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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Botschafter! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Abschuss der Präsidentenmaschine im Landeanflug auf den Flughafen Kigali am 6. April 1994 begann das offene Morden. Unmittelbar danach wurden die ersten Straßenblockaden errichtet, die Milizen der Interahamwe zogen zu den Häusern der gemäßigten Hutu und zu den Tutsi. Das Morden dauerte 100 Tage. 100 Tage – und knapp 1 Million Menschen wurden brutal ermordet, zwischen 250 000 und 500 000 Menschen wurden Opfer von Vergewaltigungen. Beides systematisch geplant, bestialisch, frauenverachtend. Der Grund: ihre bloße Zugehörigkeit zur anderen Gruppe.
Die Geschichte dieses Völkermords reicht bis in die Kolonialzeit zurück. Schon damals manifestierte sich die ethnische Segregation der ruandischen Gesellschaft. Die Einheit von Ruanda wurde von den Kolonialmächten absichtlich zerstört. Vor der Kolonialisierung hatten die Begriffe „Hutu“ und „Tutsi“ eine andere Bedeutung: Hutu bezeichnete Ackerbauern, und Tutsi bedeutete Viehbesitzer. Die Kolonialmächte jedoch schufen künstliche Unterschiede auf der Grundlage rassistischer Vorstellungen über diese Gruppen. Tutsi wurden bevorzugt, da sie den Kolonialmächten ähnlicher erschienen: in Aussehen, Charakter und Intelligenz. Diese Fremdzuschreibungen prägten die Selbstwahrnehmung der Betroffenen, verstärkt durch reale Unterschiede wie politische Teilhabe und Zugang zu Bildung. Es ging also um Macht.
Die Weltgemeinschaft schaute dem geplanten Morden dann zu – zu lange. Heute wissen wir: Man hätte vor dem Genozid reagieren können. Die Fakten lagen auf dem Tisch. Und dabei müssen wir nicht auf die anderen zeigen; denn auch in der deutschen Botschaft in Kigali und im Auswärtigen Amt in Bonn wusste man, was passiert. Die Akten des Auswärtigen Amtes belegen, dass Deutschland mit Ruanda noch Ende 1993 über neue Entwicklungsgelder verhandelte. Das kollektive Versagen der internationalen Gemeinschaft ist also auch ein Versagen der deutschen Politik.
Es vergingen Jahre, bis die Aufarbeitung begann, und sie bleibt bis heute schwierig. In über 240 Gedenkstätten wird heute die Erinnerung an den Genozid in Ruanda wachgehalten. Ihr Ziel ist es, das Grauen sichtbar zu machen, damit es nie wieder geschehen möge. Die Versöhnung machte in den vergangenen Jahren große Fortschritte. Das Verhältnis der beiden Bevölkerungsgruppen bleibt jedoch fragil. Was Daniel Tujize vom Kigali Genocide Memorial vor fünf Jahren sagte, gilt auch heute noch: Du kannst irgendwo hingehen und ein Massengrab finden.
Heute ist klar: Wir können die Vergangenheit nicht verändern, aber wir können stetig weiter alles dafür tun, das Recht der Opfer zu stärken, die Täter zur Verantwortung zu ziehen und die Versöhnung zu unterstützen. Die Menschen in Ruanda verdienen eine Zukunft ohne Angst. Es ist das Gebot der Hoffnung auf Frieden.
Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Nächster Redner ist Dr. Dietmar Bartsch für die Gruppe Die Linke.
Beifall bei der Linken)