Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Direktwahlakt, der die Grundzüge des Wahlrechts in 27 Mitgliedstaaten festlegt, stammt aus dem Jahr 1976. Damals hatte die Europäische Gemeinschaft neun Mitglieder. Das Vereinigte Königreich – dieser Bezug zum Besuch heute sei erlaubt – hatte sein erstes Referendum über die EG-Mitgliedschaft gerade hinter sich. Das Volk hat sich noch mit 67 Prozent für den Verbleib in der Europäischen Gemeinschaft ausgesprochen. Was auch zur Wahrheit gehört: Das Europäische Parlament hatte damals noch so gut wie nichts zu sagen. Aber eine demokratische Union kann nicht nur aus den Hauptstädten gestaltet werden. Was Sie vielleicht gerne noch hätten, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD, dass nämlich das Europäische Parlament nach wie vor ein zahnloser Tiger wäre, hat sich massiv geändert. Deshalb ist es auch gerechtfertigt, dass wir uns mit diesem Direktwahlakt beschäftigen. Die Ziele, die hier genannt wurden, und die Gründe, warum wir das machen, sind alle richtig. Mit jedem Vertrag, ob Maastricht, Amsterdam, Nizza oder Lissabon, hat das Europäische Parlament stark an Einfluss gewonnen. Wenn wir jetzt diesen Direktwahlakt ändern und beispielsweise eine verbindliche Prozenthürde einführen, dann setzen wir nur um, was bereits 2018 beschlossen wurde. Dieser Beschluss wurde von 25 Mitgliedstaaten relativ zügig ratifiziert. Neben Spanien und Zypern ist es aber ausgerechnet Deutschland, das sich bis heute darauf noch nicht einigen konnte. Viele Versuche der Union, Sie zu einer Einigung und zur Ratifizierung zu bewegen, sind gescheitert. Auch unser Gesetzentwurf aus dem Herbst letzten Jahres wurde einfach von der Tagesordnung genommen. Wir sind deshalb dankbar, dass die Regierung es wenigstens im März geschafft hat, diese Ratifizierung auf den Weg zu bringen. Wir machen es Ihnen sogar noch leichter: Nehmen Sie auch unsere Vorlage für die Änderung des Wahlrechts, schreiben Sie Ihren Namen darauf, und lassen Sie uns das als Wahlrechtsänderung beschließen! Das Inkrafttreten des Ratsbeschlusses brauchen wir nicht abzuwarten; das könnte man sozusagen als Vorratsbeschluss machen. Dann wären wir auch für die Wahl 2024 schon auf dem richtigen Weg. Jetzt höre ich aber heute zu meiner Überraschung, nachdem Sie es jetzt so lange verzögert haben, dass Sie die Sperrklausel bis 2024 gar nicht mehr umsetzen wollen. Dass es nicht mehr möglich ist, ist definitiv falsch. Es war im Herbst möglich, und es wäre auch heute noch möglich. – Ja, und es ist nicht an uns gescheitert. Die letzten Aufrufe, die mir sogar noch schriftlich vorliegen, kamen von uns. Sie waren damals Mitglied, ich noch nicht. Aber Papier vergisst nichts, es ist geduldig. Sie kamen von uns, und es gab das Angebot an Sie, sich dem anzuschließen. Und dem wurde nicht entsprochen. Sie haben im Koalitionsvertrag – noch ein Papier, das geduldig ist – formuliert: Ihr Koalitionsvertrag! Sommer 2022 ist eine Zeit lang vorbei. Wir haben Sie im Herbst daran erinnert. Da war es Ihnen egal; jetzt ist es Ihnen egal. Ich kann nur sagen: Sie machen es wie bei vielen Themen. Sie formulieren Ziele, und dann versuchen Sie unter Zeitdruck oder unter anderem Druck, Ihre Vorschläge als den einzigen Weg dorthin darzustellen. Das widerspricht nicht nur unserem Empfinden oder dem Empfinden der Bürgerinnen und Bürger. Auch einer sachlichen Auseinandersetzung mit diesem Thema wird das nicht gerecht. – Ich weiß nicht, auf was Sie anspielen. Ich sehe in diesem Antrag, den Sie jetzt formuliert haben, auf jeden Fall eine große Wunschliste, die nicht alternativlos ist. Ich freue mich auf eine lebhafte Debatte im Ausschuss. Kollege Abel hat ja schon gesagt, dass auch die FDP, die zwar mit unterschrieben hat, hier noch den einen oder anderen Änderungswunsch hat. Ich kann Ihnen nur sagen, wenn wir es noch nicht einmal schaffen, den EU-Beschluss aus dem Jahre 2018 umzusetzen: Ich hoffe, dass das nicht das neue Deutschlandtempo ist, das Sie an anderer Stelle gerne immer wieder strapazieren. Es ist bemerkenswert, dass Sie heute an die Gemeinsamkeit appellieren, wie ich es vorhin gehört habe. Sie hätten die Chance auf Gemeinsamkeit gehabt: beim Wahlrecht ab 16, bei der nationalen Wahlrechtsreform, bei der rechtzeitigen Umsetzung des Wahlrechtsbeschlusses aus 2018. Aber da war es Ihnen egal. Jetzt brauchen Sie uns wieder; jetzt appellieren Sie wieder an die Gemeinsamkeit. Also, ich würde sagen: Das ist sehr durchsichtig. Ob wir das mittragen können, werden wir in der Diskussion beleuchten. Der Ruf der Bundesrepublik in Brüssel hat auf jeden Fall in den letzten Monaten sehr stark gelitten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass, wenn wir hier wieder das Schlusslicht bilden, das unseren Ruf verbessern wird. Wir wären dafür, den 2018er-Beschluss hier schnell zu ratifizieren und für die kommende Wahl rechtzeitig umzusetzen. Dann können wir über das sprechen, was Sie heute vorgeschlagen haben. Herzlichen Dank.