- Bundestagsanalysen
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Woche ist ja bekanntlich Petitionswoche. Ich finde es total schön, dass sich das durch die Tage zieht und wir die Gelegenheit haben, noch mal zu erklären, was das mit den komischen Sammelübersichten immer donnerstags eigentlich auf sich hat. Ich erlebe immer wieder, dass Kollegen fragen: Woher weiß ich denn, was da drinsteht? – Manchmal sind 100 Petitionen drin, manchmal nur drei oder in diesem Fall eine.
Sammelübersicht 608: Worum geht es da eigentlich? Es geht darum, dass aus unserer Sicht elternunabhängiges BAföG gezahlt werden soll für junge Menschen, die in Pflegefamilien oder Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe aufgewachsen sind, weil ihren Eltern das Sorgerecht und das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen worden ist. Es geht darum, dass Jugendliche, die echt kein leichtes Leben gehabt haben, dahin kommen, einen BAföG-Antrag zu stellen.
Wenn hier jemand aus dem Petitionsausschuss eine Petition erläutert, dann ist es immer so, dass alle Fraktionen übereinstimmend finden, dass hier eine Ungerechtigkeit vorliegt und ein Problem gelöst werden muss. Das ist schön, und das ist das Besondere am Petitionsausschuss, dass wir dazu in der Lage sind.
Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Besonders in diesem Fall ist das wichtig. Es geht um über 200 000 junge Menschen, die in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe oder in Pflegefamilien gelebt haben. Diese jungen Menschen sind natürlich ganz häufig seelisch belastet oder traumatisiert. Denn egal aus welchen Verhältnissen sie kommen oder wie doof die Eltern waren: Natürlich ist es ein Bruch, wenn man aus der Familie rausmuss. Das sind Wunden, die wahrscheinlich ein Leben lang kaum heilen.
Diese jungen Menschen haben es im Übergang von der Schule in den Beruf besonders schwer; das kann man sich vorstellen. Es machen nicht die allermeisten Abitur und nehmen ein Studium auf. Aber wenn sie das geschafft haben, dann hat das unseren Respekt und unsere Unterstützung verdient.
Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Doch anstatt diesen Menschen diesen Respekt zu zollen, zwingt die aktuelle Rechtslage sie dazu, auf ihre leiblichen Eltern, die sie sehr häufig über ein Jahrzehnt nicht mehr gesehen haben, zuzugehen und zu sagen: So, jetzt leg mal deine Einkommensteuererklärungen offen und bezahl mir mein Studium, oder belege, dass ich keinen Anspruch auf das BAföG habe! – Das ist grausam. Deswegen muss man dafür eine Lösung finden.
Ich möchte Pflegeeltern zitieren – ich könnte noch andere zitieren, die sich dazu äußern –, die sagen: Ich weiß nicht, ob Sie die Dimension dieser Anforderung begreifen: Ein Kind, welches Angst und Not durch leibliche Eltern erfahren hat, muss bei diesen Menschen einen Gehaltsnachweis anfordern. Das ist ein Unding.
Wir finden auch, dass das ein Unding ist, und wir als Parlament werden gleich sagen: Wir wollen, dass es dafür eine Lösung gibt. – So soll Politik funktionieren, oder?
Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und der Linken)