- Bundestagsanalysen
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit dem 24. Februar ist die Welt nicht mehr die gleiche wie zuvor. Die Russische Föderation hat mit ihrem furchtbaren Angriffskrieg gegen die Ukraine auch unsere Welt in Deutschland und Europa verändert und sicher geglaubte Grundsätze infrage gestellt. Ich als jemand, der in einem geeinten Deutschland und Europa aufgewachsen ist, der den Eisernen Vorhang nur noch aus Erzählungen kennt und der beim Kosovokrieg gerade so geboren war, hätte mir nicht vorstellen können, dass wir in Europa noch einmal einen so fürchterlichen Krieg erleben. Unsere Solidarität gilt den ukrainischen Bürgerinnen und Bürgern, die unter diesem Krieg leiden und auch jetzt gerade, während wir hier sitzen, die Last des Krieges ertragen müssen.
Die Ukraine hat nicht nur jedes Recht, sich gegen diesen Angriff zu verteidigen; sie hat gar keine andere Option, als sich aktiv zu verteidigen. Sie verdient unsere volle Unterstützung. Denn das, was unter russischer Besatzung geschieht, haben wir mit den furchtbaren Bildern aus Butscha gesehen. Deswegen ist es auch genau richtig, dass die Bundesregierung und Bundeskanzler Olaf Scholz die Ukraine entlang unserer Möglichkeiten mit allen Mitteln unterstützen, sei es mit der Lieferung von Waffen oder humanitären Gütern.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Dabei werden die Gesprächskanäle für diplomatische Lösungen selbstverständlich nicht geschlossen. Aber wir müssen uns doch auch keine Illusionen machen: Von allein, ohne Druck wird Putin nicht an den Verhandlungstisch kommen und auch nicht die Integrität der Ukraine respektieren, auch wenn das in Teilen dieses Plenums scheinbar immer noch nicht angekommen ist und weiterhin Zugeständnisse vonseiten der Ukraine gefordert werden.
Neben allen nationalen Anstrengungen, die wir leisten und leisten müssen, braucht es für die Stärkung unserer Demokratien in Europa auch Entschlossenheit und Geschlossenheit. Die haben wir in den letzten Wochen hier auch gelebt.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Zielsetzung der französischen Ratspräsidentschaft ist europäische Souveränität. Wir brauchen ein souveränes Europa – mehr als je zuvor. Ein souveränes Europa, wie wir es uns vorstellen, ist nicht abhängig von fossilen Energieträgern autokratischer Staaten. Ein souveränes Europa ist in Krisenzeiten geschlossen und handlungsfähig. Ein souveränes Europa steht mit beiden Beinen fest auf den Grundsätzen der Demokratie, Diplomatie und wirtschaftlichen Zusammenarbeit, aber lässt keinen Zweifel daran, dass es wehrhaft ist, wenn Diktaturen und Autokratien das Recht des Stärkeren durchsetzen wollen.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Auch in Europa hat sich in den letzten Wochen und Monaten einiges verändert. Europa ist geschlossen in seiner Reaktion auf Russland. Die Geschwindigkeit und Schlagkraft der bisherigen Sanktionspakete sind ein klarer Beweis dafür. Aber auch die Union zahlt für diese Sanktionen ihren Preis. Für einige Länder ist der Preis für diese Sanktionen höher als für andere. Insbesondere unseren zentral- und osteuropäischen Partner/-innen, beispielsweise Tschechien, fällt es deutlich schwerer, sich unabhängiger von russischer Energie und anderen Lieferungen zu machen. Wir sollten das anerkennen und darin nicht einen Grund sehen, über Uneinigkeit zu reden, sondern eher den Willen, sich zu einigen, als das erkennen, was es ist: europäische Stärke und Geschlossenheit.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Natürlich gibt es im Rechtsstaatsbereich in Osteuropa weiterhin vieles anzumerken; das tun wir auch. Aber das soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass Europa gerade geschlossen eine große Leistung vollbringt.
Bei all der zweifelsfreien Wichtigkeit unserer historischen Freundschaft zu Frankreich – der Bundeskanzler hat es heute auch noch einmal erwähnt –
Wo ist er überhaupt?)
und unserem engen Schulterschluss zu Paris besteht Europa aus weit mehr Staaten als den Staaten westlich der Oder und des Erzgebirges. Für mich ganz persönlich, aufgewachsen an der tschechischen Grenze, bestand Europa in meiner Kindheit vor allem aus den offenen Grenzen und dem Austausch mit unserem östlichen Nachbarland Tschechien, nämlich in einer Schule in meinem Herkunftsort, in der seit 25 Jahren deutsche und tschechische Schüler/-innen gemeinsam lernen.
Für unsere Generation ist demzufolge Europa auch mehr als eine bloße Wirtschafts- und Verteidigungsunion; dieses Bild von Europa konnte man vorhin bei Herrn Dobrindt gewinnen. Deswegen ist mir auch besonders wichtig, dass wir in Zukunft die Perspektiven Mittel- und Osteuropas ernster nehmen, als es in der Vergangenheit der Fall war. Deshalb ist es auch richtig, dass die Bundesregierung mit dem Ringtausch unsere Partner in Zentral- und Osteuropa dazu befähigt, schwere Waffen an die Ukraine zu liefern, und gleichzeitig ihre Wehrhaftigkeit unterstützt. Deshalb ist es richtig, dass die Bundeswehr ihrer Verantwortung in der NATO gerecht wird und weiter im Baltikum, in Rumänien, in der Slowakei und in Bulgarien unterstützt. Deswegen ist es auch besonders wichtig, dass der Bundeskanzler schon früh erklärt hat, dass er die Mitgliedschaft von Schweden und Finnland in der NATO unterstützt.
Wo ist er denn?
Umdrehen und gucken!)
Deshalb ist es richtig, dass sich der Bundeskanzler auch im Europäischen Rat dafür einsetzt, dass alle Staaten der Europäischen Union die Hilfe bekommen, die sie benötigen, um so schnell wie möglich unabhängig von fossilen Energieträgern Russlands zu werden und ihre Industrie klimaneutral umzubauen.
Aber auch darüber hinaus muss sich die Union weiterentwickeln. In Zeiten, in denen Staaten aktiv die Bindung zu den Werten und Versprechen der europäischen Institutionen suchen, ist es wichtig, endlich die Beitrittsgesuche der Staaten auf dem Westbalkan ernst zu nehmen und eine ehrliche Perspektive aufzuzeigen. Auch hier danke ich dem Bundeskanzler für seine Initiative und klare Haltung, die er gerade auch noch einmal deutlich gemacht hat.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich bin der festen Überzeugung: Die Union steht vor großen Herausforderungen und gleichzeitig vor einer historischen Chance. Gemeinsame Sicherheit, Energieunabhängigkeit und die Bewältigung der Klimakrise, die meine Generation besonders betrifft, liegen vor uns. Diese Herausforderungen können wir nur gemeinsam lösen. In diesem Sinne hoffen wir auf einen erfolgreichen Europäischen Rat.
Ich bedanke mich.
Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das Wort hat der Kollege Stefan Seidler.
Beifall bei Abgeordneten der SPD)