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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Die sprachliche Herkunft des Wortes „Petition“ verdeutlicht sehr eindrücklich den vielfältigen Charakter von Petitionen, die wir hier im Deutschen Bundestag bearbeiten. Das lateinische Wort „petitio“ bedeutet „Bitte“ wie auch „Verlangen“.
Wir erhalten also Petitionen, die eher als Bitte gestellt werden: eine sichere Überquerung einer Straße durch die Einrichtung einer Ampel an einer Bundesstraße oder die Überprüfung eines als ungerecht empfundenen Ablehnungsbescheides einer Behörde. Wir erhalten ebenso Petitionen, die eher eine Forderung erheben, zum Beispiel die Intensivierung der Bemühungen für eine bessere Verkehrswende oder das Einfordern von zusätzlichen Mitteln für die Digitalisierung an unseren Schulen. Diese beiden Typen von Petitionen – die Bitten und die Forderungen – sind gleichwertig wichtig für den demokratischen Charakter unseres Petitionswesens. Wir sind als Abgeordnete im Petitionsausschuss in einer Doppelrolle – als Kümmerer, aber auch als Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für die Forderungen der Bürger und Bürgerinnen in unserem Land.
Aber warum ist diese Arbeit wichtig? Weil wir Petitionen für den demokratischen Charakter des Bundestages und für unsere Demokratie unbedingt benötigen. Sie sind unsere demokratische Lebensversicherung! Gesetze haben Lücken, berücksichtigen nicht alle Perspektiven; Behörden unterlaufen Fehler. Und Menschen in unserem Land haben für die vielen Probleme und Herausforderungen häufig die besseren Ideen und Lösungen als die Ministerialbürokratie, aber auch öfter als wir Fachpolitikerinnen und ‑politiker. Ich möchte deswegen den Petentinnen und Petenten danken; denn sie leisten einen entscheidenden Beitrag für unsere Demokratie.
Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Mein Dank gilt ebenfalls den Beschäftigten im Ausschusssekretariat, den Mitarbeitenden in den Bundestagsbüros und in den Fraktionen sowie meinen engagierten Kolleginnen und Kollegen aus dem Petitionsausschuss.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)
Ich kann mich deshalb meinen Vorrednern anschließen, wenn es um den notwendigen Reformbedarf des Petitionswesens geht. Damit unsere demokratische Lebensversicherung noch besser funktioniert, muss das Petitionswesen intuitiver, barrierefreier, kommunikativer und vor allem digitaler werden. Wir brauchen dafür endlich auch einen Härtefallfonds, um in den Fällen unkompliziert zu helfen, bei denen wir bisher keine eindeutige haushalterische oder gesetzliche Möglichkeit haben.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und der Abg. Ina Latendorf [DIE LINKE])
Ich möchte an dieser Stelle einmal konkret anhand einer Petition verdeutlichen, was Petitionen leisten können. Nach der Wende haben sich die Bürgerinnen und Bürger der kleinen Insel Ummanz bei Rügen die berechtigte Hoffnung gemacht, im Rahmen von Vermögenszuordnungsverfahren ehemals volkseigene Grundstücke auf der Insel zu erwerben. Familien, die diese Flächen seit vielen Jahrzehnten gemeinschaftlich bewirtschaftet und bewohnt haben, wollten sich nach der Wende ein Stück Heimat und Sicherheit schaffen. Wie in so vielen Fällen in dieser Zeit wurden Versprechen der Politik nicht gehalten, und die Familien von Ummanz konnten die Grundstücke nicht erwerben.
Um diese Ungerechtigkeit und die damit verbundenen Ungereimtheiten aufzudecken, haben sie sich in einer Interessengemeinschaft zusammengeschlossen und auch mit einer Petition an den Deutschen Bundestag gewandt. Das Anliegen der Familien von Ummanz steht dabei exemplarisch für die unzähligen Unrechtserfahrungen in Ostdeutschland nach der Wende. Diese Unrechtserfahrungen und das Gefühl, nicht gesehen zu werden, sind heute in Ostdeutschland der Nährboden für Frustration und Politikverdrossenheit. Sie sind auch das Einfallstor für Rechtsradikale, die diese Enttäuschung nutzen wollen, um unsere Demokratie zu schädigen.
Ich freue mich deshalb sehr, dass wir in der Obleuterunde vereinbart haben, dem Anliegen der Familien von Ummanz in einem der ersten Vor-Ort-Termine des neugewählten Petitionsausschusses nachzugehen. Wir werden gemeinsam prüfen, was wir jetzt noch für die Familien von Ummanz bewegen können; aber wir zeigen ihnen durch unseren Besuch vor allen Dingen, dass wir sie und ihr Anliegen sehen.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und der Abg. Ina Latendorf [DIE LINKE])
Wir zeigen, dass wir uns kümmern. Dass wir als Abgeordnete das Kümmern überhaupt gemeinsam versuchen, ist genau diese Form des Respekts und der Anerkennung, auf die so viele Menschen, gerade in Ostdeutschland, so lange gewartet haben. All dies kann das Petitionswesen des Bundestages leisten; auch deshalb ist es die demokratische Lebensversicherung unserer Arbeit.
Ich möchte jetzt noch auf zwei Dinge eingehen, die die Kolleginnen und Kollegen hier in der Debatte vorgebracht haben:
Erstens. Zu der Debatte zwischen Herrn Mattfeldt und Frau Rüffer: Mein Eindruck als neuer Abgeordneter ist, dass der Petitionsausschuss wirklich sehr wenig durch parteipolitische Debatten geprägt ist. Ich würde mir wünschen, dass das so bleibt. Wir können vielleicht gerne auch noch einen Schritt in die richtige Richtung machen.
Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Zweitens. Zu Herrn Brandes von der AfD möchte ich eins sagen: Ich finde es immer wichtig, dass Worte und Taten übereinstimmen. Sie haben gesagt, dass wir als Regierungskoalition Dinge, die uns nicht passen, die unserer Ideologie nicht entsprechen, ablehnen. Sie haben in der letzten Sitzung des Petitionsausschusses eine Petition abgelehnt, in der es um den besseren Schutz von Institutionen und Menschen vor rechtsextremer Gewalt geht.
Weil es ideologisch ist!)
Sie widersprechen dem, was Ihrer Ideologie widerspricht. Deswegen zeigt das, dass Ihre Worte hier nicht konsistent sind.
Aber was mich noch mehr ärgert, ist – Sie haben direkte Demokratie und Volksentscheide angesprochen –: Sie sehen jemanden vor sich, der zwei Bürgerbegehren in Mecklenburg-Vorpommern mit mehr als 14 000 Unterschriften mit initiiert hat. Die AfD-Fraktion im Landkreis Rostock hat dieses Bürgerbegehren mit abgelehnt und hat dafür gesorgt, dass kein Bürgerentscheid stattfindet. Im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte höre ich Ähnliches von der AfD-Fraktion. Deswegen ärgert es mich maßlos, wenn Sie einerseits sagen, Ihnen seien Volksentscheide wichtig, und im konkreten politischen Handeln tun Sie andererseits genau das Gegenteil.
Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)
Zum Schluss noch ein Thema, das zeigt, dass Petitionen nicht nur „kümmern“ und „ansprechbar sein“ bedeuten, sondern uns im besten Fall auch zum Handeln und Umsetzen bringen. Bereits in den vergangenen Wahlperioden gab es Petitionen, die auf die prekären Bedingungen der Fahrerinnen und Fahrer beim Deutschen Bundestag aufmerksam gemacht haben. Heute können die Beschäftigten nach erfolgreichem Arbeitskampf und dem nötigen Rückenwind aus dem Bundestag stolz darauf sein, dass sie ab Oktober einen Tarifvertrag bekommen.
Beifall bei der SPD)
Zu diesem Erfolg haben auch die eingereichten Petitionen einen Beitrag geleistet. Sie haben uns Abgeordnete institutionell dazu verpflichtet, uns mit dem Anliegen der Fahrerinnen und Fahrer auseinanderzusetzen.
Herr Kollege, Sie wären dann zum Schluss gekommen?
Ich komme zum Schluss. – Liebe Bürgerinnen und Bürger, geben Sie uns weiter diesen Druck. Geben Sie uns weiter Rückenwind bei Anliegen, die Ihnen wichtig sind.
Aber lassen Sie uns auch Gegenwind spüren, wenn Sie mit unserer Arbeit nicht einverstanden sind. Davon lebt unsere Demokratie. Das ist unsere demokratische Lebensversicherung im Deutschen Bundestag.
Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich schließe die Aussprache, nicht ohne mich noch einmal bei allen, die für uns im Petitionsausschuss arbeiten und die im Petitionswesen insgesamt tätig sind, bei den Bürgerinnen und Bürgern, aber auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und unseren Kolleginnen und Kollegen aus den Fraktionen in unser aller Namen, nehme ich an, sehr herzlich zu bedanken. Das ist ein besonderer und ein sehr wichtiger Bereich unserer Arbeit, für den man nicht jeden Tag Blumensträuße bekommt.
Beifall)