- Bundestagsanalysen
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Polygamie, also das Führen mehrerer Ehen, meist zwischen einem Mann und mehreren Frauen, ist für die betroffenen Frauen in der Regel keine Entscheidung aus freien Stücken. Genau deshalb ist es in Deutschland verboten und auch klar: Polygamie steht der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau unvereinbar gegenüber. Daran werden wir auch nicht rütteln, und schon gar nicht werden wir zulassen, dass Sie – wie Sie es in dieser Debatte und in Ihrem Antrag zur Vielehe versucht haben – unterstellen, die Ampel fördere Polygamie oder führe sie durch die Hintertür ein. Denn Ihr Vorwurf lautet ja, die geplanten modernen familienpolitischen Ziele der Ampelkoalition leisteten der Vielehe Vorschub. Das genaue Gegenteil ist doch der Fall. Es geht eben nicht um ein Rollback in patriarchale Strukturen. Es geht nicht darum, zurück in die 50er-Jahre oder – wie Sie das vielleicht wollen – in die 30er-Jahre zu gehen. Bei den Vorhaben der Ampel geht es darum, aktuell tausendfach gelebte Familienmodelle auch rechtlich so abzusichern, dass diese Menschen gut und in Sicherheit in diesem Land leben können.
Beifall bei der SPD
Wie gut und sicher das klappt, das sehen wir ja gerade!)
Was sind denn die Realitäten in Deutschland? Da gibt es das Pärchen, das schon länger zusammen ist, das für sich auch schon sieht, dass man sein Leben gemeinsam gestalten will, gemeinsam verbringen will, das aber, aus welchen Gründen auch immer, aktuell für sich sagt: Heiraten wollen oder können wir noch nicht. – Es sagt aber auch: Wir lieben uns, und wir wollen Verantwortung füreinander übernehmen. Wir wollen beispielsweise auch gegenseitig informiert sein, wenn jemandem von uns etwas zustößt.
Auf genau diese Menschen – wahrscheinlich kennt doch jeder und jede von uns ein solches Paar – trifft das Modell der Verantwortungsgemeinschaft zu. Das ist keine Vielehe,
Das hat die AfD noch nicht verstanden!)
sondern es bedeutet lediglich beispielsweise einfachere Möglichkeiten für Auskunfts- und Vertrauensrechte. Denn uns geht es um die Anerkennung der in unserem Land schon lange existierenden Realitäten – nicht mehr und auch nicht weniger, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Beifall bei der SPD sowie der Abg. Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]
Genau, auch um die real existierenden Vielehen geht es da; so ist es!)
Aber wo werden Menschen, zum Beispiel in Regenbogenfamilien, denn noch Steine in den Weg gelegt? Es gibt in Deutschland immer noch nicht die Möglichkeit, dass gleichgeschlechtliche Eltern ab Geburt des Kindes beide als Vater oder Mutter eingetragen sind. Wenn ein gleichgeschlechtliches Paar durch Leihmutterschaft oder Samenspende ein Kind bekommt, dann bleibt ihm nur der Umweg über ein langwieriges und aufreibendes Adoptionsverfahren, um am Ende gleichberechtigt Verantwortung für das gemeinsame Kind übernehmen zu können. Diese beiden Elternteile, die ja sogar schon miteinander verheiratet sind, durchlaufen für das gemeinsame Wunschkind ein Adoptionsverfahren, als würden sie ein vollkommen fremdes Kind adoptieren, inklusive Gesundheitscheck, Vermögenscheck, Besichtigung der eigenen Wohnung durch das Jugendamt. Zwei Menschen entscheiden sich, gemeinsam Verantwortung für ein Kind zu übernehmen, und es scheitert daran, dass manche hier im Haus nicht wahrhaben wollen, dass ein Kind auch zwei Väter oder zwei Mütter haben kann.
Das ist ein biologischer Unfug!
Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])
Das sind Diskussionen von vorgestern, und auch hier wird die Ampel das Familienrecht nach vorne, in das 21. Jahrhundert bringen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP
Ihr könnt euch noch so lange in die Tasche lügen! Das ist Quatsch!)
Zu guter Letzt: Ihr Antrag zur Vielehe hat mich in der Antragsbegründung dann doch etwas zum Schmunzeln gebracht. Da schreiben Sie:
„Religiöse Ehen haben – trotz ihrer rechtlichen Bedeutungslosigkeit in der Bundesrepublik – im islamischen Kulturkreis jedoch gesellschaftlich einen höheren Stellenwert als staatliche Lebensbündnisse.“
Sie werfen den demokratischen Fraktionen hier im Parlament ja immer vor,
Es gibt nur eine demokratische Fraktion hier!)
sich nur am woken Berlin-Mitte zu orientieren und das echte Leben in Deutschland zu ignorieren. Fragen Sie doch mal – Sie sind ja selbsternannte Retterinnen und Retter des christlichen Abendlandes – Christinnen und Christen in diesem Land. Gehen Sie mal in ländlichere, vielleicht auch in konservativere Ecken in diesem Land. Da meine ich noch nicht mal das tiefste Bayern. Selbst in meinem Wahlkreis Mainz ist, wenn Sie da sagen: „Wir heiraten standesamtlich“, die nächste Frage: „Ja, und wann heiratet ihr richtig, also richtig kirchlich?“
Genau!)
Auch dort, auch für viele Christinnen und Christen in Deutschland, hat die kirchliche Hochzeit doch einen höheren Stellenwert als die standesamtliche Hochzeit. Und wenn Sie jetzt sagen, dass ich mir das nur ausdenke: Ich heirate selbst im Dezember, und den eben zitierten Dialog habe ich tatsächlich mehr als einmal geführt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN
Alles Gute!)
– Danke. Noch haben wir nicht Ja gesagt.
Halten wir also fest: Die Ampelkoalition will nicht die Vielehe fördern. „Verantwortungsgemeinschaft“ bedeutet die Akzeptanz und die Unterstützung heute schon praktizierter Lebensmodelle. Wir werden dafür kämpfen, dass in Regenbogenfamilien und Patchworkfamilien zukünftig auf einer sicheren Rechtsgrundlage füreinander Verantwortung übernommen werden kann.
Herzlichen Dank.
Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Da wünschen wir Ihnen viel Erfolg, Herr Baldy, dass es mit dem Jasagen klappt.
Für die Unionsfraktion ist die nächste Rednerin unsere Kollegin Anne Janssen.
Beifall bei der CDU/CSU)