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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anfang der 1930er-Jahre lebten in Deutschland rund 25 000 Zeugen Jehovas; Ernste
Bibelforscher, wie sich die Glaubensgemeinschaft in dieser Zeit nannte. Sie machten sich verdächtig. Sie verweigerten den Hitlergruß, sie nahmen nicht an
Veranstaltungen der Nationalsozialisten teil, sie informierten ihre Glaubensschwestern und ‑brüder weltweit über die zunehmende Unterdrückung und Verfolgung,
die durch die Nazis in Deutschland stattfand.
Am 24. Juni 1933, am kommenden Samstag vor genau 90 Jahren, nur wenige Monate nach der nationalsozialistischen Machtübernahme, wurden sie verboten –
wegen ihres Glaubens, wegen ihrer Friedfertigkeit, wegen ihres Widerstands. Mehr als 11 000 Zeugen Jehovas wurden direkt verfolgt oder inhaftiert, 2 800 mussten
ins Konzentrationslager, die meisten von ihnen starben. Sie starben durch Hunger und Auszehrung, wurden erschossen oder vergast.
Die Bundesrepublik Deutschland steht zu ihrer historischen Verantwortung für die Opfer des Nationalsozialismus – für alle Opfergruppen. Anerkennung
und Wiedergutmachung verübten Unrechts durch das NS-Regime sind dabei eine besondere Priorität des Deutschen Bundestages – für uns –, vor allem aber auch ein
sensibler Prozess des Wahrnehmens, des Zuhörens, des Verstehens und des Dialogs.
Es gibt nur wenige Opfergruppen, deren Angehörige so lange im Schatten standen – nicht beachtet wurden – wie die Zeugen Jehovas. Während im ehemaligen
Westdeutschland der Bundesgerichtshof Entschädigungszahlungen für ihre Verfolgungen aufgrund der Wehrdienstverweigerung ablehnte, wurde ihnen in der damaligen
DDR der Status als Verfolgte des Faschismus aberkannt. 1950 wurden sie dort sogar erneut verboten. Auch das hat dazu geführt, dass der Blick auf diese
Glaubensgemeinschaft bis heute oft von Vorurteilen und Unkenntnis geprägt ist.
In Nazideutschland wurden sie als sogenannte asoziale Elemente systematisch vom öffentlichen Leben ausgeschlossen, wurden ihrer Grundstücke,
Betriebsgenehmigungen und Renten beraubt. Und dennoch blieben sie in ihren Überzeugungen standhaft, dass ein Mensch ein Mensch ist und dass jeder das Recht
haben muss, seinen eigenen Glauben zu wählen und zu leben.
Verantwortung kennt keine Verjährung, sie kennt nur die aufrichtige Auseinandersetzung mit den eigenen Versäumnissen. Aus diesem Grund werden wir –
endlich – ein Mahnmal für die im Nationalsozialismus verfolgten und ermordeten Zeugen Jehovas errichten. Es wird ein Ort der stillen Reflexion und des Gedenkens
sein, an dem wir an die Opfer erinnern und uns verpflichten, ihre Erinnerung zu bewahren und ihre Geschichte zu teilen.
Die Experten Wolfgang Benz und Detlef Garbe wiesen in der Anhörung des Ausschusses für Kultur und Medien unmissverständlich darauf hin, dass die
Zeugen Jehovas als einzige religiöse Gemeinschaft geschlossen Widerstand gegen den Nationalsozialismus geleistet haben. Sie haben nie weggeschaut.
Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Der zukünftige Standort am Goldfischteich im Berliner Tiergarten unterstreicht in mehrfacher Hinsicht die Bedeutung, die dieses Mahnmal in unserer
Erinnerungskultur haben wird. Da ist zum einen seine historische Bedeutung: Ein Stuhlverleih an diesem Standort diente einst als Tarnung für geheime Treffen und
war Schauplatz einer Verhaftungsaktion durch die Gestapo im August 1936. Zum anderen unterstreicht dieser Ort in der Mitte unserer Hauptstadt, dass sich die
Aufarbeitung auch im Zentrum unseres Erinnerns befinden muss.
Nach der ersten Lesung dieses Antrags haben mich viele Zuschriften erreicht – teilweise sogar aus Australien. Das zeigt: Auch die Menschen am anderen
Ende der Welt verfolgen mit großem Interesse, wie wir in Deutschland unserer historischen Verantwortung gerecht werden. Dessen sollten wir uns bewusst sein.
Menschen schilderten in handschriftlichen Briefen ihre eigenen Erinnerungen und ihre Dankbarkeit, dass wir ihre Angehörigen und deren Widerstand gegen den
Nationalsozialismus mit diesem Denkmal würdigen.
Umso dankbarer bin ich meinen Kolleginnen und Kollegen von SPD, Grünen, der Union und auch der Linken für die konstruktive Zusammenarbeit. Jetzt geht
es an die zügige Umsetzung.
90 Jahre nach dem Verbot der Zeugen Jehovas durch das NS-Regime setzen wir ihrem Widerstand ein würdiges Denkmal. Wir tun das schmerzlich spät. Aber
heute überwiegen die Freude und die Dankbarkeit, dass wir endlich vorankommen.
Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE
LINKE])
Als Nächste erhält das Wort für die Fraktion Die Linke die Kollegin Petra Pau.
Beifall bei der LINKEN)