- Bundestagsanalysen
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Botschafter! Das Grauen in Ruanda begann am Abend des 6. April 1994, um genau zu sein, um 20.23 Uhr. Der Abschuss des Flugzeuges, in dem sich der gemäßigte Präsident Habyarimana befand, und die darauf folgenden, von langer Hand geplanten Gräueltaten der Hutu waren 30 Minuten später schon mordende Realität. Dieses dunkle Kapitel in der Geschichte Ruandas – das muss man in aller Deutlichkeit benennen – ist das Resultat und die Chronik des Versagens der internationalen Gemeinschaft.
Die Nacht, in der Nachbarn zu Völkermördern wurden, Bekannte zu Vergewaltigern, Kinder zu Waisen, die Nacht, in der die Weltgemeinschaft zu Versagern wurde, hätte abgewendet werden können.
Bereits im Januar 1994 – die Ministerin hat davon gesprochen –, also drei Monate vor dem Abend des Startschusses für das Morden, schickt der kanadische Kommandeur Dallaire, der in Ruanda 2 500 UN-Blauhelme befehligt, ein dringendes Fax an seine Vorgesetzten in New York. Er warnt eindringlich vor einer drohenden Auslöschung der Tutsi-Minderheit. Er bittet darum, das Mandat zu verändern, weitere Blauhelme zu entsenden – vergebens. Kofi Annan, der zu jener Zeit die Abteilung der UN-Friedensmissionen leitet, bittet Dallaire um Zurückhaltung. Von Neutralität ist die Rede.
Gestern genau vor 30 Jahren, drei Tage nach dem Ausbruch der Gewalt, sagt Kommandeur Dallaire dem Headquarter nochmals, dass er mit 4 000 bis 5 000 schlagkräftigen Soldaten das Morden beenden könne. Er braucht dringend Unterstützung. Wir wissen heute: Passiert ist – nichts.
Heute sind sich Expertinnen und Experten sicher: Dieser Völkermord wäre zu verhindern gewesen. Die Weltgemeinschaft schaute zu, während Hutu-Rebellen mit Macheten durch die Dörfer zogen und ihre Opfer auf brutalste Weise zerhackten. Tutsi-Eltern, die darum flehten, ihre Kinder vor der Machete zu verschonen und mit einem Kopfschuss zu töten, mussten für die Patronen bezahlen, mit denen ihre Kinder erschossen wurden.
In einem durch und durch missionierten, christlichen und gläubigen Land suchten viele Schutz in Kirchen. Gotteshäuser wurden zu Schlachthäusern. Kirchenbänke wurden zu Schlachtbänken. Gläubige Christen hackten anderen gläubigen Christen in den Kirchen die Köpfe ab. Nicht nur die Weltgemeinschaft schaute zu; auch die Kirchen hielten sich zurück. Die Rolle dieser Akteure, aber auch die Rolle Deutschlands muss dringend aufgearbeitet werden. Nur wer die Vergangenheit aufarbeitet und durchdringt, kann die Zukunft gestalten, damit so etwas nicht wieder passiert.
Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Die Hutu brauchten nur 100 Tage, um einen Völkermord zu begehen, einen Völkermord, bei dem in Ruanda auf bestialische Art über 800 000 Menschen, vielleicht 1 Million, massakriert worden sind, bei dem über 250 000 Frauen und Mädchen vergewaltigt worden sind. Ich sage das immer wieder: Der Versuch der ethnischen Säuberung führt über den Körper der Frau; und auch in Ruanda war das nicht anders.
Wenn Menschenrechte mit Füßen getreten werden, wenn Bevölkerungsgruppen systematisch unterdrückt, verfolgt und getötet werden, wenn UN-Abkommen plötzlich nicht mehr das Papier wert sind, worauf die Unterschriften prangen, wenn die internationale Gemeinschaft den Eindruck hinterlässt, dass sich der Wert eines Einsatzes zur Befriedung in Eigeninteressen messen lässt, dann läuft da etwas gehörig schief.
Ein Völkermord kennt keine Zurückhaltung, ein Völkermord kennt keine Neutralität.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der Linken)
Der nächste Redner ist Jürgen Braun für die AfD-Fraktion.
Beifall bei der AfD)