Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Beziehungen zwischen den USA und Deutschland im alltäglichen, kulturellen und politischen Austausch sowie zwischen Bundeskanzler Scholz und Präsident Biden bei der gemeinsamen Unterstützung der Ukraine sind hervorragend. Man könnte fast sagen: Sie waren nie besser. Gleich zweimal durfte ich in dieser Woche die amerikanische Botschafterin in Deutschland treffen, und ich bin sehr froh, dass mit Ambassador Amy Goodman eine echte Freundin des demokratischen Deutschlands mit beeindruckender akademischer und persönlicher deutsch-amerikanischer Vita die Vereinigten Staaten von Amerika in Berlin vertritt. Wir nehmen das 75. Jubiläum des Marshallplans zum Anlass, ihr stellvertretend vielen Dank zu sagen für all das, was wir den Amerikanern zu verdanken haben. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die heute so enge deutsch-amerikanische Partnerschaft ist auch eine Geschichte von Kriegsgegnern, die zu Freunden geworden sind. Wenn wir über den Marshallplan sprechen, müssen wir daran erinnern, welch großes Glück unser Land 1948 hatte. Bundeskanzler Willy Brandt hat das bei der Gründung des German Marshall Fund am 5. Juni 1972 im Sanders Theater der Harvard University eindrucksvoll so beschrieben – ich darf zitieren, Frau Präsidentin –: In dieser Situation haben uns die Amerikaner die Hand gereicht und uns tatkräftig geholfen, wieder Mitglied der freien und demokratischen Völkerfamilie zu werden. Das Angebot galt auch dem Osten Europas. Es scheiterte am Kalten Krieg, erinnert uns aber daran, dass Millionen Menschen in der DDR dieses Glück nicht hatten, obwohl sie es genauso verdient gehabt hätten. Die Spätwirkungen davon spüren wir heute noch. Klar ist: Ohne die großzügige und weitsichtige Unterstützung des Marshallplans, ohne Amerikas Beistand wäre es für unser Land unmöglich gewesen, aus den selbstverschuldeten Trümmern das demokratische Deutschland zu errichten, in dem wir heute leben. Dafür sind wir unseren amerikanischen Freundinnen und Freunden dankbar, meine sehr verehrten Damen und Herren. Dieser Dank gilt übrigens auch der privaten Hilfsbereitschaft aus Amerika, die die Hand zur Versöhnung und Freundschaft schon vor dem milliardenschweren Regierungsprogramm über den Atlantik ausstreckte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Antrag zu 75 Jahren Marshallplan ist mir auch ein ganz persönliches Anliegen; denn ich selbst habe von dieser Freundschaft profitiert. Ich durfte als McCloys-Stipendiat und als Austauschstudent mehrere Jahre in Oregon und Harvard studieren. Die unvergessenen Guido Goldman, der so wichtig war für den geistigen Austausch zwischen den USA und Deutschland, und Shep Stone, Ehrenbürger Berlins und Gründungsdirektor des Aspen-Instituts, sind mir zu Mentoren geworden. Ich durfte für meine Doktorarbeit damals die Präsidentschaftskandidaten George Bush senior, Al Gore und Jesse Jackson interviewen. Ich habe diese altehrwürdige und doch so lebendige, stabile Demokratie unmittelbar kennenlernen dürfen. Der deutsche Blick auf Amerika ist manchmal sehr eigenartig: auf der einen Seite bestehen die ständigen Sorgen, Amerika könnte sich in Richtung Pazifik abwenden, auf der anderen Seite gibt es eine teilweise überhebliche Einstellung gegenüber amerikanischer Kultur und die Gleichsetzung von Bevölkerung und Regierungspolitik. Der stumpfe Antiamerikanismus taugt nichts, egal ob er von rechts oder von links kommt, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich will daran erinnern, dass in den USA auch schwerste Krisen wie die Große Depression, die McCarthy-Ära, die Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung oder der Vietnamkrieg anders als in Deutschland nie die Demokratie beseitigt und den Faschismus an die Macht gebracht haben. Damals waren es Roosevelts „New Deal“, die Rechtsstaatlichkeit, die Protestbewegungen, die Reformen hervorgebracht und die USA stark gemacht haben. Deutsche Überheblichkeit ist da völlig unangebracht. Ja, der Sturm fanatischer Trump-Anhänger auf das Kapitol hat uns alle erschreckt. Ich bin aber zuversichtlich, dass die Demokratie in Amerika stark genug ist, die aktuellen Herausforderungen jenes radikalen Trumpismus mit seinen schrillen Debatten um frauenfeindliches Abtreibungsrecht, freigiebige Waffengesetze oder Attacken auf das demokratische Wahlrecht zu überwinden. Wir können immer noch sehr viel lernen von diesem Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten, das aber noch viel stärker ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist. Oder um es in den Worten des großen Amerikakenners Alexis de Tocqueville zu sagen: Meine sehr verehrten Damen und Herren, die deutsch-amerikanische Freundschaft ist heute tiefer als je zuvor, geht über Regierungsbeziehungen weit hinaus, fußt auf gemeinsamen Werten und ist zu einer Freundschaft der Menschen geworden. Herr Kollege Wadephul, zumal Sie in der Sache zustimmen, hätten Sie ruhig dem Antrag zustimmen können. Aus Missvergnügen über das neue Wahlrecht hier einen eigenen Antrag zu stellen, ist ganz kleines Karo und dem heutigen Anlass nicht angemessen. Lassen Sie mich zum Schluss, Frau Präsidentin, noch einmal Willy Brandt zitieren, der in seiner Würdigung des Marshallplans gesagt hat: Das ist in der Tat so. Ich weiß von meinen Eltern, wie dankbar sie für die Chancen gewesen sind, die wir dann hatten. Wir können wirklich in vielerlei Hinsicht etwas lernen. Amerika war übrigens immer ein Einwanderungsland. Daher kam manches an Stärke und neuem Denken. Wir haben heute – auch schon heute Morgen – in der Debatte viel altes Denken gehört. Das können wir überwinden. Lassen Sie uns ein neues Denken wagen an der Seite unserer amerikanischen Freundinnen und Freunde! Vielen herzlichen Dank.