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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die NATO feiert 75 Jahre Bereitschaft, sich gemeinsam zu verteidigen und sich gegenseitig zu schützen. Aus den 12 wurden inzwischen 32 Verbündete. Und der jüngste Beitritt Finnlands und Schwedens ist erlebte Geschichte, meine Damen und Herren – zwei Länder, die sich nach jahrzehntelanger Bündnisneutralität entschieden haben, diesem Bündnis beizutreten. Ein wichtiger strategischer Schritt und deutliches Signal Richtung Moskau: Wir stehen zusammen, schützen und verteidigen die 1 Milliarde Menschen, die in diesen Staaten leben.
Die NATO-Mitgliedschaft ist einer der wichtigsten Grundpfeiler der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Und der Eintritt Deutschlands markierte im Jahre 1955 eine erste Zeitenwende. Es wurde nämlich das Land Mitglied im Bündnis, vor dem man sich ursprünglich schützen wollte. Mit den Pariser Verträgen wurde Westdeutschland als souveräner Staat anerkannt und in die westliche Verteidigungsstrategie integriert. Meine Damen und Herren, sie hat den Menschen Sicherheit gebracht. Und wir können heute angesichts unserer Geschichte dankbar sein, Teil dieses Bündnisses zu sein.
Diese Mitgliedschaft ist aber nicht nur ein Geschenk, sondern auch und vor allem Verpflichtung. Die Zeiten, darauf zu bauen, dass die Vereinigten Staaten uns wie selbstverständlich schützen, sind bei aller Freundschaft vorbei. Die Zeiten, in denen Deutschland Regeln unterstützt wie 2014 in Wales, nicht aber daran denkt, diese zu erfüllen, sind vorbei. Die Bündnispartner erwarten von uns nicht erst seit heute, dass Deutschland seiner Pflicht nachkommt, und auch, dass angesichts des russischen imperialistischen Wahnsinns Deutschland bereit ist, zukünftig weitere Partner in die NATO aufzunehmen. Meine Damen und Herren, dazu gehört auch die Ukraine.
Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es war ein historischer Fehler, dass die damalige Bundesregierung der Ukraine den Beitritt in die NATO versagt hat, in der Annahme, Putin bliebe dann der friedliche Nachbar und Handelspartner. Das Gegenteil ist der Fall. Und es ist zynisch, dass deutsche Politiker in der Vergangenheit – wir haben es gerade gehört – und noch heute das russische Narrativ bedienen, der Angriff auf die Ukraine sei die Folge der aggressiven NATO gewesen.
Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist meine letzte Rede als Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Ich werde meine Arbeit im Europäischen Parlament fortsetzen, basierend auf meinen politischen Erfahrungen, die ich hier machen durfte. Und nicht nur hier, sondern auch in der Europäischen Union sind wir herausgefordert. Jetzt wird es eine dritte rechte Gruppe geben. Und dass sich diese neue dritte Gruppe den Namen „Patrioten für Europa“ gibt, ist Zynismus pur.
Zuruf des Abg. Dr. Bernd Baumann [AfD])
Denn sie kultivieren wieder den Nationalstaat und verkehren die Idee Europas, den Zusammenschluss der Länder innerhalb einer Union, ins Gegenteil.
Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, viele Gewissheiten verändern sich. Diejenigen, die hassen und Ressentiments bedienen und brutal Grenzen überschreiten, sind wieder da – national und international. Und wir hier müssen heute Verantwortung übernehmen, damit das, was jahrzehntelang aufgebaut worden ist, nicht in kürzester Zeit zunichtegemacht wird.
Es geht um Demokratie. Es geht um Menschenwürde. Es geht um unser westliches Wertebündnis, um die Zukunft der NATO. Es geht um die Ukraine. Es geht um den Umgang mit Autokraten und Despoten, sei es in Moskau, Peking, Pjöngjang oder Teheran. Es geht um unseren Multilateralismus, um den Kampf gegen die Klimakrise. Kurz: Es geht um das komplette Gefüge unserer heutigen Welt.
Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Auch der Bundestag, meine Damen und Herren, ist ein Spiegelbild dessen, was wir gerade an gesellschaftlicher Radikalisierung erleben. Wir müssen wahrnehmen, dass rechts- und linksradikale Parteien ihren Schrecken offensichtlich verloren haben, obwohl diese lauthals die Demokratie verhöhnen
und sich geradezu daran laben, sich auf demokratischem Weg in die Institutionen wählen lassen, um sie dann von innen heraus zu zerstören,
Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU
und sie sich selbst als Opfer inszenieren, obwohl sie den üblen Geist, den sie gegen sich gerichtet zu spüren glauben, selbst aus der Flasche gelassen haben.
Aber, meine Damen und Herren, es reicht heute nicht mehr, dieses Verhalten empört zu kommentieren. Wir als Demokraten müssen mit Lösungen Menschen bewegen, damit sie nicht von den Falschen bewegt werden.
Das entscheiden die Wähler!)
Wir werden diese Verächtlichmacher nur irrelevant machen, wenn es uns gelingt, die Sorgen der Menschen nicht nur zu erkennen, sondern auch zu benennen und ihnen nicht nur hinter vorgehaltener Hand Lösungen anzubieten, meine Damen und Herren – Lösungen frei von Ideologie, frei von Naivität, frei von Romantik.
Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Dafür brauchen wir auch engagierte Kommunalpolitiker, die sich alleine gelassen fühlen mit den Problemen, mit denen sie tagtäglich konfrontiert werden.
Das ist die falsche Rede!)
Werden wir sie verlieren, werden wir damit die Basis eines funktionierenden Staates zerstören.
Das machen Sie seit zehn Jahren!)
Meine Damen und Herren, Zeitenwende ist nicht nur eine Frage der militärischen Stärke; sie muss im Kopf aller Bürgerinnen und Bürger ankommen.
Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Und es ist besorgniserregend, dass sich vermehrt Menschen ins Private zurückziehen, weil sie sich von den vielen Herausforderungen überfordert fühlen, unabhängig davon, in welchem sozialen Umfeld sie sich bewegen.
Fritz Richard Stern, US-amerikanischer Historiker, hat unter dem Titel „Das feine Schweigen“ Essays geschrieben, die sich nicht nur mit „dem Schweigen-Müssen unter dem Druck der Herrschenden“ beschäftigen, sondern auch mit der „selbst verordneten Ruhe vieler Deutscher vor allem aus den Eliten der Gesellschaft“, als die Nationalsozialisten immer stärker wurden. Wir müssen genau hinhören: nicht nur bei dem, was in der Nachbarschaft, im Freundeskreis oder bei Verwandten gesprochen wird, sondern auch, wie sich sogenannte Wirtschaftsführer positionieren.
Christian Kullmann, Chef von Evonik, forderte unmissverständlich – ich zitiere –, dass „die deutsche Wirtschaft sich stärker gegen den rechten Extremismus positionieren sollte“.
Was hat das mit der NATO zu tun?)
Auch er erinnert an das historische Versagen der deutschen Elite, und er fordert die Wirtschaftsbosse auf – Zitat –, „endlich Farbe für die Demokratie“ zu bekennen.
Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, die opportunistische Einordnung, die Radikalen seien doch gar nicht so radikal, ist beängstigend. Wer im Trüben fischt, macht das Unkultivierte und Unmenschliche wieder salonfähig.
Meine Damen und Herren, wir werden weiterhin über viele Themen hier und in den Parlamenten diskutieren, und diese Diskussionen müssen wir vernehmbar machen. Denn die Debatte, der Streit im besten Sinne, dient dazu, die besten Lösungen zu finden. Sie macht Demokratie aus und ist der große Unterschied zu Diktaturen.
Wenn sie aber in Lüge und Verleumdung abgleitet, dann müssen wir alle aufstehen, und, meine Damen und Herren, so auch gegenüber denen, die unsere freie Gesellschaft missachten.
Was „aufstehen“ heißt, haben wir in Essen gesehen!)
Toleranz den Intoleranten gegenüber muss aufhören! Sie raubt uns unsere Freiheit und die Werte, die wir lieben und die wir leben. Und nie sollen unsere Kinder und unsere Enkelkinder rückblickend über uns einmal sagen, wir hätten in unserer Zeit komplett versagt.
Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich verlasse den Deutschen Bundestag mit großem Dank. Ich danke all denen, die mich begleitet haben, meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wie schön, dass ihr mich so gut wie alle nach Brüssel begleitet!
Ich danke meiner Fraktion für euer Vertrauen und eure Freundschaft und dafür, dass ihr mir vieles möglich gemacht habt. Ich danke den Kolleginnen und Kollegen in der Sozialdemokratie, bei den Grünen, bei der CDU/CSU. Ich habe in allen Fraktionen Menschen kennenlernen dürfen, die mein politisches Leben bereichert haben. Ja, ich weiß, manche atmen auf. Ich verspreche Ihnen – es ist keine Drohung –,
Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP, der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
dass ich mich, wenn es um Frieden und Freiheit geht, immer laut zu Wort melden werde.
Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU
Meine Damen und Herren, ich danke den Soldatinnen und Soldaten von ganzem Herzen. Ich habe viele von ihnen kennenlernen dürfen. Sie halten ihren Kopf hin für unsere Sicherheit, und sie haben jeden gesellschaftlichen Respekt verdient.
Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Und last, but not least danke ich meinem Mann, ich danke meinen Kindern und meiner großen Familie und meinen Freunden, die diesen Weg mit mir gehen. Jeder hier in diesem Haus weiß, wie kostbar es ist, einen solchen Rückhalt zu haben, ohne den diese Arbeit hier manchmal nicht zu leisten wäre.
Politik ist nicht einfach. Zeigen wir es den Demokratieverächtern! Zeigen wir es, damit die, die nach uns kommen, so leben dürfen, wie wir es durften und wie es übrigens der Traum der meisten Menschen ist: selbstbestimmt in Frieden und Freiheit zu leben.
Anhaltender Beifall bei der FDP
Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Die Fraktion der FDP sowie Abgeordnete des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Michael Roth [Heringen] [SPD] erheben sich)