Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich auf die Europawahl im nächsten Jahr. Da werden meine Frau und ich wie immer zur Wahl gehen können, und als europäische Familie tun wir das in zwei Ländern: Meine Frau wird in Tschechien wählen und ich in Deutschland. Ganz besonders wird dieser Tag meinem Sohn in Erinnerung bleiben. Jonas darf das erste Mal überhaupt an einer Wahl teilnehmen. Jonas ist Jahrgang 2006 und wird an diesem Tag 17 Jahre alt sein. Er darf das aufgrund der von uns im letzten Jahr beschlossenen Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre. Das war ein erster wichtiger Schritt zur Modernisierung des europäischen Wahlrechts. Wir als Ampel geben uns aber mit diesem ersten Schritt nicht zufrieden: Als Fortschrittskoalition möchten wir ein modernes, gerechtes Wahlrecht für die kommenden europäischen Wahlen nach 2024 einführen. Wir möchten ein wirkliches Spitzenkandidat/-innenprinzip. Wir möchten wirklich transnationale Listen, das heißt gesamteuropäische Listen mit Kandidatinnen und Kandidaten aus verschiedenen EU-Ländern. Wir möchten die Grundlagen dafür schaffen, dass die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union die Bedeutung dieser Wahlen zum Europäischen Parlament noch besser erkennen und erfahren können, dass ihre Stimme wirklich zählt. Dies beugt Europaverdrossenheit vor und stärkt die Identifikation mit dem großen Friedensprojekt Europäische Union. Dieses Reformbedürfnis wurde dabei nicht nur bei uns in Deutschland erkannt, sondern das ist ein gesamteuropäisches Thema. Es ist daher richtig, dass das Europäische Parlament dieses Thema diskutiert hat und im Mai des letzten Jahres den Vorschlag eines neuen europäischen Direktwahlaktes beschlossen hat – mit Ihren Stimmen. Wir haben bereits davor, im Herbst 2021, in unserem Ampelkoalitionsvertrag Folgendes vereinbart: Nein, aus dieser Fraktion nicht. Zu der komme ich später noch. Europa und die Fortschrittskoalition arbeiten hier ganz offensichtlich Hand in Hand. Als drittes Element in dieser Wahlrechtsdebatte ist dabei zu beachten, dass, wie gerade erwähnt, bereits 2018 in den europäischen Institutionen ein neuer Direktwahlakt beschlossen wurde, auf den der Koalitionsvertrag abstellt. Dieser ist noch nicht in allen Mitgliedstaaten ratifiziert. Es fehlen die Ratifizierungsurkunden unter anderem aus Spanien und leider auch aus der Bundesrepublik Deutschland. Wir bringen heute eine gemeinsame Stellungnahme der Ampelfraktionen ein. Wir unterstützen darin den vom Europäischen Parlament vorgelegten Vorschlag für eine grundlegende Neufassung des europäischen Wahlrechts. Wir geben – das hat die Kollegin Kopf vorhin schon erwähnt – der Bundesregierung ein starkes Mandat für ihre Verhandlungen im Europäischen Rat. Wir begrüßen ganz ausdrücklich die Einführung der transnationalen Listen und die Verankerungen des Spitzenkandidat/-innenprinzips. Und: Wir erneuern unser Bekenntnis zum Direktwahlakt aus dem Jahr 2018. Hier hat die Bundesregierung bereits das notwendige Ratifizierungsgesetz dem Bundesrat zugeleitet. Wir unterstützen, wie vom Europäischen Parlament vorgeschlagen, eine angemessene Repräsentanz aller Mitgliedstaaten bei der Verteilung der transnationalen Listenplätze. Hinsichtlich der Mindestschwelle – auf Bundesebene würden wir sagen: der Prozenthürde –, die allerdings nur für große EU-Länder vorgesehen sein wird, setzen wir uns für eine möglichst niedrige ein. Wir wollen damit auf alle Fälle die Arbeitsfähigkeit des Europäischen Parlaments sicherstellen. Wir hoffen, dass sowohl unsere Stellungnahme als auch das Gesetz zur Ratifizierung mit seinen Regeln zur Prozenthürde von 2 bis 5 Prozent noch vor der Sommerpause in einer verbundenen Debatte hier gemeinsam beschlossen werden können. Dabei ist zu beachten, dass die Ratifizierung des Direktwahlaktes nach herrschender Auffassung einer verfassungsändernden Mehrheit bedarf. Wir begrüßen daher die Signale aus der Union, hier zuzustimmen. Gerade in solch grundlegenden Fragen ist es gut, wenn parteipolitische Belange hintanstehen. Ich bin froh, dass wir im Gegensatz zur Frage des nationalen Wahlrechtes – die Emotionen in der vergangenen Sitzungswoche haben sich auch heute wieder ein bisschen widergespiegelt – bei der Frage des neuen europäischen Wahlrechtes sehr sachlich miteinander umgehen und auch mit der Union inhaltlich eine relativ weite Einigkeit erzielt haben. Es schmerzt uns daher ein wenig, dass die Union unseren Antrag nun doch nicht mittragen möchte, obwohl in der Sache eigentlich Einvernehmen besteht. Es wäre nämlich bedauerlich, wenn die Union den Eindruck erwecken würde, sie betreibe eine Politik der beleidigten Leberwurst, weil wir als Ampel endlich eine Verkleinerung des Bundestages durch eine Veränderung des nationalen Wahlrechtes erreicht haben. Daher hoffe ich, dass wir bei den weiteren parlamentarischen Beratungen hier doch noch ein gemeinsames Signal an unsere Bundesregierung und damit auch nach Brüssel senden können. Wenn ich am Ende noch einen Blick auf den Antrag der AfD werfe, dann kann ich mich nur den Ausführungen der Kollegin aus der CDU/CSU anschließen: Wer sich auf fünf Seiten nur mit formalen Dingen befasst, der hat entweder gar keine Idee von Europa oder dem sind Europa und die Europäische Union am Ende völlig egal. Ich glaube, das trifft den Kern ganz deutlich. Die AfD hat kein Interesse an Europa. Deswegen redet sie über Europa Unsinn und stellt gleich unsinnige Anträge. Wir stehen im Gegensatz dazu für ein modernes, fortschrittliches Wahlrecht und unterstützen daher den Ansatz des Europäischen Parlaments für einen neuen Direktwahlakt mit unserer Stellungnahme nach Artikel 23 Absatz 3 Grundgesetz, die wir heute einbringen, und wir gehen die Ratifizierung des Direktwahlaktes an. Wir haben das im Koalitionsvertrag versprochen, und wir liefern. Auch in dieser für Europa und für unser Land wichtigen Frage ist ganz klar: Wir sind die Koalition, die mehr Fortschritt wagt, und das tut unserem Land und Europa gut. Wir freuen uns auf die folgenden Beratungen. Danke noch mal an die Mitberichterstatter.