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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jeder Mensch, wir alle haben Vorurteile, negative und positive. Wir stecken die Welt um uns herum in Schubladen, denken in Stereotypen, bewusst, gerade aber auch unbewusst. Wir können uns nicht davon frei machen, dass solche Mechanismen unsere Gedanken, Entscheidungen und Handlungen beeinflussen.
Das merken wir ja täglich!)
Auch wenn wir die beste Absicht haben, vollkommen diskriminierungsfrei zu agieren, kann das passieren.
Im höchsten Maße problematisch ist eine unbewusste Stereotypisierung selbstredend dann, wenn sie die Entscheidung über Leben und Tod beeinflusst, wenn bei einer Entscheidung über die Zuteilung begrenzter intensivmedizinischer Ressourcen aufgrund falscher Annahmen falsche Schlüsse gezogen werden. Diese Gefahr bestünde derzeit, so hat es das Bundesverfassungsgericht festgestellt, bei einer pandemiebedingten Triage zum Nachteil von Menschen mit Behinderungen und Komorbiditäten. Erfreulicherweise musste eine solche Triageentscheidung in der Vergangenheit nicht getroffen werden. Und wir werden als Politik natürlich alles daransetzen, dass das auch in Zukunft nicht der Fall sein wird. Dennoch hat uns das Bundesverfassungsgericht absolut zu Recht aufgefordert, für künftige Pandemiesituationen vorzubauen, unserer Schutzpflicht gerecht zu werden und Diskriminierungsrisiken zu minimieren.
Gegen unbewusste Stereotypisierung hilft, wenn man es besser weiß. Deshalb ist es jede Anstrengung wert, gemeinsam mit der Ärzteschaft darüber zu sprechen, wie Aus-, Fort- und Weiterbildung mit Blick auf Fachwissen insbesondere zu behinderungsspezifischen Besonderheiten zu optimieren sind.
Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Darüber hinaus werden wir unserer Verantwortung als Gesetzgeber gerecht, indem wir im Infektionsschutzgesetz konkrete Verfahrensvorgaben für den hoffentlich nie realen Fall der Fälle machen – im Infektionsschutzgesetz, Herr Kollege Hüppe, übrigens deshalb, weil wir uns als seriöser Gesetzgeber in einem föderalen Rechtsstaat selbstverständlich im Rahmen unserer Gesetzgebungskompetenz bewegen. Das bedeutet nicht, dass unsere Entscheidungen nicht auch in andere Bereiche ausstrahlen können.
Wenn es tatsächlich dazu kommt, dass eine Triageentscheidung gefällt werden muss, dann ist es richtig, dass anhand der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit entschieden wird. Dieses Kriterium hat das Bundesverfassungsgericht explizit als grundgesetzkonformes Kriterium genannt. Nur dieses Kriterium löst den nur vordergründigen Widerspruch auf, dass einerseits ein Leben genauso viel wert ist wie das andere, dass wir Leben weder bewerten können noch wollen, dass wir aber andererseits so viele Menschenleben retten möchten, wie es eben geht.
Zuruf von der LINKEN: Damit bewerten Sie aber!)
Richtig zur Absicherung für alle Beteiligten ist dann auch, dass, wenn es dazu kommt, qualifizierte Ärzte nach dem Vieraugenprinzip entscheiden müssen und bei Begleiterkrankungen oder Behinderungen zudem noch ein fachlich insoweit besonders versierter Mediziner hinzugezogen werden muss.
Wichtig war und ist mir aber auch, dass wir von Ärztinnen und Ärzten nichts Unmögliches verlangen, dass sie dann, wenn zwei Rettungspflichten kollidieren und sie tatsächlich nur eine erfüllen können, sicher sein können, dass sie sich auch künftig nicht strafbar machen. „Rechtfertigende Pflichtenkollision“ nennt sich das in der Rechtssprache. Die Lage ist für Ärztinnen und Ärzte, die in solche Situationen geraten und solche Entscheidungen treffen müssen, hart genug. Da müssen wir, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, nicht auch noch mit neuen, kleinstteiligen Sanktionsregeln hinterhergehen und den Ärzten zusätzlich drohen. Unser Strafgesetzbuch haben wir bereits.
Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, das heute hier im Entwurf vorliegende Gesetz ist ein gutes Gesetz. Es sind nun einmal ethisch höchst schwierige Abwägungsfragen, denen wir uns zu stellen hatten und die wir entschieden haben. Das haben wir sehr verantwortlich getan, und – liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, da kann ich Ihre Kritik überhaupt nicht nachvollziehen – das haben wir angesichts der Gewichtigkeit der Thematik auch äußerst zügig getan. Es wäre absolut unverantwortlich gewesen, solche Fragen mal eben hopplahopp, mir nichts, dir nichts, irgendwie abzuhaken. Bei einer solch gewichtigen Fragestellung im Kontext von Leben und Tod ist, wie ich finde, wirklich Demut angezeigt. Es ist deshalb richtig, dass wir eine umfassende Evaluation unserer Regelung und ihrer Auswirkung explizit vorgesehen haben, die auch dann stattfindet, wenn das Gesetz gar nicht zur Anwendung kommt; denn das ist und bleibt unser vorderstes Ziel.
Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sören Pellmann spricht für Die Linke.
Beifall bei der LINKEN)