- Bundestagsanalysen
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer das Land nicht kennt, den mag vor allem eine Frage beschäftigen, so auch mich, als ich vor rund 20 Jahren erstmals in einem Flugzeug auf einem dieser schrecklichen Nachtflüge nach Georgien saß. Für die Reise und den Aufenthalt dort hatte ich mir genau diese Frage vorgenommen: Gehört Georgien zu Europa, nicht nur geografisch und kulturell? Kann Georgien zum politisch und wirtschaftlich integrierten Europa gehören? Wahrscheinlich würde ich heute nicht hier stehen und über Georgiens europäische Zukunft sprechen, wenn ich die Frage mit Nein beantwortet hätte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Georgien gehört zu Europa: mit seiner uralten, traditionsreichen christlichen Kultur, mit seiner exponierten geostrategischen Lage, mit seinen wunderbaren Menschen. Besonders eng sind übrigens die Beziehungen zu Deutschland. Das liegt nicht nur daran, dass die beiden Länder in internationalen Institutionen immer nebeneinandersitzen, Georgia und Germany eben. Nein, Verbindungen nach Deutschland gab es schon immer, vor allem aber seit Beginn des 19. Jahrhunderts. Ab 1817 kamen deutsche Siedler. Sie gründeten neue Dörfer und eröffneten – erstaunlich für ein Land, in dem seit Jahrtausenden bester Wein angebaut wird – im Jahre 1846 eine Brauerei. Stark war stets die politische Unterstützung des Landes. 1918 erkannte Deutschland die georgische Unabhängigkeit an. Eine deutsche Botschaft öffnete ihre Türen, ein Botschafter wurde entsandt. Doch drei Jahre später beendete die Annexion durch die Sowjetunion die Eigenstaatlichkeit. Anfang 1992 erkannte die Bundesrepublik die erneute staatliche Unabhängigkeit des Landes an. Eng und vertrauensvoll sind seitdem die Kontakte. Das lag auch an der persönlichen Freundschaft von Hans-Dietrich Genscher mit dem georgischen Präsidenten Eduard Schewardnadse. Auch Bundeskanzlerin Merkel hatte eine persönliche Verbindung mit dem Land.
Lassen Sie mich noch einen Punkt aus jüngster Zeit erwähnen: Wir werden nie die heldenhafte Rolle der georgischen Soldaten in Masar-i-Scharif bei der Bekämpfung der Attentäter vergessen, die im Jahre 2016 das dortige deutsche Generalkonsulat angegriffen hatten.
Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Georgien von heute hat sich spätestens 2014 mit dem Inkrafttreten des Abkommens mit der EU über eine vertiefte und umfassende Freihandelszone – das ist ein Assoziationsabkommen – auf den Weg in Richtung EU gemacht. 2016, in unserer Regierungszeit, kam als Meilenstein die Visumsfreiheit hinzu, schließlich im Dezember letzten Jahres die Verleihung des EU-Kandidatenstatus an das Land.
Die Menschen wollen Europa, doch das Land ist in Bedrängnis. Es hat nämlich einen bösen Nachbarn. Der drangsaliert das Land. Er hält wichtige Teile des Landes, Abchasien und Südossetien, besetzt. Zudem scheint die Aussicht auf einen stabilen politischen und rechtlichen Rahmen als zukünftiges EU-Land offenbar nicht im Interesse einiger einflussreicher Persönlichkeiten mit eigenen Wirtschaftsinteressen zu sein. Das ist sehr gefährlich; denn diese Kräfte überschätzen sich selbst und unterschätzen die Dimension des negativen Einflusses Russlands. Sie wollen eine graue Zone, um in Ruhe ihre Geschäfte zu machen. Doch sie riskieren die Rückkehr ihres Landes in den russischen Orbit. Dabei greift die derzeitige georgische Regierung zu Maßnahmen, die weder dem Geist noch den Buchstaben der Abkommen mit der EU entsprechen; denn die EU nimmt nicht die Würde und die Identität eines Landes, sondern sie ermöglicht sie erst, eben auf der Basis europäischer Werte. Das Agentengesetz, die Drangsalierung von Minderheiten und Opposition führen das Land weg von der EU. Ist das der georgische Traum?
An diesem Pult im Deutschen Bundestag appelliere ich an die Vertreter der georgischen Regierungspartei: Ich habe viele von Ihnen als gute Partner kennengelernt. Sie haben einen großen Anteil daran, dass Georgien auf dem Weg in die EU vorangekommen ist. Verraten Sie jetzt nicht Ihre und unsere Ideale! Die Wahlen am 26. Oktober müssen fair und frei verlaufen. Die Drangsalierungsdekrete müssen weg.
Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Den Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, hätten wir uns auch gemeinsam vorstellen können.
Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
„Gemeinsam“ bedeutet aber, darüber gemeinsam zu beraten. Dazu haben wir keine Einladung erhalten. Schade! Deswegen, aber nur deswegen müssen wir diesen Antrag mit Bedauern ablehnen.
Vielen Dank.
Beifall bei der CDU/CSU
Ja, genau! Sehr schade!)
Vielen Dank, Herr Kollege Abraham. – Nächster Redner ist der Kollege Michael Roth, SPD-Fraktion.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)