- Bundestagsanalysen
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj heute Morgen hier im Deutschen Bundestag hat mich und sicherlich uns alle extrem aufgewühlt. Die von ihm beschworenen Bilder von Städten, die dem Erdboden gleichgemacht werden, von Krankenhäusern, Schulen, Wohnhäusern, die beschossen werden, sowie Tausende unschuldige Ukrainer, die gestorben sind: All das ist nicht zu ertragen. Schon heute lässt sich vorhersagen, wo der Platz Wladimir Putins in der Geschichte zu suchen sein wird: in der Ahnengalerie der großen Menschheitsverbrecher.
Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Selenskyj hat von den Mauern gesprochen, hinter denen wir uns nicht verschanzen dürfen. Niemand weiß so genau wie wir Deutsche: Mauern sind unmenschlich. Die Ukraine darf nicht hinter einer Mauer verschwinden, meine Damen und Herren.
Innerhalb der letzten drei Wochen haben bereits mehr als 3 Millionen Menschen, vor allem Frauen und Kinder, die Ukraine verlassen. Nur zum Vergleich: In den zwei Jahren der Flüchtlingskrise 2015 und 2016 sind ungefähr 1,2 Millionen Asylanträge in Deutschland gestellt worden. Nach Polen kamen innerhalb dreier Wochen bis heute schon fast 2 Millionen Menschen. Das zeigt uns: Wir erleben die größte Fluchtbewegung, die Europa seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat, und vielleicht machen wir uns noch gar keine Vorstellung, welche Dimension diese Flucht noch annehmen kann. Deshalb danken wir den vielen ehrenamtlichen Helfern, die den Ankommenden ihre freie Zeit widmen, ihnen ein freies Zimmer anbieten oder für den täglichen Bedarf einkaufen. All diese Menschen verdienen Dank und Respekt.
Ich will, weil ich dafür Beispiele kenne, auch ausdrücklich erwähnen, dass sich unter den freiwilligen Helfern auch Menschen mit russischer Herkunft befinden, die voller Scham angesichts der Kriegsverbrechen sind, die in diesen Tagen in russischem Namen begangen werden, und die jetzt großen Anfeindungen in Deutschland ausgesetzt sind. Wir dürfen auch nicht Putin mit Russland gleichsetzen oder Putin gleichsetzen mit allen Menschen, die russisch sprechen oder russischstämmig sind, meine Damen und Herren.
Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Natürlich stößt auch Freiwilligkeit irgendwo an ihre Grenzen. Das gilt sowohl im privaten wie auch im öffentlichen Bereich. Deswegen dürfen wir uns auch nicht allein nur auf Freiwilligkeit verlassen. Wir sind voller Anerkennung für die vielen freiwilligen Helfer und Ehrenamtler. Aber: Der Rechtsstaat hat auch eindeutige Regeln, wer welchen Beitrag leisten muss, und folglich werden wir diese Regeln auch anwenden. Deswegen hat die Bundesregierung gestern die Verteilung der Flüchtlinge auf die Bundesländer nach dem Königsteiner Schlüssel aktiviert; und das ist richtig so.
Aber auch in der EU müssen wir klare Regeln definieren, wie wir als Rechts- und Wertegemeinschaft unseren humanitären Verpflichtungen gerecht werden wollen und wer welchen Beitrag erbringen muss. Denn auch humanitäre Pflichten sind Pflichten, meine Damen und Herren. Deshalb begrüße ich, dass die Bundesregierung darauf hinwirken wird, dass ein fairer europäischer Verteilungsschlüssel angewandt wird, sodass sich nicht einige wenige hinter der Hilfsbereitschaft der vielen wegducken können und wir die Fehler der Jahre 2015 und 2016 nicht wiederholen.
Eine gerechte Verteilung setzt natürlich auch voraus, dass wir wissen, wer bei uns ankommt. Und deswegen müssen wir die Menschen, die hier ankommen, auch erfassen und registrieren. Denn nur dann, wenn wir wissen, wie viele Menschen ankommen, wer ankommt, wie viele davon alte Menschen, Kinder, Familien oder Alleinstehende sind, können wir die Hilfen auch zielgerichtet an den Mann, an die Frau und an das Kind bringen. Kinder, die zum Beispiel Kriegshandlungen miterleben mussten, sind traumatisiert, müssen betreut werden. Ältere Menschen brauchen Pflege und Betreuung. Deshalb hat die Bundesregierung auch bereits mit der Registrierung der Flüchtlinge begonnen. Denn eine möglichst lückenlose Registrierung schützt auch die Menschen, die bei uns ankommen, meine Damen und Herren.
Damit all das europaweit geschehen kann, braucht es insgesamt eine Koordinierung durch die Europäische Kommission und eine faire Verteilung auf die Mitgliedstaaten der EU.
Meine Damen und Herren, Putins Krieg gilt in erster Linie der Ukraine. Aber: In zweiter Linie soll er auch dazu dienen, Europa durch eine Flüchtlingswelle zu destabilisieren. Indem wir diese Flüchtlingswelle gemeinsam europäisch meistern, durchkreuzen wir den Plan des russischen Diktators und setzen gegen die Barbarei ein Zeichen der Menschlichkeit. Wir zeigen, dass unser Platz jetzt an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer ist.
Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Detlef Seif hat jetzt das Wort für die Unionsfraktion.
Beifall bei der CDU/CSU)