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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die deutsche Geschichte nach 1945 war geprägt von der Teilung Europas durch den Eisernen Vorhang. Er teilte unser Land. Die Berliner Mauer verlief nur wenige Meter hinter uns, trennte die Menschen und teilte die Bürger auf zwei Staaten auf. So unterschiedlich die Entwicklung in beiden deutschen Staaten war, so unterschiedlich war das Verhältnis dieser beiden Staaten zu unseren großen Nachbarn: Freundschaft in Freiheit mit Frankreich im Westen, kommunistische Diktatur und Zwangsfreundschaft im Warschauer Pakt mit Polen im Osten. Es sollte noch Jahrzehnte dauern, bis sich in Europa die Freiheit Bahn gebrochen hatte. Ohne die Freiheitsbewegung in Polen wäre dies nicht möglich gewesen. Dafür sind wir ewig dankbar.
Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Plötzlich war Deutschland vereint, Europa konnte zusammenwachsen, und heute sind wir mit unseren Nachbarn gemeinsam Teil der Europäischen Union. Heute arbeiten wir mit Frankreich und Polen im Weimarer Dreieck zusammen. Heute blicken wir auf die Wiederaufnahme der deutsch-polnischen Regierungskonsultationen zurück. Auch dafür sind wir alle dankbar.
Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Unsere lange gemeinsame deutsch-polnische Geschichte ist geprägt von guten Erfahrungen der Zusammenarbeit, der Freundschaft und der Bewunderung und genauso geprägt von den schlimmsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die Deutschland an unseren polnischen Nachbarn und auf polnischem Boden gegenüber der Welt begangen hat.
Die Geschichte Polens wirkt in unserem Nachbarland bis heute nach. Mit dem Untergang des Unionsstaates Polen-Litauen und den folgenden Teilungen ist unser Nachbarstaat für fast 100 Jahre von der Landkarte verschwunden. Ausradiert, weil die Nachbarn es so wollten. In der Zeit waren es die Dichter, die Komponisten und der Glaube, die dem Drang nach einem eigenständigen, selbstbestimmten Staat nie erlöschen haben lassen.
Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs verbinden wir das Jahr 1918. Für Polen endete der polnisch-sowjetische Krieg erst 1921. Polen war wieder ein eigenständiger Staat. Es waren die Nationalsozialisten, die mit dem Überfall auf Polen das Ende der zweiten polnischen Republik besiegelten. Wir wissen, was folgte: der Massenmord in Auschwitz. Die Hauptstadt Warschau wurde dem Erdboden gleichgemacht. Die Erinnerung an das Warschauer Ghetto und den Warschauer Aufstand prägen die Stadt und das Land bis heute. Wie sollen nach diesen Menschheitsverbrechen zwei Länder wieder in Nachbarschaft leben – vielleicht in Freundschaft?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Deutsche verdanken der polnischen Bevölkerung viel. Die kommunistischen Diktaturen in Mittel- und Osteuropa haben in Polen erste Risse bekommen. Mit der Gründung der ersten freien Gewerkschaft Solidarność durch Lech Wałęsa ist es gelungen, Polen von den menschenverachtenden Taten des Kommunismus zu befreien. Die dritte polnische Republik, eine echte Demokratie, ist entstanden. Und wieder: Es war die Sehnsucht der Polinnen und Polen, eigenständig und frei zu sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Polnisch ist die Sprache der Freiheit. Nirgends in Europa weht der Wind der Freiheit so stark wie in Danzig.
Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
All das zeigt uns doch: Wir müssen stärker auf unsere polnischen Nachbarn hören, wenn die Freiheit Europas in Gefahr ist. Und sie ist in Gefahr. Lange genug haben uns die Balten und die Polen auf unsere blinde Naivität gegenüber Russland hingewiesen. Die Umsetzung der Zeitenwende wird in Mittel- und Osteuropa genau beobachtet. Auch daran wird sich Deutschlands Einfluss und Bedeutung in der EU messen. Zusammen sollten wir auch den europäischen Pfeiler der NATO stärken. Und wenn unsere polnischen Nachbarn von Deutschland eine Führungsrolle bei der kollektiven Sicherheit fordern, zeigt das doch, wie groß das zwischen uns gewachsene Vertrauen wieder ist.
Und doch: Unser bilaterales Verhältnis zu Polen muss weiter ausgebaut, vertieft und den neuen Realitäten in der Welt angepasst werden. Es ist gut, dass es nach sechs Jahren wieder deutsch-polnische Regierungskonsultationen gab. Ein echter Neustart nach harten gemeinsamen Jahren. Der verabschiedete gemeinsame Aktionsplan muss nun konsequent konkretisiert und umgesetzt werden; denn in den Jahren der politischen Spannungen hatte sich vor allem der zivilgesellschaftliche Austausch als widerstandsfähig erwiesen. Der Prozess der Aufarbeitung und Versöhnung wird nie abgeschlossen sein. Das Deutsch-Polnische Haus wird einen wichtigen Beitrag als Ort des Erinnerns, der Begegnung und der Versöhnung leisten. Besonders freut mich, dass die breitere Verwendung des deutsch-polnischen Geschichtsschulbuches beschlossen wurde – eine Initiative mit Vorbildcharakter.
Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ohne Polen wird auch eine Reform der EU nicht gelingen. Unsere neue bilaterale Reformarbeitsgruppe kann erhebliche Impulse liefern. Sie stärkt das gegenseitige Verständnis in vielen Politikfeldern – so kontrovers unsere Ausgangspositionen manchmal auch sein mögen.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – Die Entwicklungen der letzten Wochen zeigen uns doch vor allem eines: Auf Deutschland und Polen wird eine große gemeinsame Verantwortung zukommen – hoffentlich im Schulterschluss mit Frankreich!
Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Alexander Radwan für die Unionsfraktion ist unser nächster Redner.
Beifall bei der CDU/CSU)