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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien! Stellen wir uns vor: Am Eingang von
Geschäften, Fabriken, Restaurants oder auch von manch kommunalen Einrichtungen warnte ein Schild: „Sie verlassen den demokratischen Sektor!“, oder Sie bestellen
bequem im Internet Schuhe oder Pizza, und das Paket kommt aus „mitbestimmungs- und tariffreier Zone“. Quatsch, Demokratie endet doch nicht am Werkstor! Doch das
ist leider nicht selbstverständlich. Es erschreckt, aber in unserer Demokratie arbeiten nur noch um die 40 Prozent der Beschäftigten in einem Betrieb mit
Betriebsrat, und Tarifverträge hat nur noch ein Viertel der Unternehmen.
Woran liegt es? Was können wir als Bundestag dagegen tun? Zu jedem Tarifvertrag gehören zwei Seiten. Wenn die Arbeitgeber immer öfter keinen
Tarifvertrag mehr wollen und die Gewerkschaften immer öfter keinen Tarifvertrag mehr erkämpfen können, dann arbeiten immer mehr Beschäftigte ohne kollektiv
geregelte Arbeitsbedingungen. Aber warum verzichten die Beschäftigten auf bessere Arbeitsbedingungen und treten nicht in eine Gewerkschaft ein? Meine Erfahrung
bei Verdi und der IG Metall zeigt: Die wenigsten sagen wirklich bewusst und mit voller Überzeugung: Ich will kein Gewerkschaftsmitglied sein, und auf bessere
Arbeitsbedingungen mit Tarifvertrag habe ich auch keine Lust. – Eine große Rolle spielt die Unkenntnis über wirtschaftspolitische Zusammenhänge hier in
Deutschland.
Vor allem in Ihrer Fraktion!)
Wenn kaum jemand weiß, was ein Tarifvertrag ist und was er bringt, dann haben wir es als Gesellschaft, Schule und Betrieb nicht geschafft, dieses
Verständnis zu vermitteln. Und mit unserem eigenen Konsumverhalten zeigen wir auch nicht unbedingt, dass es eine Rolle spielt, ob wir es mit einem Unternehmen
mit oder ohne Tarifvertrag zu tun haben.
Eine immer größere Rolle spielt auch die Zusammensetzung der Belegschaften. Manche Belegschaft besteht aus 100 Nationalitäten. Wir brauchen all diese
Menschen, und zukünftig werden wir noch mehr brauchen. Aber wir dürfen nicht außer Acht lassen, dass es in vielen Herkunftsländern keine Tarifverträge,
Betriebsräte oder überhaupt auch nur ein funktionierendes Arbeitsrecht oder eine demokratische Kultur gibt. Dazu kommen noch Sprachbarrieren, unsichere und
prekäre Arbeitsverhältnisse und gelegentlich auch Arbeitgeber, die ihre Betriebe mit aller Macht tarif- und gewerkschaftsfrei führen wollen. So laufen viele
Tarifverhandlungen, Arbeitskämpfe und demokratische Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten ins Leere.
Nun können wir hier im Bundestag keine Tarifverträge abschließen. Aber wir können und müssen als Gesetzgeber schon dazu beitragen, dass Tarifverträge
und Betriebsräte nicht zum Luxus für einige wenige große Betriebe verkommen.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
So werden zukünftig öffentliche Aufträge nur an Unternehmen mit Tarifvertrag vergeben, und aus der Behinderung von Betriebsratswahlen und ‑arbeit wird
ein Offizialdelikt für Schwerpunktstaatsanwaltschaften. Genauso wichtig ist: Betriebsratsgründungen erleichtern, die Mitbestimmung der Betriebsräte erweitern,
digitalen Zugang zum Betrieb und zu den Beschäftigten für die Gewerkschaften und Betriebsräte ermöglichen, viel mehr Tarifverträge allgemeinverbindlich machen
und noch vieles mehr.
Wir werden vermutlich nicht alles gleich schaffen, aber für eines kämpfen wir als SPD immer: dass die Arbeitskräftezuwanderung, die wir, unser
Sozialsystem und unsere Wirtschaft dringend brauchen, nicht mit Lohndumping, Ausbeutung und Absenkung unserer Tarifstandards einhergeht. Wenn wir die Demokratie
auch hinter dem Werkstor gesetzlich sichern müssen, werden wir es tun.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)