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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir als Union haben nur die Empfehlung des Bundesverteidigungsministers aufgegriffen, doch einfach die Antragsteller zu fragen. Das haben wir schlichtweg gemacht. Im Grunde genommen hat uns der Regierungssprecher ja zwischenzeitlich über die Medien die Antwort gegeben: Der Bundeskanzler versteht darunter ausdrücklich nicht die Lieferung von Taurus. Das ist die klare Antwort.
Aber die Lage ist viel ernster, als Sie denken, und darauf möchte ich auch eingehen. Vor zehn Jahren hat Bundespräsident Gauck vor der Münchner Sicherheitskonferenz sehr klar gesagt, Deutschland müsse sich „früher, entschiedener und substantieller“ einbringen. Darüber hinaus hat er ausgeführt, Deutschland habe über Jahrzehnte Sicherheit empfangen und dürfe sich deshalb nicht verweigern, wenn Menschenrechtsverletzungen in Kriegsverbrechen münden.
Wenige Tage später wurde diese Forderung – „früher, entschiedener, substanzieller“ – durch den Einmarsch Russlands auf die Krim und in die Ostukraine getestet: 2 Millionen Vertriebene, 14 000 Tote, der Beginn des Krieges. Putin hat, eben weil wir versucht haben, zu deeskalieren, immer weiter eskaliert. Putin hat nach unserer Antwort – Minsk I, Minsk II und Nord Stream 2 – nicht eingesehen, sich aus der Ukraine zurückzuziehen. Vielmehr hat er gesehen: Er muss unsere Schwäche ausnutzen. Und das hat er gnadenlos gemacht. Deswegen ist der Krieg am 24. Februar in diese furchtbare Eskalation gemündet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Kollegen der Werchowna Rada, sehr geehrter Herr Botschafter, das Bittere daran ist, dass der Leidtragende das ukrainische Volk ist. Für das ukrainische Volk ist die Lieferung von Taurus eineindeutig nur ein Symbol. Die guten Forderungen in Ihrem Antrag – EU-Mitgliedschaft, NATO-Mitgliedschaft, Grenzen von 1991 – werden nicht mit ausreichenden Lieferungen unterfüttert. Warum das so ist, will ich Ihnen begründen.
Lieber Kollege Kiesewetter, wir haben jetzt drei Zwischenfragen an Sie, vom Kollegen Michael Brand aus der CDU/CSU-Fraktion, vom Kollegen Ulrich Lechte aus der FDP-Fraktion sowie vom Abgeordneten Weyel aus der AfD-Fraktion.
Ich nehme die gerne an, ja.
Dann beginnen wir mit Michael Brand.
Lieber Kollege Kiesewetter, Herr Ernst hat Ihnen gerade eine Frage gestellt und in diesem Zusammenhang eine Aussage von Ihnen, die Sie in den letzten Tagen gemacht haben, zitiert, nach der der Krieg nach Russland getragen werden müsse. Er hat eine Frage gestellt, wollte die Antwort darauf aber nicht hören. Ich möchte Ihnen die Gelegenheit geben, zu antworten, und frage, was Sie mit dieser Aussage gemeint haben.
Danke. – Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Kollege Brand, ich möchte deutlich machen, was ich gesagt habe, und ich danke auch für die Gelegenheit, die mir Herr Ernst nicht eingeräumt hat. Ich habe gesagt: Die Ukraine muss befähigt werden, den Krieg auch in die Tiefe Russlands zu tragen, damit die russische Bevölkerung merkt, dass ihr Land einen furchtbaren Angriffskrieg führt. Und die Ukraine muss befähigt werden, mit ihren eigenen Waffen russische Kriegseinrichtungen, Militärlager, Waffen, Munition zu zerstören
und Ministerien, die in diesen Krieg verwickelt sind, zu bekämpfen. Die Ukraine kann das inzwischen leisten; sie hat zum Beispiel den FSB, ein Ministerium, angegriffen.
Dazu gehört aber auch eine ganz perfide Logik Putins: Putin erklärt die vier besetzten Gebiete zu einem genuinen Bestandteil Russlands. Angriffe darauf sind erst recht völkerrechtlich legitim. Es ist keine Eskalation vonseiten der Ukraine und völkerrechtlich einwandfrei, ukrainisches Gebiet anzugreifen. Aber die Ukraine muss befähigt werden, dort anzugreifen. Das ist ihr eigenes Gebiet!
Und es geht auch darum, der russischen Bevölkerung klarzumachen, dass Hunderttausende Menschen aus den ethnischen Minderheiten geopfert werden, dass Zehntausende Kriegsgefangene geopfert werden.
Wir haben noch zwei weitere Nachfragen.
Insofern verstehe ich unter meinem Satz, den Krieg nach Russland zu tragen, dass die Ukraine befähigt wird, dies zu tun.
Lieber Herr Kiesewetter, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie zum Ende der Beantwortung kämen, da es noch zwei weitere Fragen gibt.
Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU
Wenn aus der eigenen Fraktion Fragen gestellt werden, kann man die Redezeit verlängern!)
Die nächste Frage kommt aus der FDP-Fraktion.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Lieber Roderich Kiesewetter, danke, dass du die Zwischenfrage zugelassen hast. Da du ja eine der Stimmen der Vernunft in der Fraktion der CDU/CSU-Fraktion bist, wollte ich von dir erfahren – ich habe ja hier vom Kollegen Hahn vorhin viel Nachhilfeunterricht bekommen –, auf welcher Ebene das Versprechen der 1 Million Granatgeschütze Kaliber 155 Millimeter gemacht wurde; meines Wissens auf Ebene der Europäischen Union.
Deutschland ist auf europäischer Ebene definitiv der größte Unterstützer der Ukraine in allen Bereichen. Wir haben insgesamt Zusagen mit einem Volumen von 25 Milliarden Euro gemacht, bereits 17,7 Milliarden Euro an Militärhilfen geleistet. Mein lieber Kollege, du wirst auch wissen, dass die Franzosen erst mit 640 Millionen Euro dabei sind, jetzt weitere 3 Milliarden Euro zugesagt haben, dass die Italiener auch in diesem Bereich unterwegs sind und die Spanier gerade mal unter einer halben Milliarde Euro geleistet haben.
Also, wo liegt das Problem? Liegt es bei der Ampelkoalition in Deutschland und der Bundesregierung?
Ist diese Taurus-Debatte nicht aufgesetzt? Ist das, was deine Fraktion hier gerade abzieht, nicht ein bisschen lächerlich? Könnte man hier nicht vielmehr konstatieren, dass Deutschland alles dafür tut, die Ukraine zu unterstützen, und dass die europäischen Partner noch sehr, sehr viel Nachholbedarf haben und dass es eigentlich Aufgabe der EU-Kommissionspräsidentin, Ursula von der Leyen, die aus deiner Partei kommt, wäre, die europäischen Partner dazu anzutreiben, das, was sie letztes Jahr versprochen haben, auch tatsächlich umzusetzen und die europäische Verteidigungsindustrie auszuweiten und entsprechend auszustatten? Da liegt der Hund begraben und nicht in der Frage, ob wir Taurus liefern oder nicht.
Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
So, jetzt lassen wir Herrn Kiesewetter bitte mal antworten auf diese Zwischenfrage.
Sehr geehrter Herr Kollege Lechte, Sie haben drei Punkte angesprochen: erstens die 1 Million, zweitens die deutsche Unterstützung, drittens: Was machen die anderen?
Zur 1 Million: Das war das Ergebnis einer Abstimmung, die die EU-Kommissionspräsidentin bekannt gegeben hat, nachdem sie sich mit den nationalen Verteidigungsministern beraten hat. Verteidigungsminister Pistorius – das hat Florian Hahn sehr gut angesprochen – war einer der Ratgeber. Die Europäische Union hätte kein Versprechen gemacht, wenn nicht die Mitgliedstaaten dahintergestanden wären.
Zweitens, zu unserer eigenen Unterstützungsleistung: Ich rate, auf die Homepage des Bundesverteidigungsministeriums zu gehen. Dort werden 5,6 Milliarden Euro Militärhilfe genannt. Weitere 8 Milliarden Euro sind anerkannt. Ich warne davor, in einen Wettbewerb mit anderen zu gehen. Frankreich liefert Waffen, die russische Versorgungswege auf die Krim zerstören. Ein weiterer Punkt – das ist auch ganz wichtig –: Andere Staaten machen, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, deutlich mehr: Norwegen 1,7 Prozent, Estland und Lettland 1,7 bzw. 1,5 Prozent. Ich spreche das deshalb an, weil die wirtschaftsstärkste Macht Europas nicht ständig mit einer Hybris und Überheblichkeit sagen sollte, wie toll sie ist.
Beifall bei der CDU/CSU)
Wir sollten mehr tun für die Ukraine, und das in Demut und mit mehr Anstrengung, und nicht bestimmte Waffensysteme als rote Linie ausklammern.
Zum letzten Punkt, zur Frage, was die anderen machen: Ja, aber wir sollten einer Scharnierfunktion nachkommen und den Mittel- und Osteuropäern klarmachen: Wir stehen an eurer Seite, wir helfen. Und wir sollten den Südeuropäern mit etwas mehr Schmackes klarmachen, dass ein Spanien, ein Italien und auch ein Frankreich mehr tun kann.
Lieber Herr Kiesewetter, es gibt noch eine Zwischenfrage.
Aber ich wünschte mir, andere Länder würden auch so stark sein wie Frankreich und Marschflugkörper liefern. Frankreich tut es, Deutschland nicht.
Beifall bei der CDU/CSU)
Die letzte Zwischenfrage, die ich zulasse, kommt von Dr. Harald Weyel von der AfD-Fraktion.
Danke, Herr Kollege Kiesewetter, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Danke auch, Frau Präsidentin, dass Sie sie zugelassen haben. – Herr Kiesewetter, ich beobachte Sie seit 2006.
Der arme Herr Kiesewetter! Stalker!)
Ich weiß nicht, ob Sie sich noch daran erinnern. 2006 waren wir gemeinsam bei der Evangelischen Akademie Loccum. – Ein bisschen Aufmerksamkeit für die Mitmenschen, ja? – Dort wurde damals, nach langer Pause, das Weißbuch der Bundeswehr von Flottillenadmiral Kähler vorgestellt. Das war eine sehr launige Veranstaltung,
Erzähl mal mehr! Die launige Veranstaltung war doch in Potsdam!)
bei der darüber gejubelt wurde, dass Kanzlerin Merkel in ihrem halbseitigen oder drittelseitigen Vorwort von deutschen Interessen sprach, erstmals in einem Weißbuch der Bundeswehr. Das wurde später aufgrund irgendwelcher Geschichten im Zusammenhang mit Afghanistan runtergemacht. Aber das ist ein anderes Thema.
Als wir nach der Pause auf dem Rückweg zum Tagungsort waren, hatte sowohl die Marine als auch die Luftwaffe gewisse Schwierigkeiten, den Weg zu finden. Also, es herrschte eine gewisse Orientierungslosigkeit, die sich leider auch hier im politischen Geschehen niederschlägt.
Zuruf der Abg. Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP])
Die Forderung nach Taurus ist ja ein Running Gag der CDU/CSU-Fraktion. Ich erwarte eigentlich, dass sich mal einer von Ihnen, vielleicht Sie als Oberst der Luftwaffe, wie Dr. Seltsam auf den Taurus setzt und damit nach Moskau reitet. Und wenn der Taurus nicht ausreicht, nehmen wir noch einen „Ochsus“ dazu.
Der Kern meiner Frage, Herr Kiesewetter, zielt auf das Minsker Abkommen. Sie haben gesagt, dass man mit Engelszungen auf die Russen eingeredet hat
Kommen Sie mal zur Frage!
Kann mir einmal jemand Kaffee einschenken?)
und Minsk I und Minsk II besonders hervorzuheben sind. Wie erklären Sie sich, dass die Bundeskanzlerin im Dezember letzten Jahres sagte, es sei gar nicht ernst gemeint gewesen?
Ich bitte Sie, zum Ende der Frage zu kommen.
Wie deuten Sie das? Wie wahrscheinlich ist es, dass die Russen oder wer auch immer uns als seriösen Verhandlungspartner akzeptieren?
Ich bitte grundsätzlich um etwas mehr Ruhe im Plenarsaal, sodass der Abgeordnete Kiesewetter darauf kurz und bündig antworten kann, um dann seine Rede fortzusetzen.
Herr Kollege Weyel, im Jahr 2006, auf das Sie rekurrieren, hatte Putin noch nicht bei der Münchner Sicherheitskonferenz einen neuen Kalten Krieg beschworen. Im Jahr 2006 war die Entwicklung, die sich im Weißbuch widerspiegelt, eine ganz andere. Ihre Frage erschließt sich mir schlichtweg nicht.
Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ob man mit Russland verhandeln will? Wir haben viele Jahre mit Russland verhandelt. Wir haben mit Russland beispielsweise über Abrüstungsabkommen gesprochen und verhandelt. Im Jahr 2006 brach Russland das Mittelstreckenraketen-Abkommen und begann damit, Nuklearwaffen in Kaliningrad zu stationieren. Weder Ihre Partei noch Ihre Gruppen sind willens und in der Lage, zu thematisieren, dass die Nuklearwaffen in Kaliningrad einen Bruch des Völkerrechts darstellen. Auf dieser Grundlage können wir uns nicht unterhalten. Das ist Täter-Opfer-Umkehr, Herr Kollege Weyel!
Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Dietmar Nietan [SPD])
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist gut, dass wir eine lebendige Debatte haben. Ich habe nicht umsonst Bundespräsident Gauck zitiert; denn dieses Russland hat auf der Grundlage von Minsk I und Minsk II eben nicht deeskaliert, und dieses Russland hat auf der Grundlage von Nord Stream 2 nicht deeskaliert, sondern uns in Abhängigkeit gebracht. Es sind etliche hier im Haus, die im Jahr 2015 und 2016 schon Abgeordnete waren. Wir wissen alle, wie wir seinerzeit in der Wirtschafts- und Sicherheitspolitik gerungen haben, diese Abhängigkeit von Russland nicht einzugehen. Die Lehre daraus muss doch sein – das war unsere Hoffnung bei der Zeitenwende-Rede des Bundeskanzlers –, dass mit diesem Russland so nicht zu verhandeln ist, sondern nur aus einer Position der Stärke heraus.
Und wie sieht diese Position der Stärke aus? Sie verweigern der Ukraine das Mittel, das nötig wäre, um gemeinsam mit den amerikanischen ATACMS und den britischen und französischen Storm Shadow bzw. SCALP – das sind vergleichbare, aber nicht so weit reichende Waffen – das zurückzuholen, was für Putin ein Symbol ist: die Krim. Sie verweigern der Ukraine die Möglichkeit, die Versorgungslinien zu zerstören, die auf die Krim führen, von der Zehntausende russische Soldaten jeden Tag 80 Prozent der Angriffe auf die ukrainische Bevölkerung ausführen – jeden Tag! –, und dabei geht es um die Vernichtung der ukrainischen Zivilgesellschaft. Taurus und andere sind Symbole dafür, wie man das ändern kann.
Aber der Bundeskanzler selbst sagte: Die Krim hat eine symbolische Bedeutung für Putin, und das müssen wir berücksichtigen. Ich wünsche mir, dass der Bundeskanzler es umdreht und sagt: Gerade weil die Krim eine symbolische Bedeutung für Putin hat, gerade weil der Iran jetzt Mittelstreckenraketen mit 700 Kilometern Reichweite liefert, gerade weil die Russen jetzt eine Nuklearwaffe im Weltraum zu stationieren beabsichtigen, gerade weil Transnistrien die Absicht hat, sich in den nächsten Wochen der Russischen Föderation anzuschließen, und gerade weil – die größte verpasste Chance – Nawalny von Russland symbolisch auf die Schwelle des Bayerischen Hofes gelegt wurde, hat der Bundeskanzler am vergangenen Sonntag die historische Chance verpasst, gemeinsam mit Selenskyj im Saal zu stehen und zu sagen: Europa, USA, Ukraine, wir Europäer stehen zusammen gegen den Völkerrechtsbruch, den Russland begeht, gegen die Gräueltaten, gegen die Menschenrechtsverletzungen, gegen Kindesentführungen. Kinder warten sehnsuchtsvoll auf ihre Väter, und ihnen wird nicht gesagt, dass sie gefallen sind. Väter sitzen in den Schützengräben, schauen die Bilder ihrer Kinder an, die nicht mehr leben.
Ich will Folgendes sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wenn wir als Bundestag glaubwürdig sein wollen, dann sollten wir nicht symbolisch über tolle Dinge reden und darüber, wie gut wir unterstützen, sondern alles tun, dass das Symbol Putins, die Krim, befreit werden kann. Aber es geht auch um die Ukraine und deren Weg in die Europäische Union und in die NATO. Wir müssen alles dafür tun, dass die ukrainische Bevölkerung eine Perspektive hat und nicht weiter Opfer von Kriegsverbrechen wird. Deshalb: Mehr „As long as it takes“ ist falsch, „whatever it takes“ ist richtig – früher, entschiedener und substanzieller.
Beifall bei der CDU/CSU)