Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jede Form von Gewalt oder Belästigung in der Arbeitswelt ist völlig inakzeptabel. Bei uns wird das nicht toleriert. Das ist die starke Botschaft, die heute Abend vom Deutschen Bundestag ausgeht, und das ist gut so, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wer behauptet, Kollege Kleinwächter, die Ratifizierung bräuchten wir nicht, sie sei überflüssig, das deutsche Recht sei ausreichend, um Verstöße zu ahnden, dem entgegne ich, dass die Ratifizierung heute Abend auch eine Botschaft ist, die weit über Deutschland hinausgeht, eine Botschaft an die große Staatengemeinschaft hinter der Internationalen Arbeitsorganisation, der ILO. Das ist ein gutes Signal an die Welt, weil grundlegende Rechte von Beschäftigten unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder sexueller Orientierung nicht verhandelbar sind. Sie gelten überall. Das ist die Botschaft heute Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir haben mit SPD und Bündnisgrünen die Ratifizierung im Koalitionsvertrag vereinbart. Von daher mag es wenig überraschen, wenn ich für die FDP als Regierungsfraktion Zustimmung ankündige. Gleichwohl möchte ich daran erinnern, dass die FDP auch in Oppositionszeiten damals der Ratifizierung der ILO-Konvention 169 zum Schutz der indigenen Völker zugestimmt hat. Wenn es um Menschenrechte geht, macht es für uns Freie Demokraten keinen Unterschied, ob wir auf der Oppositionsbank oder auf der Regierungsbank sitzen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Für die ILO-Gemeinschaft macht es hingegen schon einen Unterschied. Die Ratifizierung der ILO-Konvention 169 hat über 30 Jahre gedauert, die der ILO-Konvention 190 jetzt etwas über 3 Jahre. Das ist der Unterschied zwischen vorherigen Regierungen und der heutigen: 3 Jahre statt 30 Jahre. Heute ratifizieren wir mit großer Mehrheit die Konvention 190. Gehören dann ab morgen alle Übergriffe in der Arbeitswelt der Vergangenheit an? Ich fürchte, nein. Rechtlicher Anpassungsbedarf – das hat die Prüfung ergeben – ergibt sich aus der Ratifizierung nicht. Dürfen wir daraus schließen, dass demnach nichts weiter zu tun wäre? Mitnichten. Ursachen für Gewalt und Belästigungen am Arbeitsplatz liegen tiefer und berühren vermutlich nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche. Aber gerade weil kein Bedarf an zusätzlicher Gesetzgebung besteht, muss sich unsere gesamte Aufmerksamkeit jetzt darauf richten, die gesellschaftlichen Voraussetzungen zu verbessern, um das Ziel eines gewaltfreien Arbeitsumfelds zu erreichen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Gewalt, Belästigungen und auch Diskriminierungen aus der Arbeitswelt zu verbannen, bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Grundlage für ein gewaltfreies Miteinander bei der Arbeit, im öffentlichen Raum oder auch zu Hause sind immer Toleranz und Respekt gegenüber dem Nächsten. Diese Werte können nicht allein verordnet werden; sie müssen auch gelebt werden. Ja, dafür braucht es Regeln, Konventionen und Gesetze. Aber Regeln allein bieten keinen ausreichenden Schutz. Sie ergänzen lediglich soziale Normen und Werte. Da ist anzusetzen, da ist noch viel zu tun: Familien stärken, Bildung gegenüber Alimentation priorisieren, breite Beratungs- und Hilfsangebote zur Verfügung stellen und effektiv geltendes Recht durchsetzen. Ein letzter Gedanke. Wir wissen, nicht alle Staaten, die die ILO-Konvention ratifizieren, setzen sie auch um, und nicht alle Staaten, die umsetzen, haben ratifiziert. Ist die ILO-Arbeit deswegen überflüssig? Auch hier antworte ich mit einem klaren Nein. Ich sage, im Gegenteil: ILO-Konventionen weisen den Weg zu mehr globaler Kooperation unter Einbeziehung der Sozialpartner, den Weg, der uns in kleinen Schritten dem großen Ziel näherbringt, für mehr Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, weniger Armut und mehr Frieden in der Welt zu sorgen. Globale Kooperation kennt keine Verlierer, nur Gewinner. Auch das gehört zu der starken Botschaft, die wir heute mit dieser Ratifizierung senden.