- Bundestagsanalysen
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Frauengesundheit spielt in der modernen Medizin leider noch immer eine untergeordnete Rolle. Die Perspektive der Frauen – das gilt sowohl für die medizinische Forschung als auch für die Versorgung – wird häufig nicht adäquat berücksichtigt. Frauenspezifische Erkrankungen werden oft auch nicht richtig ernst genommen. Eine dieser lange nicht ernst genommenen Krankheiten ist das Lipödem, über das wir heute hier an dieser Stelle diskutieren.
Allein in Deutschland sind rund 3,5 Millionen Frauen betroffen. Das bedeutet, dass wahrscheinlich jeder und jede hier im Raum eine betroffene Person kennt. Damit ist das Lipödem neben der Endometriose eine der häufigsten bei Frauen auftretenden Krankheiten überhaupt.
Infolge einer Störung der Fettverteilung leiden viele Betroffene an verschiedenen Symptomen, wie Schmerzen, Müdigkeit, aber auch Depressionen. Durch die Symptome entstehen erhebliche Einschränkungen im Alltag, und viele Frauen leiden unter dem substanziellen Verlust ihrer Lebensqualität.
Trotz der hohen Inzidenz und der schweren Folgen, die ein Lipödem mit sich bringen kann, steckt die Versorgung in Deutschland, wie wir gehört haben, noch immer in den Kinderschuhen. Besonders problematisch ist, dass die meisten betroffenen Frauen eine regelrechte Odyssee hinter sich bringen müssen, bevor sie überhaupt die korrekte Diagnose gestellt bekommen. Diagnosezeiten von bis zu 15 Jahren – das muss uns alle wirklich erschrecken – sind leider keine Seltenheit. 15 Jahre, in denen die betroffenen Frauen nicht wirklich wissen, was mit ihnen los ist, 15 Jahre, in denen sie sich mit Ratschlägen à la „Nimm doch mal ab“ oder „Iss doch einfach weniger“ oder „Mach einfach mehr Sport“ herumschlagen müssen!
Dabei hat das Lipödem nichts mit der gewöhnlichen Adipositas zu tun. Es ist in Wahrheit eher umgekehrt: Gerade weil die Patientinnen durch ihre Krankheit an enormen Schmerzen leiden und die Beweglichkeit stark eingeschränkt sein kann, entwickeln viele der betroffenen Frauen eine zusätzliche Adipositas. Wir müssen diese Frauen auf dem Weg durch das Gesundheitssystem besser begleiten, und wir müssen sie vor allem informieren, was diese Krankheit bedeutet.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)
Zur Wahrheit gehört aber eben auch, dass wir derzeit nur wenige wissenschaftliche Erkenntnisse darüber haben, wie dieses Ziel am besten erreicht werden kann. Die medizinische Forschung zum Lipödem steckt leider – genau wie die Versorgung – noch in den Kinderschuhen. Es gibt einen eklatanten Mangel an Wissen über diese Erkrankung und an hochqualitativen Daten zu den unterschiedlichen verfügbaren Behandlungsmethoden.
Aus diesem Grund hat der G-BA im Februar 2021 die sogenannte LIPLEG-Studie zum Nutzen der Liposuktion, also der chirurgischen Entfernung des betroffenen Fettgewebes, bei Frauen mit dem Lipödem gestartet. Es handelt sich hierbei um eine randomisierte, interventionelle Studie, die uns die Frage beantworten wird, welche Behandlungsmethode, die Liposuktion oder die Komplexe Physikalische Entstauungstherapie, die besseren Ergebnisse erzielt. Ich erhoffe mir, dass wir auf diese Weise Klarheit darüber bekommen, wie wir in der GKV evidenzbasiert mit dem Problem Lipödem umgehen können.
Auch mir ist bewusst, dass die Ergebnisse der Studie nicht morgen zur Verfügung stehen werden. Ebenso ist uns klar, dass der Leidensdruck vieler Frauen so hoch ist, dass sie sich eine schnelle Lösung erhoffen. Wie hoch der Leidensdruck ist, zeigt unter anderem die Tatsache, dass eine Petition zur Lipödem-Versorgung mit etwa 65 000 Unterzeichnern wirklich eine große Resonanz erhalten hat. In dieser Petition, die wir vor einiger Zeit im Petitionsausschuss des Bundestages öffentlich beraten haben, fordert die Petentin die Übernahme der Kosten der Liposuktionsbehandlung durch die gesetzliche Krankenversicherung in allen Stadien der Krankheit. Ich bin optimistisch, dass es nach der Beendigung der Studie auch so kommen wird.
Allerdings bin ich auch davon überzeugt, dass wir den Grundsatz der evidenzbasierten Medizin in der GKV nicht in Einzelfällen außer Kraft setzen dürfen.
Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Deshalb ist die im Antrag geforderte Übergangslösung, die eine Erstattung der Kosten der Liposuktion in allen Stadien bis zum Ende der LIPLEG-Studie vorsieht, aus meiner Sicht eher kritisch zu bewerten. Allerdings gibt es auch außerhalb der Erstattungsfrage viel Handlungsspielraum, und der Antrag enthält hier auch gute Punkte. Insbesondere das Problem der mangelnden Aufklärung der Patientinnen muss angegangen werden. Eine entsprechende Initiative hätte hier meine volle Unterstützung.
Ich fasse zusammen. Der Antrag geht inhaltlich in die richtige Richtung. Aber er enthält einige Forderungen, die redundant sind oder den elementaren Prinzipien unseres Krankenversicherungssystems widersprechen.
Doppelt gemoppelt hält besser!)
Neben der LIPLEG-Studie sind weitere Studien aus meiner Sicht nicht notwendig. Gleichzeitig verstößt die Übergangsregel gegen den Grundsatz der evidenzbasierten Medizin. Aus diesen Gründen sehen wir den Antrag kritisch.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und des Abg. Erich Irlstorfer [CDU/CSU])
Simone Borchardt hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
Beifall bei der CDU/CSU)