Natürlich müssen wir über Versäumnisse reden. – Frau Präsidentin, können Sie die Kollegen mal zur Ruhe rufen? Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich frage mich immer wieder, ob Sie es eigentlich noch merken, dass die Tonalität, mit der Sie dieses Thema auf die Tagesordnung setzen, dazu führt, dass all jene, die uns täglich volle Teller sichern in diesem Land, wieder einmal stigmatisiert und in die Ecke gestellt werden, nicht nur die Beschäftigten, auch ihre Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber. Saisonbeschäftigte gibt es in den unterschiedlichsten Branchen. Ich greife einmal die Landwirtschaft heraus. Worüber reden wir eigentlich, liebe Kolleginnen und Kollegen? Wir reden über eine Branche, in der die Lohnkosten – anders als bei VW, Audi, Bosch oder Porsche – bei 70 Prozent liegen. Wenn Sie einen landwirtschaftlichen Betrieb haben, dann haben Sie einen Lohnkostenanteil von 70 Prozent, Sie haben bei den Produkten, die Sie ernten, die Sie verkaufen, die Sie auf den Markt bringen wollen, eine geringe Marge, eine deutlich geringere Marge, als wenn Sie einen Motor bauen oder irgendwelche anderen hochkomplexen Systeme. Wir reden über eine Branche, die seit der Einführung des Mindestlohns in Deutschland Lohnkostensteigerungen von 62 Prozent zu verzeichnen hatte. Wir reden über eine Branche, die einem massiven Wettbewerb mit dem Ausland ausgesetzt ist. Wir leben nicht allein auf dieser Welt, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen täglich im Wettbewerb mit den anderen Ländern dieser Welt. Wir reden über eine Branche, die selbstverständlich auch massivem Druck von den verarbeitenden Betrieben bzw. auch dem Handel – Stichwort „Preiskampf“ – ausgesetzt ist. Last, but not least: Wir reden über eine Branche, in der man hart arbeiten muss, in der harte körperliche Arbeit an der Tagesordnung ist, Arbeit, die, wohlgemerkt, kaum ein Deutscher mehr leisten möchte. Solche Branchen haben massive Schwierigkeiten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen. Diese Branchen brauchen Instrumente wie die Beschäftigungsformen, über die wir heute reden, nämlich Saisonarbeit. Und warum ist das so, liebe Kolleginnen und Kollegen? Bei der Ursache brauchen wir nicht lange zu überlegen: Essen soll in Deutschland günstig sein. Körperliche Arbeit gilt als nicht so toll. Vor allen Dingen leisten wir uns immer noch sehr, sehr hohe Standards bei der Beschäftigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. – Entschuldigung! Aber Sie wollen doch nicht abstreiten – jetzt lassen Sie mich doch mal ausreden! –, Sie wollen doch nicht abstreiten, dass das inzwischen auch zu einem Wettbewerbsnachteil für unser Land in der Welt wird? Was wir brauchen, ist keine Überregulierung. So ist es. Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Wir müssen natürlich über Missbrauch reden, wir müssen über Versäumnisse reden, und wir müssen auch gezielt dort ansetzen, wo diese entstehen. Aber wir brauchen keine Regulierung mit der Gießkanne. Im Übrigen gibt es auch Aufklärung durch die Bundesagentur für Arbeit und natürlich auch durch den Deutschen Gewerkschaftsbund. Der profitiert von dem vom Bund finanzierten Projekt und kann das letztendlich auch in die Breite tragen. Wir könnten natürlich vielleicht auch mal die A1-Bescheinigung verstärkt digitalisieren. Auch das würde dazu führen, dass die Leute besser krankenversichert sind. Kein Arbeitgeber möchte in Deutschland mit einem Bein im Gefängnis stehen. Niemand hat ein Interesse daran, Menschen zu beschäftigen, die nicht krankenversichert sind, und dafür, denke ich, sollten wir hier die Voraussetzungen schaffen. Lassen Sie uns bitte die Probleme angehen, die wir tatsächlich haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, es fällt Ihnen schwer, aber denken Sie auch daran: Es sind erwachsene Menschen, die dort arbeiten. Die können lesen und schreiben. Es gibt Informationen in mehreren Sprachen im Internet. Glauben Sie auch einmal an die Mündigkeit der Menschen, die hierher kommen. In Rumänien liegt der Lohn im Schnitt bei 3,60 Euro, in Deutschland bei 12 Euro. Das ist das Vierfache. Und denken Sie auch mal daran, was Sie diesen Menschen am Ende für einen Bärendienst erweisen, wenn Sie diese Branche zu Tode regulieren. Vielen Dank.