Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eines der wichtigsten Merkmale der Demokratie ist die Fähigkeit zur Selbstkorrektur. Mit der heutigen Reform zeigt der Deutsche Bundestag die Fähigkeit, eine Entwicklung zu korrigieren, die in den vergangenen Jahren bei vielen Menschen in diesem Land für großes Unverständnis gesorgt hat, und das ist die immer weiter gehende Vergrößerung des Parlaments. Es hat in den vergangenen Jahren viele Anläufe für Wahlrechtsreformen gegeben. Manche sind schon im Entwurfsstadium stecken geblieben, andere sind auf den letzten Metern gescheitert. Ich bin froh und dankbar, dass diese Koalition den Mut und die Kraft hat, über eine Wahlrechtsreform nicht nur zu diskutieren, sondern sie am heutigen Tag auch zu beschließen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Unser Land geht durch eine schwierige Zeit. Es wütet ein Krieg mitten in Europa. Die Menschen machen sich Sorgen um ihre Zukunft, um die Krisen, um die Inflation, um die Bezahlbarkeit der Energie. Gleichzeitig durchläuft die Gesellschaft, durchläuft der Staat, durchlaufen wir alle unglaubliche Transformationsprozesse. Und in dieser Zeit verlangt die Politik den Menschen unglaublich viel ab. Der Deutsche Bundestag zeigt heute, dass er bei Reformen nicht nur den Menschen in diesem Land etwas abverlangt, sondern dass er auch in der Lage ist, sich selbst zu reformieren. Deswegen ist der heutige Tag auch ein Zeichen für die Reformfähigkeit unseres Landes insgesamt. Wir gehen heute mit gutem Beispiel voran, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das Herzstück der Reform ist das sogenannte Prinzip der Zweitstimmendeckung. Bereits heute wird die Zusammensetzung des Bundestages im Wesentlichen nach dem Zweitstimmenergebnis bestimmt. Daran ändert sich nichts, und deswegen ist es auch richtig, an der bewährten Bezeichnung „Erst- und Zweitstimme“ festzuhalten. Auch künftig bemisst sich die Stärke der Fraktionen im Deutschen Bundestag nämlich nach dem Ergebnis der Zweitstimmen. Bisher ist es so: Erlangt eine Partei in mehr Wahlkreisen die meisten Erststimmen, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis Mandate zustehen, so kommen diese zusätzlichen Mandate als Überhangmandate zur Regelgröße des Bundestages hinzu. Damit die Größe bzw. die Zusammensetzung des Bundestages wieder dem Zweitstimmenergebnis entspricht, müssen Ausgleichsmandate an die anderen Fraktionen verteilt werden. So wird der Bundestag immer größer und größer. Das ändern wir künftig – das ist der zentrale Punkt dieser Reform –: Künftig können nur so viele Abgeordnete für eine Partei in den Bundestag einziehen, wie Zweitstimmenmandate zur Verfügung stehen. Die Erststimmenbewerber mit den relativ geringsten Ergebnissen in einem Land erringen das Wahlkreismandat nicht. An der Stelle wird es wirklich wichtig – das ist ein wichtiger Punkt –: Es gibt nämlich keinen naturrechtlichen und auch keinen verfassungsrechtlichen Anspruch auf ein Wahlkreismandat, sondern das Erlangen des Wahlkreismandats hängt davon ab, wie das Wahlrecht ausgestaltet ist. Das ist ja gerade die Frage dabei. Künftig tritt neben das Kriterium der meisten Stimmen in einem Wahlkreis eben das Kriterium der Zweitstimmendeckung. Wir haben, liebe Kolleginnen und Kollegen, in den vergangenen Wochen und Monaten vielen Expertinnen und Experten und auch der Opposition gut zugehört. Deswegen ist es heute unser Anliegen, das Nichterlangen eines Wahlkreismandats weniger wahrscheinlich zu machen und damit auch der Union die Möglichkeit zu geben, heute für diesen Gesetzentwurf zu stimmen. Das erreichen wir nämlich, indem wir eine Anregung aus dem Antrag, den Sie eingebracht haben, in unser Gesetz integrieren, und das ist die Verschiebung des Verhältnisses zwischen Wahlkreis- und Listenmandaten. Die neue Regelgröße von 630 Sitzen bei gleichzeitiger Beibehaltung der Wahlkreiszahl von 299 macht es nämlich weniger wahrscheinlich, dass Wahlkreismandate nicht erlangt werden. Eines ist aber klar: Nach der Wahl sind es dann auch 630. Deswegen sorgt dieses Wahlrecht für Verlässlichkeit und für Vorhersehbarkeit, und deswegen ist es gut, dass wir das heute auf den Weg bringen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Nein. Der zweite Knackpunkt der vergangenen Wochen war immer der Fortbestand der Grundmandatsklausel. Lieber Herr Dobrindt, wir können uns jetzt hier gegenseitig Zitate vorlesen – ich könnte Ihnen ja mal die Zitate der Unionssachverständigen vorlesen, die allesamt gesagt haben, dass die Grundmandatsklausel verfassungswidrig ist –, aber am Ende ist es doch so, dass man eine politische Entscheidung treffen muss und dass man für diese politische Entscheidung auch geradestehen muss. Ich sage Ihnen was: Nach unserer Anhörung bin ich der Auffassung, dass der Verzicht auf eine Grundmandatsklausel im neuen Wahlrecht mit weniger verfassungsrechtlichen Risiken behaftet ist, als es die Einführung einer neuen Grundmandatsklausel gewesen wäre. Aus diesem Grund – und aus keinem anderen – ändern wir das Wahlgesetz mit dem vorliegenden Gesetz. Dabei geht es auch nicht um die CSU. Es ist doch interessant, zu beobachten, dass jede Wahlrechtsdiskussion in Deutschland ihren Endpunkt bei der CSU erreicht. Die CSU hat es geschafft: Die CSU bestimmt jede Wahlrechtsdebatte. Die CSU macht aus jeder Diskussion über die Verkleinerung des Deutschen Bundestages eine Diskussion über die CSU. Aber ich will Ihnen eines sagen: Sie müssen damit klarkommen, dass es auf der Welt und in diesem Land auch mal einen einzigen Tag gibt, an dem es nicht um die CSU geht, sondern um dieses Land. Und heute ist dieser Tag – der Tag, an dem der Deutsche Bundestag zukünftig verkleinert wird. Die CSU hat Norbert Lammert die Wahlrechtsreform versaut, die CSU hat Wolfgang Schäuble die Wahlrechtsreform versaut, aber die CSU wird nicht die Wahlrechtsreform der Ampel versauen. Das lassen wir nicht zu. Meine Damen und Herren, meine Fraktion versteht sich als Anwalt der Menschen, die kein Verständnis für die ewigen Ausreden haben, warum eine Verkleinerung des Bundestages auf den letzten Metern scheitert. Aber ich will Ihnen auch sagen – letzter Punkt –: Meine Fraktion hat null Interesse daran, dass wir künftig nach jeder Bundestagswahl das Wahlrecht ändern. Deswegen: Lassen Sie uns heute gemeinsam die Grundentscheidung für eine Verkleinerung des Bundestages treffen, und lassen Sie uns gerne gemeinsam auf dieser Grundlage weiter miteinander sprechen, so wie es sich unter Demokraten gehört. Ich werbe um Zustimmung. Herzlichen Dank.