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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Staatssekretärin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Claudia ist 35 und Krankenpflegerin. Schon nach ein paar
Stunden im Dienst fangen die Spannungsgefühle, die Schmerzen und die Erschöpfung in den Beinen wieder an. Sie hievt Patientinnen und Patienten auf ihre Betten,
hilft bei der Körperpflege, aber jede leichte Berührung ist schmerzhaft. Im Laufe des Tages werden die Schmerzen immer heftiger. Nach der Hälfte ihres Dienstes
meldet sie sich dann krank; denn nur liegend lässt sich das noch aushalten.
Mit den Jahren fühlt sich Claudia in ihrem Körper immer unwohler – nicht nur nimmt sie an Gewicht zu, es verändern sich auch ihre Oberschenkel und
Waden im Vergleich zu ihrem Körper unproportional. Schwere, schmerzende Gliedmaßen, Hass auf den eigenen Körper und jahrelange Selbstzweifel – und trotzdem
findet Claudia kaum Gehör. „Bewegt dich doch einfach mal ein bisschen mehr“ oder „Iss doch weniger Schokolade“, so etwas kriegt sie immer wieder zu hören. Aber
trotz Sport und gesunder Ernährung wird es einfach immer schlimmer.
Es ist die Erkrankung Lipödem, die das Leben der Betroffenen so schwierig macht. Es sind Freundinnen, die Kinoverabredungen immer wieder absagen
müssen, es sind Mütter, die das Spielen mit den eigenen Kindern nur noch schwer ertragen, es sind Arbeitnehmerinnen, die ihrer Tätigkeit nicht mehr nachgehen
können. Jeder Leidensweg ist einer zu viel, und hier braucht es endlich unsere politische Unterstützung
Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP und der Abg. Heidi Reichinnek [DIE LINKE])
Die Mehrheit der Betroffenen sind Frauen, und so sind die Ursachen wie bei vielen anderen frauenspezifischen Erkrankungen mal wieder unklar. Die
einzig wirklich nachhaltige Therapie ist oftmals die Entfernung des krankhaften Körperfetts, die Liposuktion. Für viele Betroffene ist das der Weg zu einem
erträglichen Leben. Aber: Die Kosten für eine solche Operation werden im Regelfall nicht von der Krankenkasse übernommen. Wir reden hier von circa 5 000 Euro
pro OP. Oftmals müssen die Betroffenen aber nicht nur Geld für eine OP aufbringen, sondern für mehrere, weil mehrere Körperregionen betroffen sind. Und so
betragen die Gesamtkosten relativ schnell 15 000 bis 20 000 Euro.
Jetzt wird es noch wilder: Die Übernahme scheitert an dem Nachweis eines Nutzens für die Betroffenen. Gut, dass die Patientenvertretung des
Gemeinsamen Bundesausschusses eine Studie in Auftrag gegeben hat, die den Nutzen nachweisen soll. Aber wissen Sie, seit wann diese Studie läuft? Die
Beauftragung war 2014. Mit den Ergebnissen kann erst 2026 gerechnet werden. Zwölf Jahre! Jedes Jahr, in dem Frauen wie Claudia leiden, ist eines zu viel.
Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)
Es braucht eine Übergangslösung bis zur Beendigung der zurzeit laufenden Studie; denn die Leidtragenden von diesen ewigen Prozessen sind wieder einmal
Frauen in unserer Gesellschaft.
Und ja, es wurde 2019 eine Übergangslösung für besonders schwere Fälle geschaffen. Aber wenn wir uns die Voraussetzungen mal ganz genau anschauen,
wird sehr schnell klar, dass darin wieder ein antifeministischer Take enthalten ist, diesmal in Form von Bodyshaming. Anstatt Betroffene ernst zu nehmen und den
Nachweis der besonderen Schwere als ausreichend anzusehen, findet sich hier das Kriterium des Body-Mass-Index, BMI, der unter 35 liegen soll. Nicht nur, dass
der BMI gar nicht mehr zeitgemäß ist, dieses Kriterium ist auch höchst ungerecht; denn Frauen mit Lipödem leiden oftmals am starken Übergewicht wegen der
Erkrankung. Und jetzt soll die Behandlung genau an dieses Symptom gekoppelt sein? Damit schließen wir viele Betroffene aus, und das ist eine
Ungerechtigkeit!
Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN)
Das Lipödem ist mal wieder ein Beispiel dafür, wie unsere Gesellschaft mit geschlechtsspezifischen Erkrankungen umgeht. Endometriose, PCO-Syndrom,
Lipödem, PMDS – hier zeigt sich: Unsere Gesellschaft und auch die Medizin sind an Männern ausgerichtet. Diese jahrhundertealten Missstände müssen wir endlich
aufbrechen!
Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Hier sind alle gefragt: von der Regierung über das Parlament und die Selbstverwaltung im Gesundheitssystem bis zu den Gesundheitsberufen. Ja,
sicherlich wird das nicht von heute auf morgen passieren. Aber seien wir mal ganz ehrlich: Diese Frauen warten bereits viel zu lange. Jetzt ist es wirklich an
der Zeit, diese Missstände zu überwinden!
Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Dr. Christina Baum hat das Wort für die AfD-Fraktion.
Beifall bei der AfD)