Zwischenrufe:
5
Beifall:
11
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte zeigt: Es ist gut, dass wir hier zu einer Einigung gekommen sind. Ich bedanke mich bei den Koalitionsfraktionen und beim Justizministerium für die Verständigungsbereitschaft und die Möglichkeit, die Gesetzentwürfe hier vorzulegen.
Nicht vergessen sollten wir in der Debatte aber auch: Schon heute ist das Verfassungsgericht fest verankert in unserem Grundgesetz. Seine starke Stellung als Verfassungsorgan hat sich etabliert, sogar ohne eine bisherige ausdrückliche Festlegung im Verfassungstext. Und wenn es heute um die Absicherung von Regelungen aus dem Verfassungsgerichtsgesetz im Grundgesetz geht, ist es auch wert, festzuhalten, dass Struktur und Arbeitsweise des Gerichts bei seiner Einführung im Jahr 1951 keineswegs für die Ewigkeit zementiert wurden, sondern es seitdem eine ganze Reihe von wichtigen Änderungen gegeben hat, etwa die Amtszeitbeschränkung für alle Richter, eine Verringerung der Richterzahl, die Einführung von Kammern oder die Abschaffung der Möglichkeit, ein Rechtsgutachten beim Bundesverfassungsgericht zu bestellen. Auch das gab es in den ersten Jahren dieses Gerichts. Alle diese Veränderungen kamen übrigens seinerzeit ohne eine Verfassungsänderung aus. Und keine dieser einfachgesetzlichen Änderungen hat das Verfassungsgericht geschwächt; tatsächlich haben sie es sogar gestärkt.
Aber inzwischen beobachten wir – das haben viele Redner bereits gesagt – in einigen Staaten innerhalb und außerhalb Europas besorgniserregende Entwicklungen. Wir sehen die Neigung autokratischer Regierungen, die Verfassungsgerichtsbarkeit zu schwächen. Es ist deswegen nicht nur ein plausibles, sondern auch ein richtiges Anliegen, zu prüfen, wie die Arbeit des Bundesverfassungsgerichts besser im Grundgesetz abgesichert werden kann. Und ich will dazusagen: Jede politische Partei, die das ganz grundsätzlich ablehnt, muss sich die Frage gefallen lassen, ob sie denn eine heimliche Agenda der Schwächung des Gerichts verfolgt, meine Damen und Herren.
Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Beim Wie des verstärkten Schutzes standen zwei Wege zur Auswahl: zum einen die materielle, substanzielle Verdichtung der Regeln zur Arbeitsweise und Struktur des Gerichts im Grundgesetz, zum anderen eine prozedurale Erschwerung der Änderungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes, ohne sie aber praktisch unmöglich zu machen. Letzteres hätte sich insbesondere erreichen lassen durch Einführung einer Zustimmungspflichtigkeit des Gesetzes im Bundesrat.
Aber, meine Damen und Herren, die Ampelfraktionen und die Union haben sich aus sehr guten Gründen für den ersten Weg entschieden. Es geht dabei um die Verankerung struktureller Regeln und der Geschäftsordnungsautonomie des Gerichts im Verfassungstext. Und ich darf sagen: Von einem doppelten, materiellen und prozeduralen, Schutz – also gleichsam Gürtel und Hosenträger – würde ich dringend abraten.
Es ist eine verfassungspolitische Klugheitsregel, Eingriffe in den Verfassungstext immer möglichst behutsam und möglichst knapp vorzunehmen. Und wenn es uns gemeinsam um die Stabilisierung und bessere Absicherung des Gerichts geht – das ist der Zweck der ganzen Übung –, sollten wir, finde ich, alles vermeiden, was in der Öffentlichkeit unter Umständen genau den gegenteiligen Eindruck hinterlässt, nämlich den einer Fragilität des Gerichts.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir künftig noch einmal darüber reden wollen und sollten, wie die Resilienz unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung insgesamt zu stärken ist, liegt es natürlich nahe, den Blick auch einmal über das Verfassungsgericht hinaus zu weiten. Verfassungsfeinde greifen erfahrungsgemäß nicht nur die Verfassungsgerichtsbarkeit an, sondern ebenso und vielleicht insbesondere die parlamentarische Willensbildung; das Beispiel Thüringen wurde ja bereits genannt.
Ja, da habt ihr euch hervorgetan, Herr Kollege!)
Sinnvoll erscheint daher eine Absicherung der Funktionsfähigkeit des Bundestages, etwa durch eine erstmalige substanzielle grundgesetzliche Verankerung der Fraktionen; denn sie sind der wesentliche und auch unverzichtbare Stabilitätsfaktor der Parlamentsarbeit. Ohne die Fraktionen würde Parlamentsarbeit in einer parlamentarischen Demokratie heute nicht mehr funktionieren.
Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Daniel Rinkert [SPD])
Aber eine grundgesetzliche Festlegung nicht nur der Wahlrechtsgrundsätze, sondern auch des Wahlsystems wäre aus meiner Sicht wichtig. Mich jedenfalls erfüllt die jüngst geäußerte Rechtsauffassung von Teilen dieses Hauses mit Sorge, wonach ein Wechsel des Wahlsystems schrankenlos zulässig sei. Wenn man das ernst nimmt, würde diese Beliebigkeit leicht von radikalen Kräften ausgenutzt werden können. Ich finde, wir müssen schauen, wie wir dieser Gefahr Einhalt gebieten können.
Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Sylvia Lehmann [SPD])
Aber – mein Vorschlag – lassen Sie uns erst einmal das beschließen, was heute auf dem Tisch liegt, weil das gute Vorschläge sind, die in einem guten Verfahren erarbeitet worden sind und die unsere Verfassung und das Verfassungsgericht stärken würden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine letzte Bemerkung. Wir dürfen bei allem berechtigten Eifer zur Verfassungsresilienz aber niemals vergessen, dass eine Verfassung sich nicht gänzlich selbst schützen kann. Ob eine Verfassung Krisen übersteht, hängt zum einen davon ab, ob es genug Demokraten gibt, die diese Verfassung tragen und ihren Inhalt auch mit Leben erfüllen,
Wie während des Coronalockdowns! Das Grundgesetz einfach außer Kraft gesetzt!)
und zum anderen natürlich auch davon, ob die Akteure im Verfassungsstaat diese Krise überwinden wollen. Gefordert sind hier zunächst die politischen Verfassungsorgane; aber gefordert ist auch das Bundesverfassungsgericht selbst.
Wenn es um die Akzeptanz seiner Arbeit geht, sollte das Gericht sicher niemals auf die Umfragewerte achten, aber natürlich auf die Qualität seiner Arbeit, mit der es überzeugen kann.
Das bedeutet insbesondere eine solide und fachgerechte Auslegung und Anwendung des Verfassungstextes. Dass das Verfassungsgericht genau das weiter politisch unbeeinflusst tun kann, soll der vorliegende Entwurf absichern.
Beifall bei der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Matthias Helferich.