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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der SED-Staat war eine Diktatur. Er war dies nicht durch Fehlentwicklung oder individuellen Machtmissbrauch – der kam im Einzelnen hinzu –, sondern von seinen historischen und ideologischen Grundlagen her. Die Hauptverantwortung für das Unrecht, das von diesem System ausging, trägt die SED.
Beifall bei der FDP)
Die politisch-moralische Verurteilung der SED-Diktatur bedeutet keine Verurteilung der ihr unterworfenen Menschen. Im Gegenteil: Die Deutschen in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR haben den schwereren Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte zu tragen gehabt.
Und schließlich: „Zu den geistigen Grundlagen einer innerlich gefestigten Demokratie gehört ein von der Gesellschaft getragener antitotalitärer Konsens.“ Ich zitiere gern diese Worte aus dem Entschließungsantrag, mit dem sich der Deutsche Bundestag 1994 zum Abschlussbericht der ersten Enquete-Kommission in einem sehr breiten Konsens geäußert hat. Diese Klarheit in den Feststellungen – sie beruhte wohl auch auf der zeitlichen Nähe, darauf, dass die Vergangenheit noch qualmte, dass das unmittelbar Erlebte noch sehr nah war. Aus der Einrichtung der Enquete-Kommission sprach das ehrliche Bemühen, es diesmal besser zu machen und schneller mit der Aufarbeitung einer Diktatur zu beginnen, nicht erst auf eine nachfolgende Generation zu warten. Ich sage: Das ist richtig so. Die Klarheit dieses Entschließungsantrages zeigt es.
In meinem Heimatland Brandenburg, wo es aus Gründen eine solche Enquete-Kommission ab 2010 gab, war es für meine Generation und andere nochmals notwendig, genau das für unser Bundesland aufzuarbeiten – und manche moralische Indifferenz nicht mehr klar zu benennen, was eine Diktatur war, wer die Verantwortung trug. Diese Entwicklung war schon da klar zu spüren, sehr geehrte Damen und Herren.
Es gibt natürlich nicht nur Schwarz und Weiß auf der Welt, und moralischer Rigorismus ist fehl am Platz. Aber es ist eben auch nicht alles grau in grau.
Beifall bei der FDP)
Politische und moralische Schuld, für die unser Strafrecht im Rechtsstaat aus gutem Grund Grenzen hat, muss gesellschaftlich aufgearbeitet werden. Im öffentlichen Bewusstsein ist dabei oft wenig präsent, dass die Wiederaneignung der eigenen Geschichte ein zentrales Anliegen der Bürgerrechtsbewegung in der DDR und auch bei unseren Nachbarn in Ost- und Mitteleuropa war. Die Gründung von Memorial fällt nicht ohne Grund in diese Zeit. Das „Sputnik“-Verbot 1988 in der DDR beruhte auch auf einer intensiven Geschichtsdebatte in der Sowjetunion, die man in der DDR beobachtete. „Meine Akte gehört mir“ war das individuelle Anliegen der Bürgerinnen und Bürger der DDR, um die Hoheit über die eigene Biografie zu bekommen. Gesellschaftlich ging es darum, den Machthabern, die ein taktisches Verhältnis zur Geschichte hatten, die Deutungshoheit über die Geschichte der Diktatur zu entziehen, sehr geehrte Damen und Herren.
Beifall bei der FDP)
Wenn man sich nun die Beiträge der Enquete-Kommission für die politische Kultur unseres Landes anschaut, dann habe ich jetzt nicht die Zeit, um auf alle vielfältigen Beiträge einzugehen. Dazu gehört allerdings die Auseinandersetzung mit dieser zweiten deutschen Diktatur als gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dazu gehört, dass die Enquete-Kommission viel Material, einen wertvollen Steinbruch für Forschung und politische Bildung, hinterlassen hat. Dazu gehört, dass sie das Leid der Opfer und die Leistungen von Widerstand und Opposition erstmals in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt hat, und das war bitter nötig; denn die Opposition hatte kein Staatstheater in der Diktatur, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Das wohl wichtigste Ergebnis allerdings, finde ich, ist die Formulierung des antitotalitären Konsenses – auch ganz aktuell für unsere heutige Auseinandersetzung mit Extremismus. Jürgen Habermas formulierte ihn 1994 bei einer Anhörung. Er sagte zum Beispiel: Diese Aufeinanderfolge von zwei Diktaturen kann einer lehrreichen optischen Verstärkung der totalitären Gemeinsamkeiten dienen. – Dieses Bekenntnis von Habermas führte dazu, dass ein Teil der Öffentlichkeit seinen Kalten Krieg gegen die Totalitarismustheorie Hannah Arendts einstellte und diese Theorie wieder dorthin brachte, wo sie hingehört, nämlich in das mannigfaltige Theorienregal, aus dem man sich ungestraft bedienen kann.
Der antitotalitäre Konsens allerdings ist leider aufgeweicht. Das ist ein Erfolg jener, die die Diktatur nicht Diktatur nennen wollen. Und es ist eine besondere Langzeitwirkung der kommunistischen Diktatur, die mittlerweile weitaus weniger östlich der Oder als vielmehr westlich der Elbe wirkt. Beispiele dafür sind die heutige Verharmlosung des Linksextremismus oder von RAF-Terroristen. Auch ein revisionistisches Geschichtsbild, das dem von Putin nicht unähnlich ist
Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
und zum Beispiel ein ambivalentes Verhältnis zum historischen Fakt des Hitler-Stalin-Paktes hat, findet man bei manchen, die sich heute selbst des Antifaschismus rühmen.
Beifall bei der FDP und der AfD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wessen Freiheit durch eine Mauer, die als antifaschistischer Schutzwall bezeichnet wurde, geraubt wurde, der kann nicht euphorisch klatschen, sondern der schaut ganz genau zweimal hin, ob diejenigen, die gegen etwas sind, auch für das sind, worauf es ankommt, nämlich unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung. Insofern dürfen wir uns nichts vormachen: Bei Geschichte und bei Deutungskämpfen um die Geschichte geht es um die Systemfrage, um unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung.
Ich wünschte, die letzten drei Wochen hätten uns nicht in dieser Deutlichkeit zeigen müssen, dass, um es mit Ralf Dahrendorf zu sagen, 1989 nicht Ende, sondern Wiederbeginn der Geschichte war, und zwar im Guten wie im Schlechten. Geschichte verläuft weder zufällig noch zwangsläufig. Sie gibt uns eine Verantwortung. Geschichtsvergessenheit ist eine Form des politischen Analphabetismus.
Die Feinde der Freiheit – ich komme gleich zum Schluss – nutzen Geschichte taktisch. Die Verteidiger der Freiheit brauchen Geschichtsbewusstsein als Rüstzeug, um unsere Demokratie wehrhaft nach innen und nach außen zu machen. Lassen Sie uns diesen Auftrag annehmen.
Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)