- Bundestagsanalysen
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Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Abgeordnete der demokratischen Fraktionen! Liebe Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben und Unternehmen! Wir verhandeln den Antrag der Union „Arbeitszeit flexibilisieren – Mehr Freiheit für Beschäftigte und Familien“.
Als ich den Antrag gelesen habe, musste ich an die Sage vom Trojanischen Krieg denken. Sie erinnern sich: Am Ende des Krieges um Troja, nachdem die Griechen zehn Jahre lang erfolglos versucht haben, mit Gewalt die Stadt einzunehmen, entscheiden sie sich für eine List. Sie schenkten den Bürgerinnen und Bürgern Trojas ein schönes Pferd aus Holz. Als die das hinter die Mauern holten, sprangen griechische Krieger daraus und eroberten die Stadt.
Was hat das mit Ihrem Antrag zu tun? Vor rund 20 Jahren wollten Friedrich Merz und Angela Merkel die Wochenarbeitszeiten in Deutschland erhöhen. Erfolglos. Ich habe hier eine ganze Mappe mit Presseartikeln der letzten 20 Jahre mit Vorstößen für längere Arbeitszeiten aus der Union. Alle erfolglos. Kampeter vom Arbeitgeberverband hat neulich erst mehr Bock auf Arbeit eingefordert. Vom Wirtschaftsrat der CDU über Bundestagsabgeordnete bis hin zu Ministerinnen und Ministern sowie Ministerpräsidenten der Union fordern alle möglichen Leute, die Wochenarbeitszeit zu verlängern auf 40, 42 oder gleich 48 Stunden. Seit Jahren also kommen immer und immer wieder Vorstöße von Ihnen, um die Leute dazu zu bringen, länger zu arbeiten. Allesamt erfolglos.
Jetzt kommen Sie mit einem solchen Antrag. In dem steht kein Wort mehr davon, dass die Leute länger arbeiten sollen. Da ist die Rede von Freiheit und Flexibilität, von mehr Zeit für die Familie. Das klingt gut. Aber das nimmt Ihnen doch niemand ab. Jahrelang wollten Sie die Arbeitszeit verlängern. Aber jetzt geht es Ihnen um mehr Freiheit? Ihr Antrag ist ein Trojanisches Pferd, und ich finde, wir sollten diesem Gaul etwas genauer ins Maul schauen.
Beifall bei der SPD)
Was heißt denn Freiheit, von der Sie reden? Sie zeichnen ein Bild, als ob die Mehrheit der Beschäftigten in Deutschland auf nichts sehnlicher warten würde, als endlich auch am Abend arbeiten zu dürfen.
Aber erstens. Gerade einmal 3 Prozent der Beschäftigten in Deutschland wollen nach 18 Uhr überhaupt noch arbeiten, übrigens unabhängig davon, ob sie Kinder haben oder nicht.
Zweitens. Beschäftigte können das jetzt schon problemlos. Sie können flexibel arbeiten, wo das nötig ist. Das zeigen auch über 1,3 Milliarden Überstunden allein im letzten Jahr. Wenn das alles mit dem jetzigen Arbeitszeitgesetz nicht ginge, woher kämen die denn dann?
Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das Arbeitszeitgesetz gibt längst Freiheit, gibt Flexibilität.
Aber Überstunden sind doch keine Freiheit!)
Ja, es gibt auch Regeln vor. Aber wenn Ihr Begriff von Freiheit meint, dass es gar keine Regeln mehr geben soll, dass sich jeder selbst um seine Arbeitszeit, um seine Überstunden sorgen soll, dann ist das nicht mein Verständnis von Freiheit. Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht? Das ist ein verdammt kalter Begriff von Freiheit.
Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ja, wir wollen mehr Freiheit, mehr Flexibilität für Beschäftigte. Aber wir wissen auch, dass es in Arbeitsverhältnissen Macht und Hierarchien gibt. Wir wissen, dass weniger Regeln nicht dazu führen müssen, dass die Beschäftigten einfach frei über ihre Arbeitszeit entscheiden können. Manchmal ist es ganz gut, gegenüber Chef oder Chefin ein Gesetz und Kolleginnen und Kollegen im Rücken zu haben, um zusammen dafür zu sorgen, dass alle so viel arbeiten, wie vereinbart ist und bezahlt wird. Und das wirkt.
Genau!)
In Betrieben, in denen es Betriebsräte und Betriebsvereinbarungen zur Arbeitszeit gibt, müssen die Beschäftigten deutlich seltener auch am Abend arbeiten; sie klagen deutlich weniger darüber, ständig erreichbar sein zu müssen. Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge heißen: Wir überlassen es nicht Einzelnen, ihre Rechte und Interessen durchzusetzen. Wir tun das zusammen, solidarisch. Und deshalb – wie Sie richtig sagen, Herr Knoerig – haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart: Flexible Arbeitszeiten brauchen Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge.
Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Umfragen zeigen: Die Menschen in Deutschland wollen weniger arbeiten, nicht mehr. Im Durchschnitt würden sie gerne 35 Stunden in der Woche arbeiten. 40 Prozent der Menschen in Deutschland würden am liebsten dreieinhalb oder vier Tage arbeiten.
Gewerkschaften greifen genau diese Wünsche jetzt auf und kämpfen dafür. Die IG Metall mit ihren über 2 Millionen Mitgliedern hat in den Tarifverhandlungen in der Stahlbranche gerade eine Arbeitszeitreduzierung auf zum Teil 32 Stunden in der Woche durchgesetzt. Die gesamte Öffentlichkeit bekommt gerade mit, dass die Lokführerinnen und Lokführer für eine Senkung der Arbeitszeit auf 35 Stunden streiken. Und in Espenhain bei Leipzig findet gerade einer der längsten Streiks in der Geschichte der Bundesrepublik statt. Seit 128 Tagen streiken die Kolleginnen und Kollegen in einem Recyclingunternehmen für einen Tarifvertrag und – genau – kürzere Arbeitszeiten. Die Kolleginnen und Kollegen dort sortieren täglich acht Stunden in Containern Kupfer, Messing, Stahl, Aluminium – bei Lärm und Staub, bei über 40 Grad im Sommer, bei Minusgraden im Winter. Und denen wollen Sie jetzt erzählen, dass sie bald bis zu zwölf Stunden am Tag schuften sollen?
Ich glaube, du hast es noch nicht kapiert!)
Ich will deshalb noch eine Sache an Ihre Adresse loswerden, aber auch an die aller anderen, die meinen, wir könnten uns Streiks und kürzere Arbeitszeiten nicht leisten. Den Leuten, die tagein, tagaus durch Corona-, Energie- und andere Krisen den Laden hier am Laufen halten, zu sagen: „Wir haben eure Arbeit, eure Mühe und eure Überstunden auch in schwierigen Zeiten eingefordert, und jetzt lassen wir euch mit euren Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen und kürzeren Arbeitszeiten allein“, ist eine Frechheit und eine Respektlosigkeit gegenüber den arbeitenden Menschen.
Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie von der Union sagen zwar, Sie wollen mehr Zeit für die Familie, aber Ihre Vorschläge würden für das Gegenteil sorgen. Sie reden zwar von Freiheit, aber Sie meinen den Angriff auf den Achtstundentag. Sie wollen den Wünschen der Beschäftigten nach mehr Freiheit nachkommen? Dann unterstützen Sie sie doch dort, wo sie genau dafür kämpfen: für kürzere Arbeitszeiten und mehr Freiheit. Wir tun das, und wir stehen dabei an der Seite der arbeitenden Menschen.
Vielen Dank.
Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Herr Kollege Dieren. – Nächster Redner ist der Kollege Norbert Kleinwächter, AfD-Fraktion.
Beifall bei der AfD)