- Bundestagsanalysen
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuschauerinnen und Zuschauer! Sehr geehrter Herr Minister! Es ist ja auch schön, dass ich heute mal anfangen darf. Heute ist ein richtig guter Tag für die Verbandsklage; denn diese ist tatsächlich auf dem Weg. Bisher kannte unser Zivilrecht diese Klageart – jedenfalls als Abhilfeklage – nicht. Aber als ehemalige Rechtsanwältin freue ich mich natürlich sehr; denn für mich sind Kollektivklagen ein probates Mittel für mehr Gerechtigkeit und Augenhöhe.
Zuruf von der CDU/CSU: Das haben wir befürchtet!)
Mit diesem Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Verbandsklagenrichtlinie stärken wir die Rechtsdurchsetzung von Verbraucherinnen und Verbrauchern. Gleichzeitig entlasten wir aber auch die Justiz, und wir schaffen auch für die Unternehmen zeitnah Rechtssicherheit. Der vorliegende Entwurf des Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetzes bündelt nun eine Reihe von notwendigen Gesetzesänderungen in einem Stammgesetz.
Die Gefahr, durch unlautere Unternehmenspraktiken geschädigt zu werden, ist durch die Zunahme von Massengeschäften und die Digitalisierung für Verbraucherinnen und Verbraucher noch mehr gestiegen. Bisher sahen die Möglichkeiten, dagegen vorzugehen, in den Mitgliedstaaten unterschiedlich aus. Die EU-Verbandsklage zielt hier auf eine Harmonisierung im Binnenmarkt ab.
Bisher war es so: Wenn ein Unternehmen zahlreiche Verbraucherinnen und Verbraucher geschädigt hatte, musste jeder von diesen eine eigenständige Klage gegen dieses Unternehmen erheben. Die Folge war aber auch, dass Hunderte oder Tausende von Klagen gegen ein und dasselbe Unternehmen bei unseren Gerichten eingingen, obwohl es sich eigentlich um den gleichen Sachverhalt handelte.
Richtig ist aber auch, dass viele Verbraucherinnen und Verbraucher ihre Rechte oftmals gar nicht erst eingeklagt haben, nicht nur, weil sie keine Rechtsschutzversicherung hatten oder weil sie das finanzielle Risiko gegenüber dem überlegenen Unternehmen scheuten, sondern auch, weil es bei den Einzelnen tatsächlich oft nur um kleine Geldbeträge ging. In der Summe waren das aber enorme Unrechtsgewinne für einige Unternehmen.
Genau das wollen wir hiermit in Zukunft ändern. Künftig werden geschädigte Verbraucherinnen und Verbraucher die Möglichkeit haben, dass ein Verband, zum Beispiel eine Verbraucherzentrale oder ein Mieterbund, im eigenen Namen die Ansprüche bei Gericht einklagt. Auch das finanzielle Risiko werden die Verbraucherinnen und Verbraucher dann nicht mehr tragen müssen; denn im Rahmen der Verbandsklage übernimmt der verbraucherschützende Verband dann die Kosten des Rechtsstreits. Mit David gegen Goliath – bildlich gesprochen – ist dann in diesem Bereich endlich Schluss.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Passenderweise möchte ich ein persönliches Beispiel schildern. Mich schreibt seit Wochen eine Anwaltskanzlei an, weil der BGH mal eine private Krankenversicherung verurteilt hat. Diese muss ihrem Versicherten nun rückwirkend für mehrere Jahre Krankenversicherungsbeiträge erstatten, da die Erhöhung der Beiträge nicht rechts- und formfehlerfrei begründet wurde. Diese Anwaltskanzlei möchte jetzt natürlich mein Mandat haben, damit sie bei meiner Krankenversicherung meine zu viel gezahlten Beiträge rückwirkend einklagen kann. Jetzt ist es aber so, dass neben mir wahrscheinlich Tausende andere, die bei privaten Krankenversicherungen versichert sind, genau solche Angebote bekommen. Das sind Sachverhalte, die dazu führen, dass viele Einzelklagen bei unseren Gerichten eingehen. Das ist zugegebenermaßen ein interessantes Geschäftsmodell; es ist aber tatsächlich auch nur für die interessant, die eine Rechtsschutzversicherung haben und das Kostenrisiko eingehen können.
Solche Sachverhalte wird die Verbandsklage zukünftig auffangen und vor allem Geschädigten zu einem Gerichtsverfahren und ihrem Recht verhelfen, unabhängig davon, ob sie es sich leisten können oder nicht. Ohne jetzt den gesamten prozessualen Ablauf der Verbandsklage zu erörtern – darauf wird unser Minister gleich vielleicht noch eingehen –, möchte ich noch drei Punkte erwähnen, die mir wichtig sind:
Der erste Punkt: Schauen wir uns die Anforderungen an die Klagebefugnis an. Es ist gut, dass wir diese herabgesetzt haben, sodass die Verbände nach der Liste des Unterlassungsklagengesetzes auch weiterhin klagebefugt sind; es sind solche, die nicht mehr als 5 Prozent ihrer Mittel von Unternehmen selber beziehen. Am letzten Punkt ist vor allen Dingen wichtig, dass wir bei Verbraucherzentralen auch die Vermutung haben, dass sie diese Anforderungen erfüllen.
Der zweite Punkt ist die Zulässigkeit der Klage. Nach dem Entwurf ist es erforderlich, dass 50 Verbraucherinnen und Verbraucher betroffen sind. Das muss der Verband glaubhaft machen in dem Moment, wo er eine Klage erhebt. Gerade für kleinere Verbände führt das aber häufig zu Schwierigkeiten, da sie dieses organisatorisch oftmals nicht leisten können. Für uns muss das Ziel sein, möglichst viele Verbraucherinnen und Verbraucher bis zum letztmöglichen Zeitpunkt der Anmeldung im Klageregister zu diesem Verfahren zu erreichen.
Damit komme ich zu dem dritten Punkt, dem fairen und effektiven Zeitpunkt, bis zu dem eine Anmeldung zu diesem Klageregister möglich sein sollte. Meiner Auffassung nach ist entscheidend, dass eine Anmeldung zu diesem Verfahren möglichst spät erfolgt. Im Rahmen des Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetzes müssen wir auch nach den Vorgaben der Richtlinie einen ausreichenden Zeitraum für die Anmeldung zur Verfügung stellen, damit Verbraucherinnen und Verbraucher genügend Zeit haben, sich zu überlegen, ob sie sich dem Rechtsstreit anschließen wollen oder nicht. Andererseits muss aber auch genügend Zeit für die Verbände zur Verfügung stehen, um überhaupt auf die Verbandsklage öffentlichkeitswirksam aufmerksam machen zu können.
Eine Anmeldung zum Klageregister bis zwei Monate nach dem ersten frühen Termin beschreibt meines Erachtens einen zu kurzen Zeitraum,
Beifall der Abg. Marianne Schieder [SPD] und Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])
um möglichst viele Einzelverfahren zu vermeiden. Damit auch die Justiz entlastet wird, ist die späte Anmeldung zum Klageregister entscheidend.
Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das ist wie Faktencheck. Wenn ich mich frage, was hier der richtige und finale Zeitpunkt für die Anmeldung zum Klageregister ist, dann wird deutlich, dass dafür sinnvollerweise nur ein Zeitfenster nach dem Abhilfegrundurteil infrage kommt. Denn zu diesem Zeitpunkt steht erstmals überhaupt verbindlich fest, dass die Klage dem Grunde nach begründet ist und im weiteren Verfahren Erfolg haben kann. Erst zu diesem Zeitpunkt macht eine Anmeldung zum Klageregister vor dem Hintergrund Sinn, dass wir ernsthaft die Justiz entlasten wollen. Denn ohne diesen späten Zeitpunkt ist der Anreiz, doch individuell Klage zu erheben, vielleicht am Ende höher.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Gesetzesvorhaben ist ein Meilenstein für den Verbraucherschutz, der uns naturgemäß am Herzen liegt; denn die Verbandsklage hat ganz viel Potenzial, zukünftig für mehr Gerechtigkeit zu sorgen.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
In diesem Sinne freue ich mich auf die weiteren Beratungen.
Herzlichen Dank.
Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Für die Unionsfraktion hat das Wort der Kollege Dr. Martin Plum.
Beifall bei der CDU/CSU)