Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Brandner hat gerade den letzten „Achtung, Reichelt!“-Text hier vorgelesen – nicht besonders gelungen, aber immerhin gut rezipiert. Da klingelt einem so ein bisschen Horst Seehofers „Die Grünen sind an allem schuld“ im Ohr. Wir sind das vielleicht schon gewohnt, aber inhaltlich besonders fundiert wird es dadurch halt leider nicht. Ich habe mir überlegt – die Kollegin hatte das gerade gesagt: wir haben das im Januar und im März hier besprochen –: Wie kommt es denn, dass Sie jetzt so late to the party sind? Also, haben Sie aus Versehen ein paar Monate zu spät die Gesetzestexte durchgelesen, oder ist es bei Ihnen irgendwo in der Diskussion hängen geblieben? Dann habe ich mir gedacht: „Moment mal, ich kenne das ja alles schon“; das habe ich ja gerade gesagt. Es erinnert mich doch sehr an „NIUS“, wovon ich immer dachte, das ist Ihre Haus- und Hofberichterstattung. Aber ich bin ernsthaft enttäuscht. Es ist ja andersherum: Sie schreiben Ihre Anträge offensichtlich bei Julian Reichelt ab. Also, ich hätte mir da ein bisschen mehr erhofft. Aber kleiner Tipp: Julian Reichelt und das von ihm gegründete Portal, das sind Leute, die sind für „Bild“ zu schmuddelig und unseriös gewesen. Ich glaube nicht, dass das eine gute Grundlage dafür ist, Anträge in den Deutschen Bundestag einzubringen. Das Format heißt ja schon „Achtung, Reichelt!“, also: Achtung, da muss man sehr genau hingucken, wie die Sachen geframt werden, wie die Sachen aus dem Kontext genommen werden. Ich möchte das an dieser Stelle einmal kurz klarstellen: Diese vertrauenswürdigen Hinweisgeber, die machen gar nichts so Besonderes; das ist gerade auch schon ausführlich erklärt worden. Ich möchte kurz sagen, warum die Europäische Union sich überhaupt auf den Weg gemacht hat, an der Plattformregulierung noch mal anzusetzen. Denn Hasskriminalität, Terrorverherrlichung sind ein Problem, das wir online schon länger kennen, das auch alle Fraktionen hier im Deutschen Bundestag in unterschiedlichen Formen immer wieder ansprechen und problematisieren. Ein anderes Problem ist, dass die Community Guidelines, also die Spielregeln, die sich die Plattformbetreibenden für ihre Plattformen gegeben haben, oft extrem willkürlich und nur selektiv ausgelegt wurden. Deswegen hat man gesagt: Nein, man möchte einen Rechtsrahmen schaffen, den Digital Services Act – den wir mit dem Digitale-Dienste-Gesetz in nationales Recht umsetzen –, der hier ansetzt und klarstellt, wie Plattformbetreibende der Verantwortung gerecht werden, die sie gegenüber dem Betrieb bzw. ihren Plattformen haben. Jetzt zu den Trusted Flaggern. Was ist das? Es wurde gerade schon erklärt: Trusted Flagger und deren Arbeit wird schon lange genutzt. Die Plattformen haben das bisher freiwillig gemacht. Also ist es erst mal gut, dass hier an dieser Stelle Transparenz geschaffen wird, dass es verrechtlicht wird. Die Trusted Flagger haben nicht nur ein Anrecht darauf, dass ihre Meldungen behandelt werden, dass darauf reagiert wird, sondern sie müssen auch Berichte veröffentlichen. Entsprechend kann dann jeder einsehen, was eigentlich warum übermittelt wurde. Nein. Jetzt machen Sie es mir schwer, aber ich habe mir eigentlich zum Geburtstag nicht noch mehr Redezeit für solchen Quatsch gewünscht. Aber wir können das vielleicht nachher kurz halten. Also, Trusted Flagger, vertrauenswürdige Hinweisgeber, das ist erst mal nichts anderes, als wenn Sie in einem Mailaccount eine E-Mail mit einem roten Fähnchen markieren. Dann wissen Sie: Das hat eine besonders hohe Priorität, das sollte ich mir unbedingt angucken; damit noch lange zu warten, ist vielleicht nicht so gut. Ich schaue es mir dann an – bzw. in diesem Fall: Die Plattformen schauen sich das dann an und bewerten das. Ob das strafrechtlich relevant ist, entscheiden weiterhin Gerichte. Ob es mit den Community Guidelines übereinstimmt, entscheiden weiterhin die Plattformen. Wenn sie entscheiden: „Nein, tut es nicht“, gibt es ein Anrecht darauf – das ist eben das Neue –, dass ich als Postender eine Information darüber erhalte; ich werde informiert. Also, Shadowbans sind nicht weiter erlaubt. Darauf kann ich natürlich reagieren und auch Einspruch erheben. – So weit, so unglaublich unspektakulär. Sie versuchen jetzt, daraus ein Politikum zu machen. Das ist vielleicht der Punkt: Nichts erwartet, trotzdem enttäuscht worden. Aber nichtsdestotrotz: Dies hat eine wichtige Funktion, die ich herausheben möchte. Dass Sie BNetzA und Digital Services Coordinator durcheinandergebracht haben, das möchte ich Ihnen tatsächlich zugestehen. Dadurch, dass Klaus Müller gerade auch das Amt des Digital Services Coordinator interimsmäßig übernommen hat, kann man da schon mal in Verwirrung geraten. Aber in dieser Funktion ist er eben nicht weisungsgebunden. Der Digital Services Coordinator steht in einer besonderen Unabhängigkeit. – Wie bitte? – Na doch, ich merke schon, was Sie Totalitäres da so reinschwallen. Ich kann Sie aber beruhigen: Das, was Sie vielleicht manchmal erträumen, das wird auch mit dem Digital Services Coordinator nicht eingeführt. Wie gesagt, es geht hier nur darum, die Plattformen darin zu unterstützen, ihrer Aufgabe gerecht zu werden. Deswegen: Ruhe bewahren! Wir können alle beruhigt ins Wochenende starten. Weder der Wirtschaftsminister noch die Bundesnetzagentur noch irgendjemand sonst möchte alle Ihre Kommentare lesen. Die Plattformen müssen das. Sie müssen prüfen, ob die nicht vielleicht doch strafrechtlich relevant sind. Aber, wie gesagt, diese Kommentare löschen oder zensieren – weder von staatlicher noch von anderer Seite –, das möchte niemand.