Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europadebatten sind immer geeignet für sehr viele Sonntagsreden, und so komme ich mir heute in der Debatte auch wieder vor. Was da alles versprochen wird: vermehrt Demokratie, Spitzenkandidatenprinzip, Aussicht, dass junge Menschen mitbestimmen sollen. Da fragt man sich manchmal, wie isoliert man diese Debatte eigentlich führt, wenn man bedenkt, welch andere Entscheidungen getroffen worden sind.
Fangen wir doch mal an bei der letzten Europawahl. Da wurde uns das Spitzenkandidatenprinzip schon mal erklärt. Da sind auch Spitzenkandidaten angetreten. Es wurde gesagt: Wer die stärkste Partei ist, stellt dann auch den EU-Kommissionspräsidenten oder die ‑präsidentin. – Was haben wir am Schluss bekommen? Heute ist jemand EU-Kommissionspräsidentin, der nie zur Wahl stand, der nie zur Debatte stand – und das wird hier als demokratisch angesehen. Schämen Sie sich für das, was Sie damals nach der letzten Europawahl gemacht haben! Ursula von der Leyen hat in Brüssel eigentlich nichts zu suchen.
Beifall bei der LINKEN)
Und dann wundert man sich, dass man bei Europawahlen nur eine Wahlbeteiligung von 50 Prozent hat. Wenn wir mal ehrlich sind: Hätten wir in Deutschland nicht am gleichen Tag viele Kommunalwahlen, wäre die Wahlbeteiligung ja noch niedriger. Aber das hängt an solchen Maßnahmen, wie ich sie eben erklärt habe.
Dann wird hier wirklich eine Art – ich nenne es jetzt mal so – Volksverdummung betrieben, indem man uns weismachen will, wegen neun deutschen Abgeordneten, die von Kleinstparteien in das EU-Parlament gewählt worden sind, würde die Arbeitsfähigkeit des EU-Parlaments leiden, und das würde zu einer Zersplitterung führen. Ich glaube, diejenigen, die solche Reden halten wie heute die von der CDU/CSU, wissen gar nicht, wie das Europaparlament eigentlich arbeitet.
Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine Unterstellung!)
Der einzige deutsche Abgeordnete, der keiner Fraktion angehört, ist Martin Sonneborn. Alle anderen Abgeordneten, auch die von Kleinstparteien, gehören einer Fraktion an. Wer da behaupten will, das wäre eine Zersplitterung des EU-Parlaments, hat keine Ahnung. Es geht hier um etwas ganz anderes. Man will die Tür für das Europaparlament für Kleinstparteien schließen. Man will Millionen oder zumindest Hunderttausenden Stimmen die Tür zum Europaparlament verschließen. Und das nennen Sie „demokratisch“. Schämen Sie sich dafür!
Beifall bei der LINKEN
Hören Sie sich die Rede lieber noch mal an!)
Dann wird behauptet, es wäre ein guter Fortschritt, dass dann auch mehr Frauen im Europaparlament wären. Auch für die Bürgerinnen und Bürger da draußen: Bisher war es immer so, dass mit Blick auf die deutsche Gesetzeslage gesagt worden ist: Wir können das nur schwer umsetzen wegen der zwei Stimmen, also Wahlkreisstimme und Listenstimme. Man kann in einem Wahlkreis nicht sagen „Mann oder Frau“, wenn man nur einen wählen kann. – Das ist ein Stück weit verständlich. Aber bei einer Europawahl gilt das überhaupt nicht; denn da werden nur Listen gewählt, und die Listen werden aufgestellt von Parteien. Die Parteien haben es selbst in der Hand, ohne dass irgendwas verändert werden muss, dass mindestens die Hälfte der künftigen Europaparlamentarier Frauen sind. Wir Linke haben dieses System. Bei uns ist es immer so, dass mehr Frauen als Männer in einem Parlament sitzen – hier im Bundestag, auch im Europaparlament.
Zuruf von der AfD)
Also, Sie sind verantwortlich dafür, dass mehr Frauen Chancen haben, nicht irgendein Gesetzgeber, der das erst noch verändern muss. Wenn Sie mehr Frauen im Parlament haben wollen, machen Sie das über Ihre Parteitage. Die AfD und die CDU/CSU haben heute noch mal gezeigt: Sie sind frauenfeindlich, Sie wollen nicht mehr Frauen im Europaparlament.
Beifall bei der LINKEN
Also bitte, das ist ja nun wirklich eine Unverschämtheit!
Zuruf von der CDU/CSU: Der Frauenversteher!)
Hier im Plenum sind viele neue Abgeordnete dabei, und es gibt auch Abgeordnete, die waren damals schon im Bundestag, als das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung getroffen hat, dass es bei der Europawahl keine Sperrklausel gibt. Ich kann wirklich nochmals empfehlen, sich das durchzulesen, was Karlsruhe uns damals auf den Tisch gelegt hat. Das Verfassungsgericht hat klipp und klar gesagt, dass dieses System, wie es von Ihnen gewollt ist, die Wahlrechtsgleichheit behindern würde und dass die Grundsätze der Chancengleichheit damit verletzt würden. Also, wenn Sie wieder eine neue Hürde einsetzen, dann rütteln Sie damit wieder an den Grundfesten des Grundgesetzes. Lassen Sie deshalb die Hände davon. Die Linke wird niemals einer Regelung zustimmen, die eine neue Hürde einführt bei den Europawahlen.
Beifall bei der LINKEN)
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Zum Abschluss. Wir begrüßen das Wahlalter mit 16. Aber alle die, die das heute hier auch begrüßt haben, sollten sich mal die Frage stellen: Warum lehnen Sie es bei der Bundestagswahl ab? Wenn man die Jugend mitbestimmen lassen will, dann doch nicht nur bei Europa-, sondern auch bei den Bundestagswahlen.
Vielen Dank.
Beifall bei der LINKEN)
Und jetzt kommen wir wieder zu Bündnis 90/Die Grünen, und da erhält das Wort Lamya Kaddor.
Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Valentin Abel [FDP])