Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Das Europäische Parlament wurde bereits mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1957 eingerichtet. Mit einem modernen Parlament in dem Sinne, wie wir es heute haben, mit Abgeordneten, die frei gewählt sind, und einem Wettbewerb der Ideen, hatte das Parlament allerdings noch wenig zu tun. Erst über 20 Jahre später, im Jahr 1979, konnten die Bürgerinnen und Bürger der EWG zum ersten Mal in allgemeiner und direkter Wahl ihre Abgeordneten selbst bestimmen. Seitdem haben wir das europäische Wahlrecht immer wieder reformiert; denn Wahlen und die Art und Weise, wie wir sie durchführen, das ist nicht nur eine bloße Formalität. Das ist der Grundstein einer jeden Demokratie. Es macht sie greifbar, es macht sie erlebbar. Es spiegelt die Werte der Gesellschaft wider. Und ich glaube, davon brauchen wir mehr in Europa. Von einer rein wirtschaftlich orientierten Zusammenkunft haben wir uns dabei hin zu einer gemeinsamen europäischen Identität mit gemeinsamen Wertevorstellungen, mit gemeinsamen Prinzipien entwickelt. Auf verschiedensten Ebenen setzen sich Bürgerinnen und Bürger für diese europäische Idee ein. Eine Idee, die Frieden gebracht hat, der über die Europäische Union in Krisengebiete hinaus ausstrahlt. Eine Idee, die einen Wirtschaftsraum geschaffen hat, der viele Menschen zu Wohlstand gebracht hat. Eine Idee für eine Rechtsordnung, die Freiheit und Demokratie garantiert, und eine Idee, die Menschen mit Programmen wie Erasmus+ die Chance gibt, Perspektiven aufzubauen, ganz egal, wo die in Europa liegen möchten. All diese Errungenschaften zeigen, dass sich die Europäische Union in den letzten Jahrzehnten und insbesondere auch in den letzten Jahren weiterentwickelt hat. Eine weiterentwickelte Union aber, erweitert in ihrem Umfang, vertieft in ihrer Integration, braucht, glaube ich, auch ein weiterentwickeltes Wahlrecht. Um dieses Ziel zu erreichen, hat das Europäische Parlament im Mai letzten Jahres einen neuen Direktwahlakt auf den Weg gebracht. Uns ist natürlich klar, dass auch der vorangegangene Direktwahlakt 2018 noch nicht von allen Mitgliedstaaten ratifiziert ist, leider auch nicht von Deutschland. Wir wollen aber genau diesem Problem Rechnung tragen und parallel zu unserer Stellungnahme zum Direktwahlakt 2022 die Ratifizierung des Direktwahlakts 2018 durch Deutschland vorantreiben. So haben wir es als Ampel im Koalitionsvertrag versprochen, und so werden wir abliefern. Als Optimisten sehen wir natürlich die Vorzüge, die dieser Entwurf tatsächlich mit sich bringt für die Stärkung der europäischen Demokratie, für die Legitimation der europäischen Institutionen. Die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre begrüßen wir ausdrücklich; denn es zeigt, dass Menschen überall in Europa – auch junge Menschen – an unserer Demokratie aktiv mitarbeiten wollen. Und das wollen wir auch ermöglichen. Das Spitzenkandidatenprinzip, damit Menschen sich identifizieren können, und gesamteuropäische Listen unterstützen wir vollumfänglich; denn dadurch stärken wir die europäische Identität und bauen Grenzen auch in den Köpfen der Menschen ab. Der einheitliche Wahltag wird dafür sorgen, dass die Wahl als gemeinsames europäisches Event erlebt wird und nicht als fragmentiertes Chaos, wie es in der Vergangenheit bei den Menschen häufig angekommen ist. Ich sage aber auch für die Freien Demokraten in aller Deutlichkeit: Wir können dem Vorschlag des EU-Parlaments nicht in allen Punkten zustimmen. Eine zwingend paritätische Besetzung der Listen erachten wir weder als sinnvoll noch als grundgesetzkonform. Weiterhin sieht das Grundgesetz eine möglichst niedrige Sperrklausel vor. Um Kompatibilität mit allen Wahlrechten in den einzelnen Ländern zu gewährleisten, setzen wir daher auf einen Korridor zwischen 2 und 5 Prozent mit Orientierung am unteren Ende. Aber wir sagen auch, dass diese Sperrklausel dann für alle gelten muss, sofern sie keine nationalen Minderheiten repräsentieren. Ich sage ganz deutlich: Sonderregelungen und Ausnahmen zugunsten Einzelner stehen im Widerspruch zum Grundsatz der Gleichbehandlung aller. Mit der heutigen Stellungnahme geben wir der Bundesregierung die Richtlinien für die Verhandlungen auf europäischer Ebene vor und setzen damit selbst als stolze Parlamentarierinnen und Parlamentarier den ersten Schritt Richtung Europa der Zukunft. Ich bin überzeugt, dass wir mit der Reform des europäischen Wahlrechts an einem demokratischen und einem noch bürgernäheren Europa arbeiten können. Darauf freue ich mich. Dafür bedanke ich mich ganz herzlich bei den Berichterstatterinnen und Berichterstattern der Koalition. Ich lade die Union ein, dieses tolle Statement doch am Ende mitzutragen. Danke.