- Bundestagsanalysen
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Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Ich finde, die Entwicklung beim Thema Migration – das zeigt auch das, was wir gerade in Deutschland und auch in Niedersachen erleben – bedeutet, dass wir sehr sachlich, ruhig und lösungsorientiert diskutieren sollten. Deswegen bin ich sehr dankbar, dass ich als Vertreterin des großen Flächenlandes Niedersachsen hier ein bisschen darüber berichten kann, wie sich die Situation beim Fluchtgeschehen gerade in Niedersachsen darstellt.
Wir erleben ein sehr dynamisches Fluchtgeschehen. Allein bei uns in Niedersachsen haben sich seit Mitte Juli 2023 die Zugangszahlen von etwa 500 bis 600 Zugängen pro Woche auf derzeit über 1 300 Menschen verdoppelt. Es kommen jede Woche derzeit über 1 500, 1 600 Menschen nach Niedersachsen in die Erstaufnahmeeinrichtungen. Wenn ich mir die Prognosen in dieser Woche anschaue, ist festzustellen, dass wir am Ende des Jahres wohl über 30 000 neue Geflüchtete in Niedersachsen aufgenommen haben werden. Wenn ich mir die Daten vom letzten Jahr um diese Zeit angucke, wird klar: Wir haben schon jetzt 6 000 Menschen mehr aufgenommen als letztes Jahr um diese Zeit. Das zeigt, welche Dynamik wir gerade erleben.
In der öffentlichen Debatte diskutieren wir oft über die einzelnen Jahresscheiben. Ich finde, das ist in der Debatte zu kurz gesprungen. Von daher würde ich gerne darauf hinweisen, was in den letzten Jahren passiert ist und was vielleicht der Grund ist, warum wir in den Ländern und vor allen Dingen in den Kommunen derzeit das Gefühl der Überlastung und auch der Überforderung haben.
Insgesamt leben in Niedersachsen aktuell über 260 000 Geflüchtete; 2015 waren es 50 000. Daran kann man ersehen, was in den letzten Jahren passiert ist und welche Entwicklung hier genommen wurde. Das liegt daran, dass wir natürlich viele Menschen, die in Not sind und die Zuflucht bei uns suchen, aufgenommen haben. Das zeigt aber auch, warum die Kommunen langsam an die Grenzen ihrer Aufnahme- und Leistungsfähigkeit kommen. Wenn ich in Niedersachsen unterwegs bin, dann sagen mir sehr anständige Bürgermeisterinnen und Bürgermeister: Wir kriegen es nicht immer mehr gut hin, wir müssen uns etwas einfallen lassen. – Ich glaube, dass man diese Signale ernst nehmen muss.
Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU und des Abg. Christian Dürr [FDP]
Schön zuhören, liebe SPD!)
In den Landesaufnahmebehörden Niedersachsen werden die bei uns angekommenen Menschen registriert, untersucht, gut untergebracht und schließlich irgendwann auf die Kommunen verteilt. Ich kann Ihnen sagen, dass die Entwicklung der vergangenen Wochen und Monate uns wirklich sehr fordert. Wir haben derzeit alle regulären Unterbringungsmöglichkeiten in Niedersachsen nahezu ausgeschöpft. Neben der Belegung in Unterkunftszimmern werden auch Hallen und Schulungsräume genutzt. Die Standorte unserer Landesaufnahmeeinrichtungen sind proppenvoll.
Wir sind dabei, jeden Quadratmeter auszunutzen. Das ist, finde ich, nicht einfach; denn es geht nicht um Waren und Container, sondern es geht um Menschen, die zu uns kommen und die wir vernünftig unterbringen wollen. Aber das ist gerade eine große Herausforderung. Wir stellen winterfeste Zelte auf. Wir richten uns darauf ein, dass die Dynamik in den nächsten Wochen noch zunehmen wird; denn eigentlich liegen die starken Wochen der Zuflucht noch vor uns. Daher wird das, glaube ich, ein sehr schwieriger Herbst und sehr schwieriger Winter.
Die Belange der Geflüchteten können wir derzeit nur bedingt wahrnehmen; derzeit geht es um die Vermeidung von Obdachlosigkeit. Aber von Integration oder darüber hinaus kann man, glaube ich, in diesen Tagen nicht mehr sprechen.
Unglaublich, was die SPD betreibt!)
Das, was wir unseren Beschäftigten in den Landesaufnahmeeinrichtungen zumuten, ist genauso schwierig wie die Bedingungen, die wir den Geflüchteten zumuten.
Wir bauen unsere Standorte in Niedersachsen aus. Das werden wir weiterhin tun; denn unsere Pflicht ist es, dass wir den Städten und Gemeinden in Niedersachsen – so verstehen wir unsere Aufgabe – möglichst viel Zeit geben in der Vorbereitung, damit sie sich auf die Geflüchteten konzentrieren können, die zur Integration in die Städte und Gemeinden weiterverteilt werden.
Wir sind im ständigen Austausch mit unseren Kommunen. Wir merken aber auch eine starke Belastung. Vor Ort wird es immer schwieriger, geeigneten Wohnraum zu finden. Es wird auch schwieriger, diesen Wohnraum zu finanzieren. Es wird schwieriger, Integrations- und Sprachkurse anzubieten.
Zuruf des Abg. Sepp Müller [CDU/CSU])
Das ist alles eine große Herausforderung. Wenn wir uns anschauen, was in der nächsten Woche passiert, wird deutlich: Wir werden den Städten und Gemeinden eine neue Verteilquote zumuten müssen, damit wir alle sehr gut unterbringen. Meine Damen und Herren, ich glaube, es braucht ein Zeichen der Wahrnehmung der Überlastung in den Kommunen,
Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
und es braucht auch ein Zeichen in Richtung einer fairen Kostenaufteilung.
Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Es geht nicht darum, dass wir Geflüchtete nicht mehr aufnehmen wollen und können. Es geht darum, dass wir die Städte und Gemeinden in die Lage versetzen, dass sie das tun.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Clara Bünger [DIE LINKE])
Die Menschen, die zu uns kommen, sind in großer Not und brauchen unsere Hilfe. Die wollen wir auch leisten, aber wir kommen an die Belastungsgrenze. Deswegen bin ich sehr dankbar, dass die Bundesregierung Signale an die Länder ausgesendet hat, dass wir über eine faire Kostenverteilung hinsichtlich der Kommunen neu nachdenken können. Ich glaube, das ist ein wichtiges Zeichen, und das ist gut.
Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Aber, meine Damen und Herren, für Migration und Integration braucht es halt auch Ressourcen. Es braucht Wohnungen, es braucht Sprachkurse, es braucht Integrationskurse, und es braucht Kurse für die Aufnahme in den Arbeitsmarkt.
Überall wird gekürzt!)
All das ist perspektivisch schwer zu denken, wenn wir jedes Jahr die von mir genannte Anzahl von Geflüchteten hinzubekommen. Daher müssen wir uns mehr darauf konzentrieren, dass wir uns dem, was wir innerhalb von Europa eigentlich miteinander vereinbart haben, nämlich ein europäisches, solidarisches Verteilsystem der Geflüchteten, weiter nähern, damit wir uns für die Sache gut verwenden können. Ich kann Ihnen sagen, dass wir in Niedersachsen nicht der Meinung sind, dass wir ein solches System gerade haben.
Wir haben vor allen Dingen in Osteuropa viele Mitgliedstaaten der EU, die nicht die Aufgabe der Annahme von Geflüchteten wahrnehmen. Wir erleben es, dass sich einige EU-Mitgliedstaaten nur in der Rolle einer Zwischenstation wahrnehmen, dass sie Asylbewerberinnen und Asylbewerber nur weiterverteilen, und der Großteil kommt dann halt in der Bundesrepublik Deutschland an.
Eine solidarische Verteilung der Geflüchteten auf alle Mitgliedstaaten der EU ist dringend geboten. Denn wenn Sie sich die Gesamtsumme der Geflüchteten, die nach Europa kommen, anschauen: Das ist keine Zahl, die ein starkes Europa nicht verkraften könnte.
Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Aber die schlechte Verteilung innerhalb der Europäischen Union, das ist das Problem,
Ursula von der Leyen ist das Problem!)
Deswegen brauchen wir an den EU-Außengrenzen faire rechtsstaatliche Verfahren, in denen über einen Teil der Schutzgesuche schnell und konsequent entschieden wird, und dass in den Fällen, in denen die Chance einer Anerkennung eher gering ist, auch eine Konsequenz erfolgt.
Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Dunja Kreiser [SPD])
Meine Damen und Herren, zum Recht auf Asyl gehört auch, dass man dann, wenn in einem rechtsstaatlichen Verfahren die Entscheidung gefällt wird, dass Asyl nicht gewährt werden kann, das Land wieder verlässt. Daher setzen wir in Niedersachsen auf freiwillige Rückkehr, und wir setzen darauf, dass wir die, die nicht freiwillig gehen wollen, natürlich wieder zurückführen. Aber das ist nicht die Masse der Menschen, meine Damen und Herren. Wir haben eine hohe Schutzquote bei den Asylsuchenden, die zu uns kommen. Von daher ist die Debatte über Rückführungen eher ein Thema für die Medien, aber nichts, was uns in der Versorgung von Menschen hilft.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und der Abg. Heidi Reichinnek [DIE LINKE])
Ich hoffe daher sehr, dass wir die Ziele der Bundesregierung erreichen, dass wir Rückführungsabkommen abschließen können. Wir haben dafür einen Beauftragten in der Bundesregierung. Das ist sehr gut. Ich hoffe, dass die Aktivitäten zum Thema Rückführungsabkommen in die Realität überführt werden können; denn das würde uns sicherlich helfen, die Menschen in dem Fall auch wieder zurückzuführen.
Ich komme zum Schluss, meine Damen und Herren: Lassen Sie uns dafür werben – dafür würde ich den Bundestag gerne gewinnen –, dass wir das europäische Asylsystem zum Laufen bekommen, dass es wieder funktioniert, dass die Verteilung innerhalb der 27 Mitgliedstaaten vernünftig funktioniert, damit wir das Asylrecht nicht beschädigen.
Genau!)
Wenn es so weiter geht wie jetzt, werden wir, erstens, das Asylrecht beschädigen und, zweitens, werden wir die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland und auch in Niedersachsen bei der Aufnahme von geflüchteten Menschen verlieren.
Aha! Hört! Hört!)
Das ist das Thema. Ich finde, da muss man auf der rechten Seite gar nicht schreien. Man darf in Deutschland sagen, dass man sich überlastet und überfordert fühlt, ohne dass man populistisch ist.
Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU
Lachen bei der AfD)
Sie orientieren sich eher an Hass und Hetze.
Gerade hetzen Sie!)
Wir orientieren uns nicht an Hass und Hetze, sondern an Mitmenschlichkeit,
Zahnarzt!)
und diese müssen wir auch den Geflüchteten entgegenbringen.
Frau Ministerin.
Das schaffen wir über ein vernünftiges europäisches Asylsystem, das wir derzeit aber nicht haben.
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.
Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)