkommen bei uns! Lasst uns darüber reden, wie wir die EU besser, solidarischer und gerechter gestalten können! Wir stehen an eurer Seite.
Frau Wegge, letzter Satz, bitte.
Viel Spaß beim Kreuzchenmachen 2024!
Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort die Kollegin Emilia Fester.
Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)