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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren den Antrag der Fraktion Die Linke „Aktionsplan zur Stärkung der
Tarifbindung“ quasi in vorauseilendem Gehorsam zur Erfüllung der EU-Mindestlohnrichtlinie. Die EU will Mitgliedstaaten mit weniger als 80 Prozent Tarifbindung
auffordern, nationale Aktionspläne auf den Weg zu bringen, um dieselbe zu erhöhen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, schönen Gruß an Ihren Parteifreund
Dennis Radtke; der findet das, glaube ich, auch ganz toll und hat schon einen entsprechenden Antrag an den CDU-Bundesparteitag gestellt.
Im Antrag wird behauptet, nur eine hohe Tarifbindung sorge für gute Arbeitsbedingungen. Ich sage: Dieser Automatismus greift zu kurz. – Wir haben in
Deutschland seit 70 Jahren stabileren sozialen Frieden, geringere Arbeitslosigkeit, weniger Streiktage und eine bessere soziale Absicherung als manch ein
europäischer Nachbar, der statistisch gesehen eine höhere Tarifbindung ausweist. Dazu kommen höherer Wohlstand und eine niedrigere Staatsverschuldung.
Zuruf des Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD])
Allen Unkenrufen und Krisen zum Trotz schlägt sich die deutsche Volkswirtschaft gut, wie ich finde, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Beifall bei der FDP
Am Tag, wo wir in die Rezession gehen! Dass es der deutschen Wirtschaft gut geht, glauben Sie ja selber
nicht!)
Womit wir bei Italien wären. Italien ist – legt man die Mindestlohnrichtlinie zugrunde – Musterschüler in der EU und hat 100 Prozent Tarifbindung.
Wenn die FDP eine Rezession schon gut findet!)
Die Volkswirtschaft mit den höchsten Staatsschulden, einem niedrigen Wachstum und sehr hoher Jugendarbeitslosigkeit soll uns Vorbild sein? Eine hohe
Tarifbindung allein hilft eben nicht, strukturelle Defizite zu korrigieren oder gar zu heilen. Deswegen warne ich die Antragsteller vor zu hohen Hoffnungen.
Hoffnung in diese Regierung hat keiner mehr!)
Das führt zu Enttäuschungen und noch mehr staatlicher Intervention.
Die Linke möchte also die Tarifbindung stärken. Tarifgebunden sind laut § 3 Tarifvertragsgesetz streng genommen nur die Arbeitgeber und die
Gewerkschaftsmitglieder, die einen Tarifvertrag miteinander schließen. Wenn zurzeit maximal 15 Prozent der Beschäftigten in Deutschland Mitglied einer
Gewerkschaft sind, dann wäre die erste logische Maßnahme die Einführung einer Pflichtmitgliedschaft in einer Gewerkschaft. Eine solche Forderung ist in dem
Antrag aber nicht zu finden – wie ich finde, aus gutem Grund.
Wenn aber Millionen Beschäftigte das Grundrecht nach Artikel 9 nicht in Anspruch nehmen und aus welchen Gründen auch immer einer Gewerkschaft nicht
beitreten, dann hat der Staat das zu respektieren. Daraus folgt aber: Es kann immer nur um Tarifabdeckung oder Tarifwirkung gehen, nie aber um Tarifbindung im
engen Sinne. Was den Arbeitnehmern eingeräumt wird, das muss auch den Arbeitgebern gestattet sein. Das Grundrecht auf negative Koalitionsfreiheit muss für alle
gleichermaßen gelten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir Freie Demokraten sagen: Der Staat setzt Mindeststandards und hält sich ansonsten raus. Das nennen wir Subsidiarität und Tarifautonomie. Das sind
Grundpfeiler der sozialen Marktwirtschaft, und die ist ein Erfolgsmodell, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Beifall bei der FDP])
Lassen Sie mich konkret werden. Viele Bundesländer haben sich an Tariftreuegesetzen versucht; ein durchschlagender Erfolg bleibt aus. Ob die
Tarifbindung bei Auftragnehmern zugenommen hat, lässt sich empirisch nicht nachweisen. Dass die Tarifwirkung zugenommen hat, ist dagegen sehr wahrscheinlich.
Manch ein Tiefbauarbeiter verdient jetzt mehr, und manch ein tarifgebundenes Tiefbauunternehmer hat jetzt vielleicht bessere Chancen, öffentliche Aufträge zu
bekommen. Freuen wir uns darüber; aber mehr ist nicht drin. Jeder mag sich mehr Tarifwirkung wünschen, niemand sollte Tarifbindung erzwingen. Ein
tarifvertraglicher Interessensausgleich lässt sich nicht erzwingen,
Schaffen wir mal alle befristeten Arbeitsverträge ab!)
auch das müssen wir akzeptieren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Beifall bei der FDP)
Ich habe mit zwei typischen metallverarbeitenden Unternehmen bei uns im Sauerland gesprochen. Beide haben circa 300 Beschäftigte. Eines ist
tarifgebunden, das andere nicht. Das Erste sagt: Wir sind tarifgebunden aus Überzeugung. Wenn wir Stellen ausschreiben, stellen wir fest, dass die Tarifbindung
ein Trumpf ist. So finden wir trotz Fachkräftemangel neue Mitarbeiter. – Das Zweite sagt: Wir bezahlen bei Einstellung unter Tarif. Danach steigt bei uns der
Lohn schneller, als er laut Tariftabelle steigen würde. Nach fünf Jahren zahlen wir über Tarif. Das ist ein Trumpf bei der Mitarbeiterbindung.
Man kann ja beides machen!)
Würden beide Unternehmen in die Tarifbindung gezwungen, verlöre das eine seinen Wettbewerbsvorteil „Tarifbindung“ und das andere seinen
Wettbewerbsvorteil „übertarifliche Vergütung als Instrument der Mitarbeiterbindung“
Zuruf der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
und beide ein Stück weit ihre unternehmerische Freiheit. Die statistische Tarifbindung würde von 50 auf 100 Prozent steigen, aber niemandem wäre
geholfen – außer der Statistik.
Beifall bei der FDP)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, um es deutlich zu sagen: Ich stehe hier, weil ich Politik für Menschen mache und nicht für Statistiken. Unser Job ist
es, für Vollbeschäftigung, Wettbewerbsfähigkeit und Investitionen zu sorgen. Dann steigen erst die Produktivität, dann die Löhne und schließlich auch wieder die
Tarifbindung. Auf die weitere Beratung im Ausschuss freue ich mich.
Beifall bei der FDP sowie des Abg. Andreas Audretsch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Das Wort hat Bernd Rützel für die SPD-Fraktion.
Beifall bei der SPD sowie des Abg. Andreas Audretsch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])