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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir uns an das letzte größere runde Jubiläum der NATO vor fünf Jahren erinnern, dann denken wir natürlich auch an die gedämpfte Stimmung rund um den Nordatlantikpakt. Wir haben alle noch Donald Trumps verbalen Angriff und seine permanenten Austrittsdrohungen im Ohr. Wir erinnern uns an die öffentlich geführten Debatten über den Sinn und den Unsinn dieses westlichen Verteidigungsbündnisses und die Fragen, die sich rund um die Zukunft dieses Pakts drehten, sodass der französische Präsident Emmanuel Macron damals der NATO sogar den Hirntod attestierte. Was für ein Irrtum!
In den 75 Jahren ihres Bestehens war der Auftrag der NATO stets von Veränderungen geprägt. Es begann als kollektives Verteidigungsbündnis mit zwölf Mitgliedstaaten; wir erinnern uns an den Kalten Krieg. In den 90er-Jahren hatte man es mit der Osterweiterung zu tun, in den Nuller- und Zehnerjahren stand die Terrorbekämpfung im Fokus. Jetzt, in den 20er-Jahren, haben wir es mit ganz anderen Herausforderungen zu tun.
Auch beim Gipfel in Washington nächste Woche wird sich bei den Vertreterinnen und Vertretern der 32 NATO-Staaten die Feierlaune wahrscheinlich in Grenzen halten; zu massiv sind die geopolitischen Krisen. Es hat sich einiges geändert seit dem letzten runden Geburtstag, und zum Glück ist vom Hirntod der NATO – erst recht nicht seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine – nicht mehr die Rede. Dieser Angriff vor unserer Haustür hat vielen nicht nur die Verwundbarkeit Europas vor Augen geführt, sondern auch die strategische Bedeutung eines dauerhaften Sicherheitsbündnisses bekräftigt – und sogar noch viel mehr als das: Wir beobachten ein grundlegendes Umdenken und eine unerwartete Geschlossenheit. Die NATO erlebt ein Revival. Die Regierungen der NATO-Staaten erhöhen ihre Verteidigungsbudgets. Es werden große Truppenkontingente zur Verstärkung der Ostflanke ins Baltikum geschickt, und die Logistik für die Verlegung großer Verbände wird gemeinsam überarbeitet. Das ist genau richtig so.
Das hört sich für einen Verteidigungspakt erst einmal sehr gut an; doch dieses auf den ersten Blick sehr optimistische Bild kann nicht über die strukturellen Herausforderungen hinwegtäuschen, die die NATO lösen muss, um diesen aktuellen Aufgaben gerecht zu werden. Die noch offenen Fragen zur Zukunft des amerikanischen Engagements in der NATO und auch eine noch viel zu wenig einheitliche Debatte über das Konzept der Abschreckung könnten der Wiederbelebung schnell die Attraktivität rauben. Zwar sind sich alle Bündnispartner der Vorteile bewusst, die der Pakt für ihre Sicherheit und die politische Berechenbarkeit untereinander bietet. Wenn das aber so bleiben soll, dann braucht es klare Absprachen und Verständigung auf gemeinsame Ziele. Das gilt ganz besonders für Staaten wie Ungarn oder die Türkei, die zwar gerne die Vorteile der NATO-Mitgliedschaft mitnehmen, es sich aber auch nicht nehmen lassen, gleichzeitig mit Russland zu flirten und Sanktionen zu umgehen. Da braucht es eine klare Verbindlichkeit.
Ich persönlich begrüße es sehr, dass sich dieses Bündnis durch eine immer breitere Themenpalette Bedeutung verschafft hat. Ja, wir wissen: Sicherheit ist weit mehr, als immer nur Geld in Verteidigung zu investieren. Sicherheit umfasst auch den Schutz und die Förderung der Grundrechte aller Menschen, insbesondere der Frauen, die in vielen Teilen der Welt immer noch unterrepräsentiert und gefährdet sind. Sicherheit und Frieden sind nur nachhaltig, wenn sie inklusiv sind.
Es war wichtig, dass die NATO im Jahr 2007 ihre Politik zu Frauen, Frieden und Sicherheit erarbeitet hat, um sicherzustellen, dass Frauen auf allen Ebenen der Konfliktprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung eine Rolle spielen. Die Einbindung von Frauen in Friedensprozesse ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch der Effektivität. Studien zeigen, dass Friedensvereinbarungen, in die Frauen eingebunden sind, eine 35 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit haben, mindestens 15 Jahre zu bestehen. Das unterstreicht, dass die Förderung der Rechte und die Teilhabe von Frauen direkt zu dauerhaftem Frieden und Stabilität führen.
Als Mitglieder der NATO haben wir die Pflicht, dieses Engagement weiter voranzutreiben. Wir brauchen vor allem mehr Europa, wir brauchen ein starkes Europa in der NATO. Europa kann das; Deutschland kann das.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Marcus Faber [FDP])
Als Nächste hat das Wort für die Gruppe BSW Sevim Dağdelen.
Beifall beim BSW)