Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ohne die USA bekommen die Europäer sicherheitspolitisch kein Bein auf den Boden. Spätestens der übereilte Rückzug der NATO-Truppen aus Kabul konfrontierte uns mit einer gern verdrängten Frage: Können wir eigentlich nichts allein?
Der Krieg in der Ukraine hat die Frage nun mehr als beantwortet. Die USA spielen eine Hauptrolle. Unvorstellbar erscheint derzeit die Idee, an einem wirklichen Haus Europa zu arbeiten, obwohl es mittel- und langfristig auf diese Frage kaum zwei Antworten geben kann. Weder kann Europa den Lebensstandard seiner Bürger in einer dezidierten Kriegswirtschaft erhalten noch wettbewerbsfähig bleiben. Würde es zu einer dauerhaften Konfliktregion, stünde wohl auch die globale Investitionsbereitschaft auf unserem Kontinent vor großen Verwerfungen. In Kabul konnten die Europäer noch nicht einmal über die Sicherung des Flughafens durch eigene Truppen nachdenken. Wir waren von amerikanischen Entscheidungen abhängig. Einfluss auf diese hatten wir nicht. Strategisch schwächer geht es kaum.
Dabei geht es spätestens seit der Migrationswelle 2015, die auch ein Kollateralschaden gescheiterter US-Politik in Nordafrika und im Nahen Osten ist, um die Frage einer strategischen Autonomie, also der Fähigkeit Europas, selbstbestimmt handeln zu können. Oft gebricht es diesem Handeln schon an der Vorstufe: der Formulierung eigener Interessen. Das letzte Mal haben wir uns den USA verweigert, als diese den Angriffskrieg gegen den Irak mit einer Koalition der Willigen begannen.
Die USA heute – auch ohne Trump europafreundlich – tun militärisch, was sie für richtig halten. Rücksicht auf uns nehmen sie nicht. Bis zum Kriegsausbruch in der Ukraine gab es deswegen Konsens: Europa braucht eine eigene Strategie. Da die EU weniger ist als Europa und mit Großbritannien eine Atommacht den Kreis der potenziellen Mitstreiter bereits verlassen hat, braucht es vor allem einen Neuaufsatz auf der Grundlage souveräner europäischer Staaten. Sie müssen in neuem Geist an einer Sicherheitsarchitektur arbeiten, die mittelfristig parallel zur NATO agiert und langfristig gegebenenfalls auch deren Strukturen ersetzen kann.
Europa braucht das Selbstverständnis, ein eigener Pol in einer multipolaren Welt zu sein. Mit anderem Blick auf die USA, anders aufgestellt als Russland und China, muss Europa auch die Macht anstreben, Interessen durchzusetzen, wenn diese berührt sind. Die alte Frage, ob man Hammer oder Amboss sein will, stellt sich bei der internationalen Sicherheit im Cyberbereich genauso wie beim Schutz von Handelsrouten und natürlich beim wirtschaftlichen Erfolg. Europa muss selbst dann Einfluss ausüben, wenn es klassische Machtpolitik ablehnt. Das ist eigentlich klar, aber nach 1989 dem Kontinent schwer vermittelbar.
Viele Ideen waren zudem fast immer mit der Frage nach Atomwaffen erstickt worden. Kein Zweifel: Der amerikanische Nuklearschirm ist derzeit für alle außer Frankreich und Großbritannien unersetzbar, erst recht nach Macrons Absage, die Verantwortung für seine Atomwaffen mit anderen zu teilen. Ähnlich stellt sich aber auch die Frage nach der Zukunft der NATO, derzeit unsere einzige Lebensversicherung. Europa als eigener Akteur auf der Weltbühne ist heute ein Wunschdenken. Die Realität sieht leider anders aus. Zerstritten und tatenschwach steht Europa da, fast dankbar abhängig von Militärtechnik aus Amerika.
Dabei könnten wir zusammen den Kern der globalen Gemeinschaft von Demokratien bilden. Schnelle Investitionen in eigene Soldaten und Transportmittel sind der erste Schritt, vielleicht die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Im zweiten Schritt müssten offensive und defensive Kräfte europäisch aufgestellt, das militärisch-industrielle Potenzial ertüchtigt werden. Und erst im letzten Schritt würden die Anschaffung und der Zugriff auf einen eigenen nuklearen Schutzschirm auf der Tagesordnung stehen. Viel Arbeit, aber für eine eigene Außen- und Sicherheitspolitik, meine Damen und Herren, fast alternativlos.
Vielen Dank.
Beifall bei der AfD)
Die nächste Rednerin ist Deborah Düring für Bündnis 90/Die Grünen.
Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)