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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien! Dass unser Kündigungsschutz unzureichend ist, merken wir meist erst dann, wenn es so weit ist, also wenn die Kündigung bereits im Briefkasten liegt. Ob es das Arbeitsverhältnis oder der Mietvertrag ist: Der Mensch neigt einfach dazu, sich in Sicherheit zu wiegen und zu denken: „Mir würde doch so was nie passieren“, bis es dann manchmal eben doch anders kommt.
Brauchen wir überhaupt einen Kündigungsschutz bei Mietschulden? Wer einfach immer brav seine Miete zahlt, hat doch nichts zu befürchten. Und wer es nicht auf die Kette bekommt, die Miete pünktlich zu zahlen, ist selbst schuld und fliegt zu Recht aus der Wohnung. – Wer so denkt, dem kann man nur von Herzen wünschen, dass er oder sie im Leben nie in eine Situation kommt, die Miete kurzfristig mal nicht komplett oder nicht pünktlich bezahlen zu können, einen Zahlendreher bei der Kontonummer des Vermieters gemacht zu haben oder eine Nachzahlungsforderung für die Heizkosten in Höhe von 9 000 Euro zu bekommen. Sie können mir glauben: Das sind keine Einzelschicksale. Und aufgrund solcher Versäumnisse, ja teilweise Lappalien, haben bereits zahlreiche Mieterinnen und Mieter ihren Mietvertrag verloren und sind aus ihrer Wohnung geflogen.
Denn die Rechtslage ist derzeit folgende: Wenn ein Mieter an zwei Terminen hintereinander die Miete nicht gezahlt hat oder mit mindestens zwei Monatsmieten im Rückstand ist, kann der Vermieter eine außerordentliche und somit fristlose und zusätzlich auch eine zweite, ordentliche Kündigung mit der üblichen gesetzlichen Kündigungsfrist aussprechen.
Was Mieter machen können, um die fristlose Kündigung noch abzuwenden bzw. unwirksam werden zu lassen,
… ist, bezahlen! Zahlen wäre schön!)
ist, den Vermieter wieder zufriedenzustellen; also in diesem Fall alles zu bezahlen, was noch aussteht. Dafür räumt das Gesetz dem Mieter eine sogenannte Schonfrist ein, innerhalb derer er oder eine öffentliche Stelle – Träger der Sozialhilfe, Wohngeldstelle – die Mietschulden nachzahlen kann. Zahlt der Mieter seine Schulden, so ist die außerordentliche Kündigung wieder aus der Welt geschafft. Dieser Ansatz ist sinnvoll, denn niemandem sollte zugemutet werden, wegen einer verspäteten oder falsch adressierten Zahlung seine Wohnung zu verlieren.
Beifall bei ,Abgeordneten der SPD)
Allzu oft darf man sich einen solchen Ausrutscher natürlich auch nicht erlauben. Die Schonfristzahlung darf deshalb nur einmal in zwei Jahren in Anspruch genommen werden. Sie ist also die absolute Ausnahme und gewährt dem Mieter nur in großen zeitlichen Abständen eine letzte Chance zur Nachholung der Mietzahlung. Kein Vermieter muss also fürchten, regelmäßig auf seine pünktliche und vollständige Mietzahlung verzichten zu müssen. Die Regelung ist als Notlösung gedacht und bietet einen fairen Ausgleich zwischen dem Interesse des Mieters, seine Wohnung behalten zu dürfen, und dem Interesse des Vermieters, seine Miete vollständig und pünktlich zu erhalten.
Die Wurzeln dieser sinnvollen Idee reichen übrigens zurück bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Bereits mit dem Mieterschutzgesetz von 1923 hat man die Notwendigkeit eines sozialen Mietrechts erkannt. 2001 wurde die Regelung letztmals angepasst und der Zeitraum für die Nachzahlung auf zwei Monate verlängert, um den Sozialhilfeträgern mehr Zeit zum Eingreifen zu geben. Darin erkennt man bis heute den sozialen Zweck dieser Regelung, den sie auch heute erfüllen müsste: die Obdachlosigkeit zu vermeiden.
Selbst wenn jemand kein Mitgefühl mit den direkt Betroffenen aufbringen kann: Die Rechnung geht auch gesamtgesellschaftlich und finanziell auf. Obdachlosigkeit bedeutet weitere staatliche Hilfen und Anstrengungen zur Unterbringung der Betroffenen, Hilfe bei der Wohnungssuche und vieles mehr. Wenn man sich mit der Schonfristzahlung nicht vor einer Kündigung retten kann, wird eine neue, üblicherweise teurere Wohnung benötigt. Und da diese teurere Wohnung auch durch die Sozialleistungsträger bezahlt werden würde, soll diese Regelung eigentlich auch unseren Staatshaushalt entlasten. Genau mit diesem Gedanken erfolgte auch die letzte Anpassung 2001.
Nur tut sie das aktuell nicht mehr. Die aktuelle Regelung zur Schonfristzahlung schützt weder unseren Haushalt noch die Betroffenen vor Obdachlosigkeit. Denn die Regelung wurde durch die Rechtsprechung ausgehöhlt. Der Bundesgerichtshof hat den Vermietern die Option frei gelassen, zusätzlich zur außerordentlichen eine ordentliche Kündigung auszusprechen. Eine solche ordentliche Kündigung kann der Mieter im Gegensatz zur außerordentlichen nicht durch nachträgliche Befriedigung des Vermieters verhindern. Die Schonfristzahlung gilt also nicht für alle Kündigungsarten und hilft in der Praxis deshalb nicht weiter.
Denn was passiert? Sobald ein Mieter Schulden hat, sprechen viele Vermieter zwei Kündigungen aus: neben der fristlosen hilfsweise auch eine ordentliche Kündigung für den Fall, dass die außerordentliche Kündigung unwirksam ist oder wird. Und egal wie schnell der Mieter seine Schulden zurückzahlt: Die außerordentliche, fristlose Kündigung kann er abwenden, die ordentliche Kündigung bleibt aber wirksam. Die Mieter müssen also ihre Wohnungen räumen, obwohl sie die Mietschulden vollständig beglichen haben.
Rechtlich bescheinigt das oberste Gericht uns, dem Gesetzgeber, an dieser Stelle einen Wertungswiderspruch, indem wir außerordentliche und ordentliche Kündigungen unterschiedlich behandeln. Dieser Wertungswiderspruch wird von der Rechtswissenschaft unisono und über Parteigrenzen hinweg kritisiert; denn denklogisch beruhen beide Kündigungen auf demselben Zahlungsverzug. Deshalb ist rechtspolitisch eine Gleichbehandlung der Rechtsfolgen geboten. Zudem ist es selbstverständlich und offensichtlich auch sozialpolitisch geboten, dass ein Mieter, der eine Wiedergutmachung hinbekommt, seine Wohnung nicht direkt verlieren sollte.
Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Regelung zur Schonfristzahlung soll dem Mieter im Fall der Fälle eine letzte Chance bieten. Nur tut sie das aktuell nicht mehr.
Mit einer kleinen Anpassung im BGB könnte man Mieter in die Lage versetzen, eine ordentliche Wohnungskündigung durch eine rechtzeitige Nachzahlung der Schulden vom Tisch zu wischen. Wir könnten das nicht nur tun, sondern wir müssen das tun.
Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Darauf haben wir uns schließlich aus gutem Grund auch in unserem Koalitionsvertrag geeinigt. Ich hoffe sehr, dass wir diese Einigkeit bald ins Gesetz gießen können. Nicht nur, um unseren Staatshaushalt in schwierigen Zeiten zu entlasten, sondern vor allem, um die vielen Mieterinnen und Mieter in unserem Land besser vor Wohnungslosigkeit zu schützen. Auch und gerade die, die heute denken: Mir kann doch so etwas nie passieren.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die nächste Rednerin ist Maria-Lena Weiss für die CDU/CSU-Fraktion.
Beifall bei der CDU/CSU)