Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Zuversicht lässt sich nicht verordnen.“ – So haben Sie es, Herr Bundeskanzler, in der Schlusspassage Ihrer Regierungserklärung gerade formuliert, und diese Annahme ist ja nun ohne Zweifel richtig. Aber Zuversicht kann man auch nicht künstlich herbeireden. Zuversicht entsteht dann, wenn die Menschen das Gefühl haben: Da ist eine Regierung im Amt, die einen Kompass hat, die Entscheidungen trifft und die durch Taten Grund und Anlass zur Zuversicht gibt, nicht durch Worte allein. Für mich ist das – wie Worte und Taten bei dieser Bundesregierung auseinanderfallen – selten so offensichtlich gewesen wie bei dieser Regierungserklärung heute Morgen. Nun entbehrt es ja nicht einer gewissen Komik, dass Sie ausgerechnet den vermutlich von uns allen hochgeschätzten britischen Historiker Timothy Garton Ash zitieren. Herr Scholz, ich weiß nicht, ob Sie das wissen, aber Ash hat seinem englischsprachigen Publikum vor einiger Zeit das Wort „scholzen“ ins Englische übersetzt mit „scholzing“. Und „scholzing“ hat er so interpretiert: gute Absichten kommunizieren, nur um dann jeden vorstellbaren Grund zu erfinden, um diese hinauszuzögern und zu verhindern. – Das ist Timothy Garton Ash, Herr Bundeskanzler. Nun kann man ja nicht ernsthaft bestreiten, dass die Bundesregierung und die Europäische Union in den letzten 13 Monaten auch einiges richtig gemacht haben. Europa und die NATO sind zusammengeblieben, und das war keineswegs selbstverständlich. Das ist das Verdienst aller Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der NATO, auch wenn bedauerlicherweise die NATO-Erweiterung um das Land Schweden bisher immer noch am Widerstand der Türkei scheitert. Europa und die NATO haben der Ukraine sehr viel geholfen: humanitär, materiell, finanziell und richtigerweise auch militärisch. Aber, Herr Bundeskanzler, den Umfang unserer Hilfen nun allerdings so unmittelbar hinter den der Vereinigten Staaten von Amerika einzureihen, ist, um es zurückhaltend zu sagen, eine leichte Übertreibung. Denn bemessen an ihrer Wirtschaftskraft haben eine ganze Reihe von Ländern, auch und gerade in Europa, deutlich mehr geleistet als wir. – Wenn Sie hier zwischenrufen „Wer denn?“, will ich Ihnen das sagen: Das gilt insbesondere für einige osteuropäische Länder und hier insbesondere für die baltischen Staaten. Diese Länder der EU, die ja nun zu Recht die größte Besorgnis um ein weiteres Ausgreifen des Krieges auf ihre Staatsgebiete haben, haben Sie mit keinem einzigen Wort heute Morgen hier erwähnt. Sie lassen ebenfalls völlig unerwähnt, Herr Bundeskanzler, den Bericht der Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, die nun genau in dieser Woche, vor zwei Tagen, hier in Berlin – – – Sie kommt aus Ihren Reihen, nicht von uns. Frau Högel hat den Jahresbericht der Wehrbeauftragten für das Jahr 2022 vorgelegt und dazu gesagt: „Der Bundeswehr fehlt es an allem.“ Im Berichtszeitraum, so sagt sie, sei noch „kein Euro und Cent“ aus dem Sondervermögen „bei der Bundeswehr angekommen“. Herr Bundeskanzler, ab jetzt hören Sie auf, den Zustand der Bundeswehr an anderen, früheren Regierungen festzumachen, denen Sie von der SPD im Übrigen länger angehört haben als jede andere Partei, die hier im Deutschen Bundestag sitzt. Wir haben hier gemeinsam beschlossen, 100 Milliarden Euro – – – Dass Sie dabei nervös werden, das kann ich mir vorstellen. Aber da oben auf der Tribüne sitzen Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, und da draußen sind Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im Einsatz. Was sie von Ihrem Gelächter halten, das sollten Sie sich bei Ihrem nächsten Truppenbesuch mal anhören, meine Damen und Herren. Wir haben hier gemeinsam 100 Milliarden Euro zusätzlich für die Bundeswehr beschlossen. Wenn fast ein Jahr danach noch kein Euro und kein Cent bei der Bundeswehr angekommen sind, dann ist das ein Skandal, Herr Bundeskanzler, den Sie zu verantworten haben und niemand anderes in diesem Haus. Nun verbinden sich mit dem neuen Verteidigungsminister – ich finde, zu Recht – einige Hoffnungen, dass das besser wird als vorher; so ganz schwer wird das nicht sein. Aber, Herr Pistorius, Sie sollten nicht nur Personal austauschen im Verteidigungsministerium – das ist Ihr gutes Recht –, sondern Sie müssen jetzt auch das Beschaffungswesen der Bundeswehr grundlegend ändern, damit am Zustand der Bundeswehr wirklich etwas verändert wird. Herr Bundeskanzler, Sie haben im letzten Jahr eine neue Nationale Sicherheitsstrategie für Deutschland angekündigt. Sie sollte erst im Herbst, dann im Winter und schließlich zur Münchener Sicherheitskonferenz vorgelegt werden. Mittlerweile hören wir, dass dieses Vorhaben in Ihrer Regierung nicht weiter verfolgt wird, offensichtlich weil der Kompetenzstreit zwischen Außenministerium und Bundeskanzleramt nicht mehr aufgelöst werden kann. Das ist eben der Unterschied zwischen Deutschland und Frankreich, aber auch vielen anderen Ländern auf der Welt, die in diesen Monaten ihre strategische Ausrichtung neu vornehmen und die neuen Herausforderungen annehmen: Die deutsche Bundesregierung streitet über Zuständigkeiten. Das ist der Unterschied zwischen Deutschland und vielen anderen Ländern auf der Welt. Nun bestreiten Sie mal nicht, dass Sie ständig streiten. 30 Vorhaben dieser Koalition liegen auf Eis, weil Sie keine Einigung erzielen. Der Bundesfinanzminister lässt einen Abstimmungstermin über die Aufstellung des Bundeshaushalts 2024 platzen – nicht weil es da noch um Kleinigkeiten geht, sondern weil sich die Bundesregierung innerhalb dieses Kabinetts nicht einig werden kann über 70 Milliarden Euro Zusatzausgaben, die von den Ressorts beantragt werden und die vom Bundeshaushalt nicht gedeckt sind. Vorgestern fand in Berlin der sogenannte Bildungsgipfel dieser Bundesregierung statt. 3 von 16 Kultusministern und Kultusministerinnen der Bundesrepublik Deutschland sind gekommen; alle anderen – und das waren bei Weitem nicht nur die Unionsminister – sind zu Hause geblieben, weil sie es als sinnlos empfunden haben, zu einer solchen Veranstaltung hier nach Berlin zu kommen. Und dann Brüssel: Sie beschreiben hier mit Ihren Worten, wie gut das Einvernehmen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den anderen Ländern in der Europäischen Union ist. In Brüssel spricht man mittlerweile vom „German Vote“. Was heißt das? „German Vote“ bedeutet in Brüssel Enthaltung, im Ministerrat und auch im Europäischen Rat, weil sich die Bundesregierung hier in Berlin nicht einig ist, wie sie denn in Brüssel abstimmen soll. – Ja, Herr Dürr, diese Zwischenrufe kenne ich. Aber die Diskussion über den Verbrennermotor findet in dieser Bundesregierung statt. Jetzt gebe ich Ihnen mal ein Beispiel. Herr Wissing – er ist da –, Sie haben hier vor einem Jahr erklärt – wörtlich –: „Die Entscheidung für E-Mobilität ist längst gefallen.“ Sie halten E-Fuels für Autos nicht für sinnvoll. – Ein Jahr alt. Heute legen Sie sich auf der Schlussgeraden in der Europäischen Union quer. Alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union schütteln den Kopf über Deutschland und sagen: Was ist denn mit denen plötzlich los? Was machen die da bei dieser Entscheidung, die seit anderthalb Jahren in Brüssel vorbereitet wird und jetzt getroffen werden sollte? Was macht diese Bundesregierung da eigentlich in Brüssel? Damit kein Missverständnis entsteht: In der Sache hat Herr Wissing recht. Das hätten Sie alles früher haben können, wenn Sie unserem Vorschlag gefolgt wären, eben nicht auf den Verbrenner zu verzichten, sondern technologieoffen in die Mobilität der Zukunft zu gehen; das wäre richtig gewesen. Herr Dürr, vielleicht trägt zur Beruhigung Ihres Gemüts ein Namensartikel bei, den zwei nun wirklich Unverdächtige, Julian Nida-Rümelin und Ernst Ulrich von Weizsäcker, in dieser Woche in der Zeitung „Die Welt“ mit der Überschrift überschrieben haben: E-Fuels sind „eine moralische Pflicht“. Warum schreiben sie das? Weil sie diesen Sachverhalt eben nicht nur auf die Binnendiskussion, die Sie in Ihrer Koalition führen, beziehen, sondern weil sie den internationalen Bezug in den Blick nehmen und sagen: Wir müssen aus Deutschland heraus Technologien entwickeln, die auch in den weniger gut entwickelten Ländern dieser Welt angewendet werden können, und nicht nur auf die eigene Wirtschaft und das eigene Land schauen. Das ist doch der entscheidende Punkt. Herr Bundeskanzler, lassen Sie mich abschließend – zu dem Thema Wettbewerbsfähigkeit wird die Kollegin Lips gleich noch etwas sagen – etwas zum Asyl- und Einwanderungsthema sagen. Sie laden nun für den 10. Mai zu einem Gipfel im Kanzleramt ein – gut ein Jahr, nachdem die ersten Kommunen und Kreise bei Ihnen vorstellig geworden sind und Ihnen den Hinweis gegeben haben, dass die Aufnahmekapazitäten in den Städten und Gemeinden in Deutschland erschöpft sind. Da schreiben Ihnen Oberbürgermeister, Bürgermeister und Landräte seit Wochen und Monaten, und sie bekommen aus dem Kanzleramt noch nicht einmal eine Antwort auf ihre Briefe. Dieser Umgang mit den Städten und Gemeinden in Deutschland ist einfach unangemessen. Dass Sie diesen Städten und Gemeinden heute Morgen hier Dank sagen, nützt denen gar nichts, wenn Sie nicht die entsprechenden Entscheidungen treffen, die dafür sorgen, dass der Zuzug durch illegale Migration nach Deutschland gestoppt wird oder jedenfalls deutlicher begrenzt wird, als dies gegenwärtig der Fall ist. Da müssen Sie Entscheidungen treffen und nicht reden. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Die Entscheidung über die sicheren Herkunftsländer ist wegen des Widerstands der Grünen im Bundesrat immer noch nicht getroffen worden. Das hätte längst entschieden werden können. Dann wäre ein großer Teil des Problems in Bezug auf die betroffenen Regionen gelöst. Sie haben in Ihrer Regierungserklärung heute Morgen erneut die Themen „Einwanderung in den Arbeitsmarkt“ und „Asylverfahren“ vermengt. Wir machen Ihnen einen sehr konkreten Vorschlag, wie man das lösen kann: Wir wollen Asylverfahren und Verfahren zur Einwanderung in den Arbeitsmarkt strikt trennen. Gestalten Sie die Einwanderungsverfahren in den Arbeitsmarkt so, dass sie vom ersten Tag an vollständig digitalisiert stattfinden und dass Sie die Ausländerbehörden und die Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland von diesen Verfahren entlasten! Hören Sie auf, über Einwanderung in den Arbeitsmarkt zu reden, wenn die Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland weltweit zurzeit über 40 000 unerledigte Anträge liegen haben, die sie nicht bearbeiten können, weil ihnen das Personal fehlt! Das Problem liegt bei Ihnen, Herr Bundeskanzler, und Ihrer Regierung und nicht bei denen, die dringend Arbeitskräfte in Deutschland brauchen. Abschließend: Wenn man Sie heute Morgen hier so hört, dann muss man doch die Feststellung treffen, dass nicht nur Anspruch und Wirklichkeit dieser Bundesregierung immer weiter auseinanderliegen; bei Ihnen liegen mittlerweile Selbstwahrnehmung und die Wahrnehmung der tatsächlichen Lage im Land, in Deutschland, in fast schon besorgniserregender Weise auseinander. Sie, Herr Bundeskanzler, verlieren mittlerweile den Bezug zur Realität in unserem Land. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.