- Bundestagsanalysen
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als am 12. Juni 1980 die zweite und dritte Lesung zum Transsexuellengesetz stattfand, lobten die Redner der damals im Parlament vertretenen Parteien CDU, CSU, SPD und FDP, wie sachlich die Debatte geführt worden sei. Ich stelle mit Bedauern fest – und das beziehe ich explizit nicht auf Sie, Frau Slawik, aber auf die vorhergehenden Debatten –, dass unseren Diskussionen diese so dringend gebotene Sachlichkeit oft fehlt.
Dies zeigte sich auch zum Beispiel an Ihrer Rede, Frau Paus, in der ersten Lesung. Darin geißelten Sie das TSG als reine Demütigung. Dabei unterschlagen Sie – und ich finde, diesen historischen Kontext muss man einmal herstellen, ohne ihn zu verteidigen –, dass das Gesetz im Kontext seiner Zeit überhaupt eines der ersten Gesetze weltweit war, das den Geschlechtswechsel ermöglichte. Für viele Menschen war es der Ausweg und eine Alternative zum Suizid.
Es gelang damals, das Gesetz einstimmig – bei zwei Enthaltungen – im Bundestag zu verabschieden. Und bis Mitte der 2000er-Jahre war dieses Gesetz auch gesellschaftspolitischer Konsens der im Bundestag vertretenen Parteien CDU, CSU, SPD, FDP und Grüne. In Zeiten der ersten rot-grünen Bundesregierung wurde das Gesetz im Kern nicht infrage gestellt. Und es waren erst – und darauf haben Sie verwiesen, Frau Slawik – die Betroffenen selbst, die ihre Situation durch erfolgreiche Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht auf die politische Bühne gehoben haben.
Diese historischen Tatsachen sollten eher zu rhetorischer Demut veranlassen anstatt zu Selbstheroisierung oder gar parlamentarischer Partykultur, wovon wir in der Gesellschaftspolitik leider in den letzten Wochen einiges erlebt haben und eventuell heute auch wieder erleben werden.
Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)
Den Funken Demut, dass wir als politische Entscheidungsträger nie mit hundertprozentiger Sicherheit wissen, ob wir bei unseren Entscheidungen in der historischen Rückschau richtig liegen, habe ich allzu oft vermisst, insbesondere wenn es um so sensible Themen wie Identität, Geschlecht und Jugendschutz ging.
Beifall bei der CDU/CSU)
Dass das TSG heute nicht mehr in die Zeit passt, erkennen auch wir als Union an. Auch wir sind der Meinung, dass eine Vereinfachung des Weges zum Wechsel des Geschlechtseintrages für transgeschlechtliche Menschen möglich sein muss. Der Möglichkeit eines vollkommen voraussetzungslosen Wechsels, wie Sie, Frau Paus, sie nun im Selbstbestimmungsgesetz vorsehen, können wir dagegen nicht zustimmen.
Beifall bei der CDU/CSU)
Ihr Gesetz, Frau Paus, richtet sich an transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nicht binäre Personen. Wir sind uns einig, dass die Personen dieser Gruppen eine möglichst niedrigschwellige Möglichkeit haben müssen, ihren Geschlechtseintrag zu ändern. Dies ist eine Frage der Würde und des Respekts vor der Einzigartigkeit jedes Menschen. Aber Ihr Gesetz ermöglicht es, dass jeder Bürger sein Geschlecht wechseln kann, ohne hierfür seine Motivation darlegen zu müssen.
Auch jede Bürgerin!)
– Jede Bürgerin auch.
Dies bringt Probleme mit sich, für die Sie auch in den parlamentarischen Beratungen keine Lösungen vorgelegt haben. Möglichem Missbrauch wird nichts entgegengesetzt, wenn man Vornamen und Geschlechtseintrag voraussetzungslos ändern kann. Der Staat stellt nicht mehr sicher, dass die Menschen, die ihr Geschlecht wechseln, auch wirklich darüber informiert sind, welche Entscheidungen sie treffen, und, was am schwersten wiegt, Sie vernachlässigen die Schutzfunktion des Staates gegenüber Kindern und Jugendlichen.
Beifall bei der CDU/CSU)
Sie nehmen in Kauf, dass Minderjährige, ohne dass sie angemessen beraten worden sind, vorschnell einen Weg einschlagen, der sich hinterher vielleicht als falsch herausstellt.
Ein Registereintrag!)
Missbrauchsschutz, Übereilungsschutz, Jugendschutz – keiner dieser Anforderungen wird das Selbstbestimmungsgesetz gerecht, und deshalb werden wir es heute auch begründet ablehnen.
Beifall bei der CDU/CSU)
Ihr Gesetz, das Sie als gesellschaftlichen Fortschritt gepriesen haben, lässt weiterhin viele Menschen mit Fragezeichen und Kopfschütteln zurück. Ihr Gesetz versteht Geschlecht als etwas jenseits der biologischen Fundierung, und dies nimmt ein Großteil der Menschen im Land einfach anders wahr. Wir halten diese Art von Politik für falsch, mehr noch: Wir halten sie für gesellschaftlichen Sprengstoff.
Beifall bei der CDU/CSU
Zuruf von der SPD)
Die Kompromisslosigkeit und Unausgewogenheit, mit der Sie Gesellschaftspolitik betreiben, ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die unseren politischen Diskurs vergiften wollen. Um einer solchen hasserfüllten Stimmung den Boden zu entziehen, braucht es eine Politik, die auf der einen Seite die Akzeptanz von Verschiedenheit unterstützt und auf der anderen Seite in der Breite der Bevölkerung verstanden wird.
Vielen Dank.
Beifall bei der CDU/CSU)
Das Wort hat die Kollegin Anke Hennig für die SPD-Fraktion.
Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)