- Bundestagsanalysen
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Vor einigen Tagen ist in Münster ein 25-jähriger Transmann gestorben. Malte wurde getötet, weil er sich am Rande eines CSD schützend vor eine Gruppe Frauen gestellt hat. Malte wurde getötet, weil er dem Hass etwas entgegengesetzt hat. Malte wurde getötet, weil Queerfeindlichkeit auch vor dem Leben keinen Halt macht. Ich bin immer noch fassungslos. Ich bin traurig – und ich bin maßlos wütend.
Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN
Malte könnte noch leben, wenn der Täter abgeschoben worden wäre!)
Queere Menschen werden in diesem Land beleidigt, angegriffen, ermordet – schlicht, weil sie sind, wer sie sind. Und zu vielen ist das immer noch nur ein Schulterzucken wert. Gerade deshalb ist es mir so wichtig, dass wir hier im Deutschen Bundestag über Malte sprechen, darüber sprechen, was gerade los ist in unserer Gesellschaft. Denn wenn wir hier über unseren Justizhaushalt – Einzelplan 07 – diskutieren, dann sprechen wir auch immer über Rechtsstaatspolitik. Auch das gehört zu einer Haushaltsdebatte.
Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP
Da sind die Grünen anderer Auffassung!)
Wir sprechen über das Leben der Menschen in diesem Land. Das, was sich in den letzten Monaten in unserer Gesellschaft entwickelt, ist kein Zufall. Es ist kein Zufall, dass Hass, Hetze und Gewalt gerade gegen Queere und insbesondere auch gegen Transmenschen zunehmen; denn es ist verdammt leicht, gegen queere Menschen zu hetzen. Es handelt sich um eine kleine Personengruppe, eine Personengruppe, die zwar recht verbreitet toleriert, der aber auch recht verbreitet mit Unverständnis begegnet wird. Wir hängen zwar einmal im Jahr eine Regenbogenflagge vor unsere Tür; aber schauen Sie sich doch um! Wie viel Mut braucht es auch heute noch, sich als queer zu outen, auch hier im Deutschen Bundestag? Wie schwer ist es, im Wahlkreis als Abgeordneter nicht das Idealbild einer normalen Familie zu leben? Wie schwer ist es als queerer Politiker hier in Berlin, nicht sofort als Experte für Geschlechtskrankheiten, Promiskuität und Fetische herhalten zu müssen?
Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Es ist dagegen so leicht, zu sagen: Die sollen doch lieben, wen sie wollen, solange sie mich damit nicht behelligen. – Es ist dagegen so leicht, über eine Transperson zu spotten, wenn man selbst nie in tiefgreifende innere Konflikte über die Geschlechtserwartungen gekommen ist, die die Umwelt an einen stellt. Es ist so leicht, gegen queere Menschen zu hetzen, weil diese Personengruppe ganz allein mit ihrer Existenz so vieles infrage stellt, was für die Mehrheit völlig selbstverständlich scheint.
Und weil es so leicht ist, nutzen reaktionäre Kreise genau diesen Türöffner, um einen Keil in die liberale, demokratische Gesellschaft zu treiben. Sie fangen an, Transpersonen und insbesondere Transfrauen als Bedrohung darzustellen, als Bedrohung für Kinder, für Frauen, als Bedrohung für einen ominösen „gesunden Menschenverstand“. Sie tragen scheinbar nüchterne Argumente vor: von Frauenhäusern, von Sportwettkämpfen. Sie wiederholen sie so oft, bis auch in der letzten Talkshow noch von einem „sachlichen Problem“ die Rede ist, von einer „Meinungsverschiedenheit“. Als hätten wir nicht gelernt, dass so schreckliche Taten wie in Münster erst dann in der „Bild“-Zeitung landen, wenn der Täter nicht deutsch oder römisch-katholisch ist. Als hätten wir nicht gelernt, dass sie erst dann breit diskutiert werden, wenn man Minderheiten gegeneinander ausspielen kann.
Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)
Was dabei immer stärker in Vergessenheit gerät, ist, dass es eben nicht um eine Meinungsverschiedenheit geht. Es geht um das Existenzrecht einer ganzen Personengruppe, die Stück für Stück in Abrede gestellt wird.
Von wem denn?
Macht kein Mensch!)
Es geht darum, die liberale Gesellschaft als Ganzes infrage zu stellen. Wir können diese Entwicklung doch seit einigen Jahren in vielen Ländern beobachten. Transpersonen sind die Ersten, deren Existenzrecht angezweifelt wird. Als Nächstes werden Frauen- und Abtreibungsrechte zur Debatte gestellt und am Ende der Rechtsstaat.
Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])
Deswegen ist es wichtig, dass wir als Regierungsfraktionen das Selbstbestimmungsgesetz einführen, um das antiquierte TSG von 1980 endlich zu ersetzen.
Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Deswegen ist es richtig, dass wir das Abstammungsrecht reformieren, weil queere Familien in unserem Rechtssystem immer noch systematisch diskriminiert werden.
Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Und deswegen ist es richtig, dass wir Maßnahmen gegen Hasskriminalität entwickeln. All das ist gesellschaftspolitischer Fortschritt, der für einige Menschen unter uns von existenzieller Bedeutung ist. All das sind Maßnahmen, die aber für weite Teile der Bevölkerung faktisch keine Auswirkungen haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe über Malte gesprochen und über den Hass, dem queere Menschen Tag für Tag ausgesetzt sind. Ich rufe uns alle dazu auf: Stellen wir uns gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit überall in den Weg – wie es Malte getan hat! Stellen wir uns hinter den Rechtsstaat! Nehmen wir unsere Verantwortung ernst! Schaffen wir ein Land in Vielfalt vereint!
Rest in Power, Malte. Rest in Power.
Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)
Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Fabian Jacobi, AfD-Fraktion.
Beifall bei der AfD)